Samuel Brawand – Einblick in drei Jahrhunderte
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Samuel Brawand – Einblick in drei Jahrhunderte

Als die Reihe « Grosse Schweizer Bergführer im Porträt » geplant wurde, fühlte sich Samuel Brawand noch recht gut. Jetzt wird dieser Beitrag posthum publiziert: Der Lebensweg von Samuel Brawand, der 1898 in Grindelwald als Bergbauernsohn geboren wurde, ging im Juli 2001 zu Ende. Brawand arbeitete als Lehrer und Bergführer, bevor er in die Politik eintrat und in der Folge als SP-Natio-nalrat und -Regierungsrat Karriere machte. In Bergsteigerkreisen machte er sich einen Namen durch die Erstbegehung des Mittellegigrates am Eiger.

« Gerade Schnur ohne Knoten » « Mein Leben bewegt sich entlang einer Schnur – ohne Knoten, die mich behindern », sagte Samuel Brawand Anfang 2000 in einem Interview mit der Zeitung « Der Bund ». Tatsächlich: Wer Brawands geradlinige Biografie verfolgt, ist beeindruckt. Der bergsteigerische Teil ist nur ein Aspekt – aber ein bedeutender. Dabei erinnerte sich Samuel, dessen gleichnamiger Vater ebenfalls Bergführer war und 1902 auf dem Gipfel des Wetterhorns vom Blitz erschlagen worden war, gerne an die Erstbegehung des Mittellegigrates am Eiger am 1O. September 1921: « Fritz Amatter und Fritz Steuri unterstützten einander im Überwinden der zahlreichen Schwierigkeiten, und ich führte Herrn Yuko Maki. » Dank einer Spende von Maki an den Bergführerverein Grindelwald konnte bereits 1924 die Mittellegihütte eingeweiht werden, die dieses Jahr durch einen Neubau ersetzt wurde. In den folgenden Jahren führte Samuel Brawand, der auch als Mundartschrift-steller bekannt wurde, viele Japaner auf die Gipfel des Berner Oberlandes – bis er mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges mehr und mehr in die Politik wechselte.

Kritisch und weltoffen Samuel Brawand prägte das letzte Jahrhundert als bedeutender Politiker mit – ohne dass ihm dies in den Kopf gestiegen wäre. Im hohen Alter äusserte Brawand kritische Gedanken, die seine Weltoffenheit zeigten: « Vor allem wünschte ich mir, dass sich ‹das Kapital› nicht weiter zusammenballt und nicht länger nur für seinen Profit sorgt. Ich habe Angst vor den ungeheuren Konzernen, die da entstehen. Ich fürchte, dass diese in Zukunft vermehrt entscheiden werden, wohin es geht. » Besorgt betrachtete er die Com-puterisierung der Gesellschaft, die den Menschen zusehends ausschalte, und ebenso besorgt nahm er die zunehmende Überbauung der Schweiz wahr. Ein Schlüsselwort war für ihn die Solidarität der Menschen und Länder untereinander.

Samuel Brawand, der viele Jahre als Lehrer in Grindelwald wirkte, ging sein drittes Jahrhundert dennoch recht positiv an: Es gebe auch erfreuliche Entwicklungen, wie etwa das Verschwinden der Armut aus dem Tal von Grindelwald. Früher sei es normal gewesen, dass jede

Samuel Brawand, Bergführer wie schon sein Vater, machte sich durch die Erstbegehung des Mittellegigrats 1921 einen Namen.

Als National- und Regierungsrat prägte Samuel Brawand die Politik der zweiten Hälfte des 2O. Jahrhunderts auf kantonaler und nationaler Ebene mit.

Die mit dem Namen von Samuel Brawand eng verbundene, ebenso elegante wie beeindruckend kühne Ausstiegslinie: Mittellegigrat am Eiger.

1 Siehe auch Beiträge über Ulrich Inderbinen ( ALPEN 12/2000 ) und André Roch ( ALPEN 6/2001 ). 2 Sein Porträt, geplant für eine spätere Ausgabe, wird auch posthum erscheinen: Herman Steuri starb während der Produktion dieser ALPEN-Ausgabe.

Fo to :A rc hi v M .Sc hl äppi- Br aw an d Foto: Archiv M. Schläppi-Brawand DIE ALPEN 9/2001

Woche Bettler an die Tür klopften oder dass die Schüler mitten im Winter mit Schuhen voller Löcher zur Schule gekommen seien. Brawand konnte sich noch gut an das erste Auto erinnern und daran, wie er mit 20 das erste Mal telefo-nierte ( bereits 1925 liess er sich auf seinem Bauernbetrieb einen Telefonanschluss einrichten – lange Zeit weit und breit der erste !). Und er freute sich auf das, was noch kommen werde, frei und zufrieden: « Freiheit geht bis zum Nächsten – bis zu jener Freiheit, die der andere für sich beanspruchen darf. » « I bin u blybe, wär i bin » Gibt es einen gemeinsamen Nenner im Leben der grossen, alten Bergführer Ulrich Inderbinen, André Roch, Hermann Steuri 2 und Samuel Brawand? Vielleicht einen: Die Fähigkeit, immer sich selbst zu bleiben, seinen Wert und seine Grenzen einschätzen zu können. Und sich durch die Veränderungen und Entwicklungen eines Jahrhunderts nicht zu weit von der erwähnten Lebens-schnur entfernen zu lassen. Oder wie es Samuel Brawand einmal markig formulierte: « I bin u blybe, wär i bin. » Um auch so in der Erinnerung der nachkommenden Generationen zu bleiben. a

Christine Kopp, Unterseen

Feedback