Toni Mair: Berg- und Landschaftserbauer
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Toni Mair: Berg- und Landschaftserbauer Ein Kunsthandwerk ist vom Aussterben bedroht

Toni Mair baut Berge und Täler, Dörfer und Städte. Er ist Reliefbauer mit Leib und Seele. Aber der Nachfolger von Eduard Imhof wird wohl der letzte sein. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht.

Weit öffnet er die Türe seines Hauses in Unterägeri und grüsst genauso höflich wie das Matterhorn, das sich stolz neben ihm präsentiert. Sein Reich ist aber der Keller, sein Atelier.

 

Computer sind doof

Um es gleich vorwegzunehmen: Der Begriff «Relief» kommt aus dem Französischen und bedeutet so viel wie «erhoben». Und genau hier liegt der Unterschied zu heutigen Computerprogrammen, welche die detailgetreu handgefertigten Reliefs konkurrenzieren wollen. Die dreidimensionale Qualität der Programme, sagt Mair, sei mässig bis schlecht: «Die Lebendigkeit der Landschaft kann mit einem elektronisch gebauten Relief nicht wiedergegeben werden.» Der Computer hat viel zu wenig Informationen, er verfügt lediglich über digitale Daten, wie eine Vektorkarte, die man auch im Internet findet. Das sind aber lediglich etwa 30 Prozent der nötigen Daten. Mair verwendet auch stereoskopische Aufnahmen, welche die Landschaft von oben und von der Seite her zeigen. Hinzu kommt, dass die computergesteuerten Maschinen die Struktur einer Felswand von oben her fräsen. «Ich würde mich schämen, so etwas abzugeben», sagt Mair lachend. Kurz, die Maschine hat kein Gefühl für die Landschaft. «Man kann auch eine Geige elektronisch imitieren, das erreicht aber nie die Qualität einer Geigerin, die auf einer Stradivari spielt», sagt Mair.

 

In Zürich studierte Mair nach der Matura Geografie mit den Nebenfächern Geologie, Petrografie, Paläontologie und Anthropologie. Die ganze Palette also, die ihm in seiner späteren Berufung von grossem Nutzen sein sollte. Vorerst aber nahm er eine Lehrertätigkeit am Gymnasium Zug auf. Dort unterrichtete er schliesslich 30 Jahre lang und begann nebenher mit dem Bau von Reliefs.

 

Imhofs Credo: Präzision

Professor Eduard Imhof (1895–1986) war es, der den jungen Wissbegierigen forderte und förderte. Imhof, ehemals Chef des Kartografischen Instituts ETH Zürich, sei ein Genie im Zeichnen und Malen gewesen, sagt Mair. Kein Geringerer als Imhof war es auch, der die Schweizer Landkarte und den Mittelschulatlas erschuf. «Er war ein strenger Lehrmeister, der mir viel abverlangte», sagt Mair mit grosser Hochachtung. Imhof, der grösste Reliefbauer des 20. Jahrhunderts, hatte sich ein Ziel gesetzt: Die Fotografie eines guten Reliefs solle sich von der Fotografie des Originals nicht unterscheiden lassen. Kein einfaches Erbe für Imhofs einzigen Nachfolger. Um diesen Qualitätsstandard zu erreichen, sagt Mair, habe er 15 Jahre gebraucht. Gletscherspalten und Felsstrukturen naturgetreu zu präparieren, sei absolute Präzisionsarbeit, die – nebst dem Können – nur mit viel Geduld und Ausdauer erreicht werde. Das Schwierigste seien die Gletscher, erklärt der Reliefbauer. «Sie müssen fliessen; wie ein Strom.» Dafür habe er Jahre gebraucht.

 

Als ob ein Kind auszieht

Der durchschlagende Erfolg gelang Toni Mair mit dem bedeutenden Berninarelief mit einem Mass von 270 Zentimetern im Quadrat, an dem er von 1986 bis 1990 arbeitete. «Heute wäre ich schneller», sagt er dazu. Das Berninarelief konnte er daraufhin auch für die Naturmuseen Winterthur und Chur, für das Alpine Museum in Bern und für den Gletschergarten in Luzern anfertigen. Macht es ihm nicht zu schaffen, ein Werk nach so langer Arbeit aus der Hand zu geben? «Sicher», antwortet Mair, «es ist, als würde ein Kind sein Zuhause verlassen.»

 

Immer weniger weiss

Obwohl seine Werke unbeweglich scheinen, sind es Monumente der Vergänglichkeit: Die Gletscher ziehen sich zurück, Dörfer wandeln sich zu Städten. Und das merkt der Reliefbauer an seinen Farbtöpfen. «Heute benötige ich nicht mehr so viel weisse Acrylfarbe, weil die Gletscher schmelzen.» Und er sagt es genauso wehmütig, wie passionierte Berggänger es tun. Für einen Quadratmeter eines wissenschaftlich fundierten Reliefs wendet Toni Mair zwischen 300 und 350 Arbeitsstunden auf. Am besten voran kommt er, wie der Unermüdliche sagt, «wenn ich an einem Stück zehn Stunden durcharbeiten kann.» Für seine Frau sei es ein Leichtes, ihn zu finden. Der Keller ist sein Revier, sein Atelier, sein Zuhause; hier arbeitet er, umgeben von Gips, Farbe und Sperrholz.

Weshalb scheint es so schwierig, Nachwuchs für den Beruf des Wissenschaftlichen Reliefbauers zu finden? Toni Mair weiss die Antwort rasch: «Nebst Geduld sind eine genaue Beobachtungsgabe, Durchhaltevermögen, geologische und morphologische Kenntnisse unerlässlich, aber auch malerische Fähigkeiten werden gefragt.» Diese Eigenschaften in einer Person zu finden, ist offenbar nicht leicht. Noch hätte der Spezialist Zeit und Geduld, einem Wissensdurstigen seine Fachkenntnisse in die Hände zu legen. Aber auf einen Nachfolger wartet Toni Mair bisher vergeblich.

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