«Stürzen gehört zum Spiel». Alt begegnet Jung
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«Stürzen gehört zum Spiel». Alt begegnet Jung

Alt begegnet Jung

In der Kletterhalle Magnet stehen für einmal Stühle. Denn an diesem Montagabend im September sollen sich Alt und Jung der Sektion Bern begegnen. Dabei stellt sich heraus, dass « Jung » nicht gleich « Jung » ist.

« Als ich noch in der JO war, wurde uns eine ganz andere Klettertechnik beigebracht !» Die Runde älterer Herren ist in ein angeregtes Gespräch vertieft: « Aber die Kleine ist ‹wie näs Spinneli› hinaufgeklettert », sagt Rolf Stolz anerkennend. Die Rede ist von der dreizehnjährigen Christine Schmid, die schon bald zur Nationalmannschaft gehören wird. An diesem Abend klettert sie für einmal nicht auf Sieg. Am 9. September 2002 begegnet sich Alt und Jung der Sektion Bern im Kletterzentrum Magnet in Niederwangen bei Bern.

Schule der Toleranz Stolz zückt seinen Notizblock und angelt sich Thomas Schmid, den Bruder von Christine. « Etwas für die Clubnachrichten » werde das geben, verrät der Protokollführer der Sektion. Diese Begegnung tue gut, das Generationenproblem jedoch sei nicht neu. « Die Familiengrün-dungslücke » nennt Stolz das Phänomen. Nach den aktiven JO-Jahren hätten sich schon früher viele zurückgezogen, um eine Familie zu gründen und erst später wieder in den Alpinismus einzusteigen. Die Familie Schmid, die sich ganz dem Klettern verschrieben hat, sei eine Ausnahme. « Die einen machen dies und die anderen das. Letztlich ist Bergsteigen eine Schule der Toleranz », findet Rolf Stolz und spricht damit einen weiteren Aspekt dieser Veranstaltung an: SAC-Mitglieder sollen tolerant genug sein, nicht nur den klassischen Alpinismus, sondern alle Spielarten des Bergsports gelten zu lassen.

Muskelübersäuerung? Nach der Show der Familie Schmid, die von Chef Leistungssport Sportklettern Hanspeter Sigrist kundig kommentiert

Hanni Gränicher ( links ) und Dorly Voirol schauen erst den jungen Sportkletterern zu, bevor sie selber in den Klettergurt steigen.

Rolf Stolz interviewt National-teammitglied Thomas Schmid zu seinen Erfahrungen im Spitzensport. Für einmal tummelt sich Alt und Jung der Sektion Bern vereint in der Kletterhalle Magnet in Niederwangen.

DIE ALPEN 1/2003

wird, können die etwa 50 Anwesenden den Sportlern Fragen stellen. Was sie gegen Muskelübersäuerung täten, will ein älterer Herr wissen. « Nichts », entgegnet Daniel, der dritte Spross der Familie. 12 Stunden Training pro Woche helfen wohl über einige saure Momente hinweg. Sind Touren ein Thema? « Sehr selten. Schon lieber Sportklettern. Vielleicht einmal aufs Snowboard !», gibt Thomas zur Antwort. Die Welten sind verschieden: Als Daniel aus einer schwierigen Route von der Decke fällt, kommentiert Sigrist lapidar: « Stürzen gehört zum Spiel. » Das hätte einer vor dreissig Jahren sagen sollen.

Doch lieber Wandern Dass Rolf Stolz den Klettergurt zuhause gelassen hat, findet der sechzehnjährige Krispin Baumann aus Schwarzenburg schade. Die ältere Generation lässt sich schliesslich aber nicht lumpen. Von der Wand mit Schwierigkeitsgrad 4 ertönt plötzlich der Ruf: « Jetzt ist sogar die Grossmutter oben gewesen. » Die Grossmutter ist Hanni Gränicher; vor lauter Freude umarmt sie ihren Sicherungspartner. Auch die 66-jährige Dorly Voirol bezwingt eine Route. « Ein gutes Gefühl », meint sie, doch wandern sei ihr trotzdem lieber.

Alpinismus als Definitionssache Nur eitel Freude herrscht aber nicht an diesem Abend: « Von der JO Bern ist eigentlich niemand da », stellt Hanspeter Sigrist fest. Das ist für ihn ein Armutszeugnis. Nach und nach stellt sich heraus, dass nicht « Alt begegnet Jung » angesagt wäre, sondern « ( ganz ) Jung begegnet nicht mehr ganz Jung ».

Die JO Bern habe ein anderes Profil, begründet ihr scheidender Chef Titus Blöchlinger das Fernbleiben seiner JOler: « Gegen das Sportklettern haben wir nichts, unsere Leiter setzen im Alpinismus einfach andere Schwerpunkte. » Falls eine junge, motivierte Kraft neben dem bestehenden Programm das Sportklettern in der JO etablieren möchte, würden ihm sicher keine Steine in den Weg gelegt, stellt er in Aussicht. Für ihn käme dies jedoch nicht in Frage.

Organisator Markus Keusen ist trotz dieses Wermutstropfens zufrieden. Sein Ziel, eine Sektionsveranstaltung zu organisieren, die vom Kind bis zum Rentner alle anspreche, habe er erreicht. Gefreut habe ihn dabei, dass auch ältere Semester, häufig Entscheidungsträger in Sektion und Gesamtclub, den Klettergurt umgeschnallt hätten und so live erlebten, wie sich die Jüngsten sportlich engagierten. Nur so könne das Verständnis füreinander wachsen, ist Keusen überzeugt. Der 64-jährige Rolf Stolz hat seinen Einstand in der Kletterhalle auf jeden Fall genossen: « Ein Super-Abend » ist sein Fazit. Und wahrscheinlich hat er mit dem Zitat von Friedrich dem Grossen Recht, dass « jeder nach seiner Façon selig werden muss». a

Christoph Aebischer, Bern Der Schwarzenburger Krispin Baumann kurz vor der letzten Expressschlinge im Dach-Dorly Voirol beim Einstieg in die Kletterwand Christine Schmid im senkrechten Bereich vor Beginn des überhängenden Wandteils Fo to s:

Ch rist oph Ae bi sc he r bereich des Kletterzentrums Magnet von Niederwangen DIE ALPEN 1/2003

Schutz der Gebirgswelt

La difesa dell'ambiente

Protection de la montagne

SAC-Ressort Umwelt

IJB 2002 – was bleibt?

Das internationale Jahr der Berge IJB 2002 hinterlässt einen gewaltigen Berg von Dokumenten, guten Absichten, Forderungen. Was war der Sinn, was konnte es bewirken, was wirkt weiter? Wie stand die Schweiz, wie der SAC darin? Eine persönliche Wertung des SAC-Umweltbeauftragten.

« Für den SAC ist jedes Jahr ein Jahr der Berge », meint unser Zentralpräsident. Recht hat er. Was heisst das aber nun für uns im SAC? Etwa: dass die Berge in unserem Tourenprogramm jährlich das zentrale Thema sein sollen? Oder heisst es nicht mehr? Etwas anderes? Manche Mitglieder haben sich 2002 bei ihren Aktionen und Aktivitäten von der Idee des Jahrs der Berge leiten lassen. Allen, die sich engagiert und mit Lust und Fantasie dazu beigetragen haben, die Bergwelt über den Tellerrand der bergsportlichen Betätigung hinaus zu beleuchten und zu erfassen, sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt. Hoffentlich wirken viele dieser Projekte weiter.

Goldene Zukunft der Berggebiete? Wie schon viele andere thematische Jahre hat auch das IJB zu einem beeindruckenden « Berg » von Konferenzen, Absichtserklärungen, Chartas, Konventionen, Papieren, Thesen und wissenschaftlichen Studien geführt. 1 Wenn es nach den vorhandenen Ideen und Konzepten geht, dürfen sich die Berggebiete auf eine goldene Zukunft freuen. Doch wir alle wissen, dass die Umsetzung solch löblicher Absichten in der Realität der wirtschaftlichen Zwänge, der menschlichen Unzulänglichkeiten, der politischen Unwägbarkeiten, des kurzfristigen Machtdenkens und der nationalen bis chauvinistischen Reflexe eine ganz andere Geschichte ist. Sind deswegen alle diese « Papierberge » gleich auf den « Abfallberg » zu schmeissen? Sind eine « Caucasian Convention », aufgebaut nach dem Muster der Alpenkonvention, eine « Carpathian Cooperation », eine « Central Asian Charter » all das Papier wert, auf dem sie stehen? Sind all die Konferenzen, Tagungen, Workshops und Gespräche nur Seifenblasen, die kurz auf-schimmerten, um dann wirkungslos zu zerplatzen?

Nein! Denn wenn wir sie nüchtern als das nehmen, was sie sein können – als Ausgangspunkt für einen langen und oft mühsamen Weg in die richtige Richtung –, haben sie ihren Wert. Schon allein die Tatsache, dass an internationalen Konferenzen Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen über ein gemeinsames Thema diskutieren, ist Gold wert. Da können Berge von Vorurteilen, Ängsten, Sorgen angegangen und abgebaut werden. Das ist die Chance: das Jahr der Berge als Start für ein Jahrhundert der Berge.

Von den hohen Zielen... Wäre die Schweiz schon länger Vollmitglied der UNO, hätte gewiss sie das IJB lanciert. Kirgistan, die « asiatische Schweiz », nahm dann diese Chance wahr. 2 Trotzdem spielte die Schweiz im IJB auf dem internationalen Parkett eine zentrale Führungsrolle. So ist es hauptsächlich ihr Verdienst, dass am Weltgip-fel von Johannesburg und anschliessend am Global Mountain Summit von Bishkek in Kirgistan die « Internationale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung in Bergregionen » gegründet wurde. 3 In der Schweiz selbst wurden ebenfalls zahlreiche Initiativen und Ideen lanciert, die letztlich alle auf das Gleichgewicht von ökonomischem Gewinn, ökologischer Rücksichtnahme und sozialer Gerechtigkeit abzielten.

... zur ernüchternden Realität Doch wie sieht die Realität aus, wenn aus schönen Bekenntnissen Verpflichtungen erwachsen, die es zu akzeptieren, gar umzusetzen gälte? Aktuelles Beispiel ist die Alpenkonvention. Mit ihr verfügen die Alpenländer erstmals über ein trans-nationales Instrument der solidarischen Zusammenarbeit, das international als vorbildlich für die nachhaltige Entwicklung einer Grossregion beurteilt wurde. Die noch sehr unverbindliche Rahmenkonvention wurde schon vor Jahren ratifiziert, auch von der Schweiz.. " " .B.ei der Erarbeitung der konkreter werdenden, ver-bindlicheren Protokolle wurden die Zweifel der Schweizer Bergkantone in langjährigem und kreativem Dialog ausgeräumt und fast sämtliche klaren Forderungen in Empfehlungen umgewandelt. Trotzdem wurde die Ratifizierung von Wirtschafts- und Gewerbekreisen 4

hart bekämpft, und das Schicksal der Alpenkonvention ist in der Schweiz ungewisser denn je. 5 Dies ist nicht nur für den Bundesrat und die in der Bundesverfassung verankerte Strategie der nachhaltigen Entwicklung ein Rückschlag. Auch für das internationale Ansehen der Schweiz ist es mehr als nur ein « Dolggen im Heft ». Vor allem aber ist es für unser Berggebiet als wirtschaftliches Randgebiet ein herber Rückschlag.

Suiza existe? SAC existe? Es ist verwirrlich: einerseits die Schweiz als internationale Führungsnation für eine nachhaltige Entwicklung und Solidarität der Berggebiete und andererseits die Schweiz als isolationistischer, klein-krämerischer Blockierer bei der Alpenkonvention, wenn es gilt, diese Ideen zu konkretisieren. Von aussen gesehen muss die Frage gestellt werden: Gibt es denn eine Schweiz? Suiza existe?

Es ist wohl kein Zufall, dass gerade das multikulturelle Bergtrekking der SAC-Kulturkommission, eine der meist-beachteten Aktionen des IJB in der Schweiz, unter diesem Titel stand 6 – allerdings ohne Fragezeichen! Ob der Anlass seine programmatische Behauptung wirklich bestätigen konnte, findet sich im Buch « Suiza existe ». 7

1 Einblicke und Einstiege dazu im Internet unter http://www.berge2002.ch" target="_blank">www.berge2002.ch; http://www.does-it-matter-horn.ch" target="_blank">www.does-it-matter-horn.ch; http://www.mountains2002.org" target="_blank">www.mountains2002.org; http://www.globalmountainsummit.org" target="_blank">www.globalmountainsummit.org/home_page.html 2 Vgl. ALPEN 7/2002, S. 22–29 3 Deklaration siehe unter http://www. globalmountainsummit.org/intl_partnership.html 4 Führend dabei ist der Wirtschaftsdachverband « economiesuisse », der wohl in der Berggebietsförderung und der finanziellen Solidarität ein Abdriften von der angestrebten konsequenten Liberalisierung sieht. 5 Zur Zeit der Verfassung dieses Beitrages war die entscheidende Beratung der Ratifizierungs-botschaft im Ständerat noch nicht erfolgt. 6 Mehr Infos dazu unter www.suizaexiste.ch 7 Vgl. ALPEN 12/2002, S. 52 DIE ALPEN 1/2003

Das Jahr der Berge bot auch uns als SAC die Gelegenheit, nicht nur über das persönliche Verhältnis zur Bergwelt nachzudenken, sondern auch über dasjenige unseres Clubs: « SAC existeSAC existe ?» Was hat der SAC mit der Bergwelt am Hut? Nur das Bergsteigen? Die Diskussion ist eröffnet – einmal mehr. Hoffentlich wird sie intensiv geführt, unter Freunden am Berg, in der Sektion, im Gesamtverband. Ich persönlich wünsche mir, dass sich der SAC in Zukunft für mehr Austausch und Engagement mit Berggebieten und Bergbevölkerun-gen auf internationaler Ebene einsetzen wird. Ganz nach dem Motto des IJB: Berge verbinden! a

Jürg Meyer, Umweltbeauftragter SAC Fo to :A rc hi v Jür g M ey er Jahr der Berge: Gelegenheit für einen Blick auf die Berge über das Bergsteigen hinaus – bei uns und

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