Schweizer Besteigungsversuch am Everest 1952. Die Genfer als Wegbereiter am Everest
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Schweizer Besteigungsversuch am Everest 1952. Die Genfer als Wegbereiter am Everest

Schweizer Besteigungsversuch am Everest 1952

Die Genfer als Wegbereiter am Everest

In der « Eroberungsgeschichte » am Mount Everest nimmt ein Ereignis einen ganz besonderen Platz ein: die Expedition der Schweizerischen Stiftung für Alpine Forschungen vom Frühjahr 1952. Die Expedition vereinigt einige der besten Genfer Alpinisten jener Zeit. Dank ihrer Hartnäckigkeit und Ausdauer erreichen Lambert und Sherpa Tenzing die damalige Rekordhöhe von 8600 m, wo sie erschöpft aufgeben müssen.

Der Mythos des Mount Everest, der ja eigentlich Chomolungma, « die Mutter-göttin der Erde », heisst, begann etwa um 1852, als im Rahmen der Vermessungs-tätigkeit des Survey of India unter der Leitung von Sir George Everest dieser Gipfel zum höchsten Berg der Welt erklärt wurde. Die erste Expedition auf den Everest, eine britische unter der Führung von Charles Kenneth Howard-Bury, fand 1921 statt. Damals wurde der Zugang über den Nordsattel entdeckt. Zwischen 1921 und 1938 versuchten sieben englische Expeditionen ihr Glück am Everest. Am höchsten hinauf gelangten George Leigh Mallory und Andrew Irvine bei ihrem Besteigungsversuch über den Nordsattel im Jahr 1924. Sie wurden zuletzt auf ca. 8600 m gesehen. Erst im Mai 1999 fand eine Gruppe von acht Bergsteigern der Expedition « Mallory and Irvine Research » Mallorys Leiche.

Die Genfer Mannschaft 1952 hatte zwar das Wissen über die Auswirkungen grosser Höhen Fortschritte gemacht, aber natürlich wusste man noch lange nicht alles, was heute bekannt ist. Die Genfer Bergsteiger, die an der Expedition teilnehmen, sind René Dittert ( Chef Technik ), Jean-Jacques Asper, René Aubert, Gabriel Chevalley, Léon Flory, Ernest Hofstetter, Raymond Lambert und André Roch; sie alle sind Mitglied des Club de l' Androsace. André Roch ist der Einzige, der Himalayaerfahrung mitbringt, aber alle anderen sind ebenfalls ausgezeichnete Bergsteiger. Lambert geniesst internationale Anerkennung. Dittert, Aubert und Chevalley haben die grossen Routen in den Alpen bewältigt. Hofstetter ist ein ehemaliger Langläufer und Asper, der jüngste, ist vermutlich der begnadetste Kletterer von allen. Sein Talent erweist sich als entscheidender Faktor bei der Überwindung der grossen Seracs im Khumbu-Gletscher. Die Genfer Expedition, die unter der Leitung von Dr. E. Wyss-Dunant steht, ist nicht nur ein sportliches und wissenschaftliches Unternehmen, sondern auch eine Geschichte der Freundschaft zwischen den Expeditionsmitgliedern und den Sherpas.

Eine Geschichte der Freundschaft Es lohnt sich in diesem Zusammenhang, die Worte zu zitieren, mit denen André Roch vor 50 Jahren in den ALPEN seinen Gefühlen den Sherpas gegenüber Ausdruck gibt: « Es gibt zwei Dinge, die ich an den Sherpas bewundere: da ist einmal ihre grenzenlose Freundlichkeit, die sie jedem entgegenbringen, wer er auch sei. Jahr für Jahr sind sie unterwegs mit, na ja, eigenartigen Typen. (... ) Der Sherpa ist immer gleich. Sobald er im Lager ankommt, stellt er das Zelt auf, pumpt die Luftmatratzen auf, legt den Schlafsack aus, hilft dir beim Wechseln der Schuhe, bereitet das Essen zu – in einem Wort: Er macht einfach alles. Wenn der Sturm tobt, bringt er dir Suppe und heissen Tee ins Zelt, während du selber warm im kuscheligen Schlafsack liegst. (... ) Aber

Die Route der Genfer Expedition von 1952 Jean-Jacques Asper anlässlich der Expedition von 1952 Fo to :Sa mml ung AG EC -R ou lin Fo to s: Sa mml ung AG EC -H of st ett er Gruppenfoto mit ( v. l. n. r. ) Jean-Jacques Asper, René Dittert, Ernest Hofstetter, Gabriel Chevalley, André Roch und Raymond Lambert, René Aubert, Léon Flory und Tenzing Norgay DIE ALPEN 5/2002

das ist alles noch gar nichts gegen die zweite Eigenschaft, die ich so bewundere, nämlich die Art und Weise, wie sie in diesen Höhen das Material transportieren, und ganz besonders in unserem Fall. » 1

In der Tat gehen die Sherpas mit mehr als 20 Kilo auf dem Rücken durch den heiklen Ice Fall, die berühmten Seracs, die den Zugang zum Westbecken ( West Cwm ) des Khumbu-Gletschers versperren. Sie tragen Material und Nahrungsmittel für 20 Mann vom Lager I ins Lager III, und das während dreier Wochen. Diese Leistung ist umso beeindruckender, als der Sirdar Ang Tharkay, Chef der Träger von Shipton, nach einer Rekognoszierung im Herbst 1951 Tenzing gegenüber sagte: « Sie werden keine einzige Ladung auf den oberen Khumbu-Gletscher tragen. » 2 André Roch hingegen schreibt: « 1O. Mai. Seit Anfang Monat werden die Seracs jeden Tag von sechs Sherpas täglich begangen, das macht 60 Ladungen, die ins Lager III getragen wurden. Wer diesen Transport nicht gesehen und erlebt hat, wird es nicht glauben. » 3

Eine endlose Nacht Die Genfer setzen ihren Aufstieg fort. Das Gletscherbecken wird bis an den Fuss der Hänge unter dem Südsattel er-

1 Roch André: Les Alpes, 1952, S. 263 2 Roch André: Les Alpes, 1952, S. 265 3 Roch André: Les Alpes, 1952, S. 265

stiegen, wo Lager V auf 6900 m Höhe eingerichtet wird. Dittert, Lambert, Roch und Tenzing beziehen es am 14. Mai. Am nächsten Tag unternehmen sie einen Versuch in Richtung Südsattel, aber die Besteigung eines Felssporns ( seit damals Genfer Sporn genannt ) kostet zu viel Zeit, und sie steigen wieder ab. Verschiedene Versuche scheitern mehr oder weniger weit oben Richtung Sattel. Die Bergsteiger brauchen fast drei Wochen, um von Lager V weiterzukommen. Am 25. Mai unternehmen Aubert, Flory, Lambert und sieben Sherpas einen

Während fast dreier Wochen leben die Expeditionsmitglieder im Lager V auf 6900 m Höhe. Tiefblick auf das West-Gletscherbecken ( West Cwm ), hinten der Pumori Tenzing, Flory und Aubert, fotografiert von Lambert. Nach einem harten Aufstieg in Richtung Südsattel erreichen sie etwas oberhalb des Passes die Höhe von 8000 m. Hinter ihnen der Gipfel des Everest Eine Spalte zwischen den Lagern II und III erfordert den Bau einer Seilbrücke. Der gewaltige Schrund versperrt den Zugang zum oberen Teil der West Cwm des Gletschers. JeanJacques Asper überwindet sie als Erster, allerdings nur unter enormen Risiken. Auf dem Foto überquert Léon Flory die Brücke.

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weiteren Versuch am Südsattel. Drei Sherpas kehren um. Die Zeit verrinnt. Der Wind wird stärker, und die Sonne verschwindet hinter dem Pumori. Die sieben Männer verteilen die verbliebenen Lasten neu. Die Lage wird kritisch. Um 19 Uhr erreicht das kleine Team eine weniger steile Partie. Es ist grauenhaft kalt. Auf der einen Seite schaufeln die Sherpas eine Plattform frei, um die Zelte aufzustellen, auf der anderen Seite machen Flory und Lambert das Gleiche, während Aubert die Schlafsäcke festhält. Sobald die Zelte stehen, beginnt eine schreckliche Nacht. Ein Schlafsack ist über den Hang in die Tiefe gestürzt. Die Männer können sich nicht ausstrecken und wagen nicht, sich zu bewegen aus Angst, mit dem Zelt hinunterzurollen. Sie bleiben angeseilt, die Steigeisen an den Füssen. Unmöglich, eine Matratze oder einen Schlafsack auszurollen. Eine Nacht ohne Ende. Der Weg zum Südsattel ist offen.

Der Versuch vom 28. Mai Unter diesen Umständen unternehmen Lambert und Tenzing am 28. Mai einen Gipfelversuch. Drei Nächte auf einer Höhe von fast 8000 m, eine weitere auf 8400 m. Und dieses berühmte Lager VII auf 8400 m! «... Keine Schlafsäcke, kein Material, kein Kocher. Ein Zelt flattert im Wind wie eine Gebetsfahne » 4, berichtet Raymond Lambert. Die beiden Männer machen sich gegen 6 Uhr auf den Weg. Sie kommen nur langsam voran. Sauerstoff können sie nur einatmen, wenn sie anhalten, denn der Widerstand der Ventile ist zu stark; dafür haben die Kletternden nicht auch noch Kraft. Alle 20 Meter lösen sich die Männer beim Spuren ab. Lambert schreibt: « Als der Hang steiler wird, bewegen wir uns vorwärts wie ein Hund, der einer Spur folgt, auf allen Vieren. Einsame Gipfelstürmer, unterwürfig kniend, sabbernd wie ein Lasttier. » 5 Die zwei Männer brauchen fünf Stunden für knapp 200 Höhenmeter! So geht es nicht. Es ist aus. Etwas über 8600 m. Lambert und Tenzing haben alles gegeben. Der Everest ist ein grosser Berg für ein kleines Menschenherz.

1953, als Hillary und Tenzing erfolgreich vom Gipfel des Everest herunterkommen, schickt Colonel John Hunt, der Expeditionsleiter, folgende Botschaft an die Genfer Alpinisten: «... und euch gebührt die Hälfte der Ehre. » 6 a

Dominique Roulin, Presinge ( ü ) 4 Lambert Raymond: Avant-Premières à l' Everest. Arthaud, 1953, S. 169 5 Lambert Raymond: Avant-Premières à l' Everest. Arthaud, 1953, S. 170 6 John Hunt, Telegramm aus Raxul ( Nepal ) vom 17. Juni 1953 Am 27. Mai stellen Aubert, Flory, Lambert und Tenzing auf dem Nordostgrat des Everest ein Zelt auf. Es bildet Lager VII auf 8400 m! Auf dem vom Südsattel aus aufgenommenen Bild ist der höchste Punkt auf etwas über 8600 m sichtbar, den Lambert und Tenzing erreicht haben.

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