Stromsparen statt Windparks in den Bergen
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Stromsparen statt Windparks in den Bergen Erneuerbare Energien im Alpenraum

Grundsätzlich äussert sich der Schweizer Alpenclub nicht zur Energiepolitik des Bundes. Bei der Umsetzung der Energiewende bezieht er jedoch Stellung. Als Anwalt der Berge will er mitreden, wenn es um Bauten zur Produktion von erneuerbarer Energie geht. Konfliktpotenzial birgt vor allem die Windenergie.

Die Ausgangslage ist sonnenklar: Sollen die Energiewende und der Ausstieg aus der Atomenergie gelingen, ist ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energieproduktion – Wind, Sonne, Wasser – unausweichlich. Auch in den Alpen: Während hier bei der Wasserkraft die Möglichkeiten mehr oder weniger ausgereizt beziehungsweise Optimierungen im Gange oder geplant sind, ist bei der Solar- und Windenergie noch einiges Potenzial vorhanden. Da hebt der SAC als Anwalt der Berge jedoch den Warnfinger. Wo sensible alpine Landschaften durch weit sichtbare Windenergieanlagen beeinträchtigt werden, wird er Interventionen ins Auge fassen. Aber auch wenn bisher unverbaute Wasserläufe angezapft werden sollen, wird der SAC die Projekte kritisch prüfen.

 

Der Testfall liegt im Lugnez

Ein aktuelles Beispiel bietet das hintere Lugnez (Val Lumnezia) – Teil des geplanten Nationalparks Adula: Hier schäumt der Wildfluss Glogn (deutsch: Glenner) ungezähmt zu Tal. Ein schönes Bild. Sein Wasser will nun die Kraftwerke Zervreila AG (KWZ) fassen und in den Zervreila-Stausee hinüberleiten, um dort zusätzlich 100 Gigawattstunden (GWh) Strom zu erzeugen. Aber nicht nur das: Im vorderen Lugnez planen das Walliser Unternehmen Altaventa AG zusammen mit dem EW Zürich rund um den beliebten Skitourenberg Um Su (2357 m) den Megawindpark Surselva. Geplant sind 40 Windmasten, die zusammen jährlich bis 170 GWh Strom erzeugen können. Das wäre gut viermal so viel, wie der bislang grösste Park am Mont Crosin (40 GWh) im Jura erzeugt. Zum Vergleich: Das AKW Mühleberg produzierte im Jahr 2011 2605 GWh Strom.

Die Meinungen im Lugnez gehen auseinander. Tenor: lieber den Glogn zur Stromgewinnung nutzen als Stahlungetüme mit drehenden Rotorblättern auf dem Um Su aufstellen. Anderseits sind die Arbeitsplätze und die Pachtzinsen des Windparks auch nicht zu verachten: Nach einer Modellrechnung der Betreiberfirma würde der Windpark jährlich eine Million Franken in die Dorfkasse spülen. Das ist viel Geld für eine Berggemeinde wie Lumbrein, die erst kürzlich im Skigebiet Obersaxen-Vella eine Pistenbeschneiungsanlage für zehn Millionen Franken mitfinanziert hat. Die braucht nicht nur Wasser, sondern auch viel Strom.

 

Druck auf unerschlossene Gebiete nimmt zu

In der Schweiz tobt ein Kampf um die erneuerbaren Ener­gien. Seit Bundesrätin Leuthard im Mai 2011 den Atomausstieg verkündet und mit der Energiestrategie 2050 konkretisiert hat, richten sich begehrliche Blicke in den Alpenraum. Denn dort schlummern angeblich ungenutzte oder unternutzte erneuerbare Energiequellen – Wasser, Wind, Sonne –, die man anzapfen will. Bis 2050 soll ein Viertel des Stroms aus Wind- und Sonnenenergie kommen. Die Erneuerbaren sollen zumindest jenen Teil des Energielochs decken, der mit dem Abschalten der Schweizer Atommeiler entstünde.

Während den Umweltverbänden die Fotovoltaik am wenigsten Probleme bereitet, solange sie sich auf bestehende Infrastrukturanlagen, Dächer oder Lawinenverbauungen beschränkt, wehren sie sich vehement gegen die Nutzung der letzten frei fliessenden Gewässer. Der Atomausstieg dürfe nicht dazu führen, im Schnellverfahren ökologisch unsinnige Wasserkraftprojekte an sensiblen Kleingewässern zu bauen, warnt zum Beispiel der ETH-Hydrologe Andri Bryner von der Gewässerschutzorganisation Aqua Viva – Rheinaubund in der Zeitschrift «natur und mensch»: «Auf die Angst der ‹Versorgungslücke› gibt es bessere Antworten als die Mehrproduktion aus frei fliessenden Bächen, welche den Wert der Schweizer Berglandschaften prägen.»

Einer der brisanteren Vorschläge der Energiestrategie 2050, die Ende September 2012 in die Vernehmlassung geschickt wurde, sieht vor, dass die Kantone Gebiete ausscheiden, in denen die Nutzung erneuerbarer Energien möglich ist. Für den Bau von entsprechenden Anlagen seien möglichst rasche Bewilligungsverfahren vorzusehen. Das Energiegesetz soll so revidiert werden, dass die Nutzung erneuerbarer Ener-gien in der Regel gleich- oder höherwertig als Umwelt- und Landschaftsschutzinteressen zu gewichten ist. Das lässt nichts Gutes ahnen und zeigt: Der Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion dürfte in vielen Fällen mit dem Natur-, Landschafts- oder Gewässerschutz kollidieren. Der SAC wird geplante Eingriffe in bisher unerschlossene Landschaften in den Alpen oder im Jura gemäss seinen Richtlinien prüfen und sich, wo es ihm nötig scheint, gegen Windparks, Hochspannungsleitungen oder Wasserkraftwerke einsetzen.

 

Massiver Eingriff ins Landschaftsbild

Erinnern wir uns: Bis 2030 hofft das Bundesamt für Energie (BFE), rund 2% des Schweizer Stromverbrauchs durch Windenergie decken zu können. Swiss Eole, die Branchenorganisation für Windkraft und Partner von EnergieSchweiz, formuliert ehrgeizigere Ziele: Per 2020 schätzt sie den Beitrag der Windenergie auf über 3%, bis 2035 auf 10% – wenn denn die Ausbauvorhaben zügig realisiert werden können. Die Einführung der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) unterstützt den Ausbau der Windenergie, indem der Strom mit kostendeckenden Tarifen vergütet wird. Dies hat zu einem Boom von Projekteingaben für Windanlagen geführt, sodass momentan ein akuter Rückstau bei den Genehmigungsverfahren herrscht. Aktuell wird die Planung von Windparks vielerorts durch Einsprachen und Rekurse verzögert. Im Fall des Lugnez hat sich zum Beispiel eine namhafte Opposition gebildet, die Interessengemeinschaft Sezner-UmSu-Grenerberg. Den Gegnern ist nicht allein der massive Eingriff ins Landschaftsbild ein Dorn im Auge. Wegen der grossen Rotorblätter sind sie auch in Sorge um die Zugvögel.

Nun soll also Windenergie an Orten gewonnen werden, die bislang tabu und vor technischen Installationen verschont geblieben waren – in den Bergen, dem Kerninteressengebiet des SAC. Der Alpenraum ist definitiv unter Druck. Der SAC-Zentralvorstand hat Ende August 2012 das Positionspapier «Erneuer­bare Energien im Alpenraum» verabschiedet (siehe «Weiterlesen»). Darin werden klare Leitlinien festgelegt. Der SAC äussert sich in der Regel nur zu Projekten für erneuerbare Energien oberhalb von 1400 Metern über Meer. Dort lehnt er die Wind-, Wasser- oder Solarenergienutzung in bisher unverbauten oder unerschlossenen Gebieten in den Alpen oder im Jura ab.

 

Schluss mit Elektroheizungen

Der SAC will aber nicht nur verhindern. Der Verband tritt auch für Massnahmen ein, um den Anstieg der Erderwärmung bis 2050 auf höchstens zwei Grad (gegenüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung) zu begrenzen. Dies ist nur möglich, wenn die fossilen Energieträger systematisch ersetzt und die Energieeffizienz auf breiter Front verbessert werden. Mit Stromeinsparungen würden auch Windparks in der unerschlossenen Bergwelt weitgehend überflüssig. Darum misst der SAC der Förderung des Stromsparens und der Energieeffizienz in seinen Grundlagenpapieren zentrale Bedeutung bei. Heute werden in der Schweiz rund 40% des Stroms ungenutzt verschwendet, das ist fast so viel, wie die fünf AKW der Schweiz zusammen erzeugen. Vordringlich ist der Ersatz von Widerstandsheizungen, eine grandiose Form von Stromvernichtung, die von den Elektrounternehmen in den 1970er- und 1980er-Jahren vor allem in den Bergen stark propagiert wurde. Die rund 230 000 Elektroheizungen in Haushalten verbrauchen viel Strom: drei Terawattstunden (TWh). Das ist mehr Strom, als das AKW Mühleberg 2011 produzierte, und entspricht 5% des Schweizer Endbedarfs von insgesamt 60 TWh. Der Ersatz der Widerstandsheizungen wurde lange gefordert. Jetzt soll es bis zum Jahr 2025 endlich so weit sein: Der Nationalrat hat Anfang Oktober 2012 eine Motion gutgeheissen, in welcher der Bundesrat aufgefordert wird, ein Gesetz zum Ersatz der Widerstandsheizungen bis 2025 vorzulegen. Sie sollen durch umweltfreundliche Heizsysteme ersetzt werden. Der Ersatz von Elektroboilern zum Aufheizen von Warmwasser ist ein weiteres Thema; sie verbrauchen nochmals 2,6 TWh Strom. Heimliche Stromfresser sind ferner die ineffizienten Umwälzpumpen, die das Heizungswasser im Haus transportieren. Sie verschleudern schweizweit nochmals 1,2 TWh. Handlungsbedarf besteht auch bei den riesigen Energieverlusten durch Stand-by-geschaltete Geräte im Haushalt, vor allem der Unterhaltungselektronik.

Grösster Energiefresser im Land ist ohnehin der Häuserpark. Rund 70% der Gebäude sind sanierungsbedürftig, und die veralteten, stromintensiven Haushaltgeräte – Kühlschränke, Geschirrspül- und Waschmaschinen – müssten durch effiziente Geräte ersetzt werden. Gallus Cadonau von der Greinastiftung fordert, dass Neubauten nur noch als Null- und Plusenergiehäuser realisiert werden. Letztere sind Häuser, die als «Kraftwerke» mehr Energie produzieren, als sie verbrauchen. Eine breit abgestützte Koalition aus Umweltverbänden, Politik und Wirtschaft hat Ende August 2012 eine Stromeffizienzinitiative gestartet. Stromsparen sei in jedem Fall sinnvoller, als das Land mit Windparks zu überziehen und jedes Gewässer in ein Kraftwerk zu verwandeln, heisst es im Initiativtext. Der SAC begrüsst die Initiative, da sie die Kernanliegen seiner energiepolitischen Haltung aufnimmt.

 

Widerstreit der Interessen

Auch der Club Arc Alpin (CAA), die Vereinigung der acht Bergsportverbände des Alpenbogens, hat an seiner Mitgliederversammlung in Poschiavo im September 2012 einem Papier zur Energiepolitik zugestimmt. Darin wird auch der Konflikt aufgezeigt, in dem sich die CAA-Mitglieder bewegen: Einerseits will man weg von «unkalkulierbaren Risiken der Kernenergie» und die erneuerbaren Energien massiv ausbauen. Anderseits kollidiere der Beitrag des Alpenraumes zur Energiewende mit der Doppelfunktion der knappen Ressource Natur und Landschaft als Grossökosystem und als Grundlage der touristischen Nutzung der Alpen. Voilà. Der Widerstreit der Interessen ist angelegt.

Weiterlesen

«Position erneuerbare Energien im Alpenraum» des SAC-Zentralvorstandes: www.sac-cas.ch -> Umwelt -> Landschaftsschutz -> Energienutzung

 

Richtlinien «SAC und Umwelt»: www.sac-cas.ch -> Umwelt

Energie in den SAC-Hütten

Gewisse Standards wie Duschen für das Hüttenpersonal und besser ausgerüstete Küchen mit Geschirrspülautomaten würden sich durchsetzen, erklärte im September 2012 Energiefachmann Jürg Nipkow von der zentralen Hüttenkommission des SAC in der NZZ. Damit stellt sich die Frage, woher die Energie dafür kommen soll. In den Richtlinien «SAC und Umwelt» wird festgehalten, Kleinwindkraftwerke für SAC-Hütten seien bestmöglich in die Landschaft zu integrieren. Im Positionspapier zu den erneuerbaren Energien hält der Zentralvorstand fest, der SAC fördere bei Um- und Neubauten die Nutzung von erneuerbaren Energieträgern. Bisher hat sich vor allem die Fotovoltaik durchgesetzt: Heute beziehen etwa 90% der SAC-Hütten einen Teil ihres Stroms aus Solarzellen. Seit gut zehn Jahren sind auch die Sonnenkollektoren zur Warmwassergewinnung zusehends ein Thema. Rund zwanzig SAC-Hütten mit Zugang zu einem Fliessgewässer verfügen über ein Kleinstwasserkraftwerk, sechs haben eine kleine Windanlage.

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