Schweizer Forschungsergebnisse bei Höhenlungenödem
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Schweizer Forschungsergebnisse bei Höhenlungenödem

Dicker Forschungserfolg in dünner Luft

Nach dreijähriger Forschungsarbeit haben Schweizer Gebirgsmediziner bewiesen, dass das unter Umständen lebensbedrohliche Höhenlungenödem nicht auf eine Entzündungsreaktion, sondern auf einen Überdruck in den Lungengefässen zurückzuführen ist.

Während Jahren haben die beiden Ärzte Marco Maggiorini und Peter Bärtsch zusammen mit einem internationalen Ärzteteam den Entstehungsmecha-nismus des Höhenlungenödems untersucht. Mit ihrer Studie 1 legen sie ein überraschendes Resultat vor: Das von den Alpinisten gefürchtete Höhenlungenödem ( ab 2500 m ü. M. ) wird nicht von einer Entzündungsreaktion ausgelöst, sondern geht primär auf den in grosser Höhe erhöhten Blutdruck in den Lungengefässen zurück. Diese Erkenntnisse sind grundlegend wichtig für die Höhen-lungenödem-Prophylaxe sowie die Behandlung bei akut Erkrankten und nicht evakuierbaren Bergsteigern.

Versuchslabor auf 4559 m ü. M. Zwischen 1997 und 1999 richteten die Forscher – neben den beiden Schweizern waren weitere Ärzte aus Belgien, England und den USA beteiligt – jeweils im Hochsommer in der Capanna Regina Margherita eine temporäre medizinische In-tensiv- und Forschungsstation ein. Zum Material, von der Air Zermatt zur Capanna transportiert, gehörten u.a. eine vollständige Röntgenanlage mit Ent-wicklungsapparat, ein Blutgas-Messgerät und ein Doppler-Echo-Kardiograf für Herzuntersuchungen. Untersucht wurden in der höchstgelegenen Hütte Europas ( 4559 m ü. M., über Zermatt auf der Grenze zwischen Italien und der Schweiz ) bei über 50 Versuchspersonen die höhenbedingten Veränderungen im Lungenkreislauf. Bei den Probanden aus Italien, Deutschland und der Schweiz wurden Lungenspülungen, Herzkatheter- sowie blut- und nuklearmedizinische Untersuchungen während mehrerer Tage vorgenommen. Weit über 10 000 Proben und Datensätze wurden in der Folge ausgewertet und mit entsprechenden Daten aus dem Flachland verglichen. Für die beiden Forscher Peter Bärtsch und Marco Maggiorini besteht kein Zweifel mehr, dass der überhöhte Druck in den feinen Blutgefässen der Lunge der entscheidende Faktor für die Entstehung der Krankheit ist.

Flüssigkeit statt Sauerstoff in den Luftbläschen der Lunge Wenn die Lunge ( bei einem zu schnellen Aufstieg in grosse Höhen ) mit sauer-stoffarmer Luft konfrontiert wird, ziehen sich ihre Gefässe zusammen ( Al-veolo-Kapillar-Reflex ). Damit steigt der Druck in diesen Blutgefässen um ein Mehrfaches an. Erfolgt dieser Druckanstieg zu abrupt, überträgt er sich auf die feinsten Blutgefässe, die Kapillaren. Dadurch dehnen sich diese aus, werden durchlässig, und es kommt zu einem Austritt von Blutplasma. Da diese Flüssigkeit die Luftbläschen in der Lunge füllt, kann dort kein Sauerstoff mehr aufgenommen werden, was eine ungenügende Sauerstoffversorgung nach sich zieht – u. U. eine lebensbedrohende Situation.

Untersuchungen im fortgeschrittenen Stadium der Krankheit haben ergeben, dass das ausgetretene Blutplasma eiweiss-reich ist und auch rote Blutkörperchen enthält. Die nuklearmedizinischen Untersuchungen 2 lassen bei den Lungen-werten auf keinerlei Anzeichen einer Entzündungsreaktion schliessen. Diese Forschungsergebnisse zeigen für Peter Bärtsch, dass das Höhenlungenödem durch einen Überdruck in den Lungengefässen, nicht aber wie ursprünglich angenommen durch eine Entzündungsreaktion hervorgerufen wird.

Ödem-Anzeichen: « Abstieg dringend empfohlen » Bei der Behandlung von Ödempatienten ist die Senkung des Drucks in den Lungengefässen von grösster Bedeutung. Der Druck in den Kapillaren kann nur mit einem Abstieg in tiefere Höhen verringert werden. Mit der Druckreduktion nimmt dann auch der Austritt von Blutplasma und von roten Blutkörperchen ab. Auch die Durchlässigkeit verschwindet schliesslich wieder vollständig. Die Auswirkungen des lebensbedrohenden

1 Die Resultate dieser Studie wurden in der Ausgabe der Fachzeitschrift « Circulation » von Ende April 2001 publiziert. 2 Diese Untersuchungen wurden von Fredi Pfeiffer, Nuklear-Physiker, Universitäts-Klinik Zürich, durchgeführt.

Blick auf die Capanna Margherita CAI, die höchstgelegene Hütte Europas, die Schweizer Höhenfor-schern als Versuchsbasis diente.

Fo to :Ma rc o Ma ggio rini DIE ALPEN 8/2001

Höhenlungenödems kann zwar mit einem langsamen Aufstieg und genügender Akklimatisation reduziert ( maximal 300 Höhenmeter pro Tag ), aber nie ganz verhindert werden.

Wer schnell in grosse Höhen aufgestiegen ist und über Atemnot beim Liegen, über Husten, rasselnden Atem und weissrötlichen Auswurf klagt, tut gut daran, so schnell als möglich abzusteigen und in tieferen Lagen das Verschwinden der Symptome abzuwarten. Sollte ein Abstieg oder eine schnelle Evakuation per Helikopter nicht möglich sein, müssen die Blutgefässe von Ödempatienten medikamentös erweitert werden, um so den Druck in den Lungenkapillaren zu senken.

Trotz Durchbruch neue Fragen Trotz den neu gewonnenen Erkenntnissen geht die Forschung auf dem Gebiet des Höhenlungenödems weiter. So interessiert die Frage, ob es möglich ist, den unter Sauerstoffmangel für das Lungenödem verantwortlichen erhöhten Lun-genarteriendruck im Tiefland mit geringem Aufwand zu messen. In diesem Fall könnten besonders gefährdete Bergsteiger gewisse präventive Vorkehrungen

treffen. Weiter will man sich mit der Frage der Vererbbarkeit des Höhenlungenödems befassen. Die Forscher sind überzeugt, dass die Ergebnisse rund um das Lungenödem neben den Bergsteigern auch für andere Krankheiten mit erhöhtem Druck im Lungenkreislauf von grosser Bedeutung sein werden. a

Tommy Dätwyler, Kölliken Ungewöhnlicher Forschungs-arbeitsplatz in dünner Luft: Capanna Margherita, 4559 m Die Auswertung der Resultate zeigt, dass das unter Umständen lebensbedrohende Höhenlungenödem auf einen erhöhten Druck in den Lungengefässen zurückzuführen ist; Versuchsanlage Capanna Margherita.

Gut 50 Versuchspersonen stellten sich für Untersuchungen von Veränderungen des höhenbedingten Lungenkreislaufes zur Verfügung.

Höhenbedingt waren die Tests auf der Capanna Margherita bedeutend unangenehmer als die Kontrollversuche im Tiefland.

Fo to s:

Ma rc o Ma ggio rini

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