Von Saint-Maurice in den hohen Norden
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Von Saint-Maurice in den hohen Norden Expeditionen einer Klosterschule

Die Groupe Montagne de l’Abbaye de Saint-Maurice bildet seit den 1980er-Jahren Jugendliche im Bergsteigen aus. Als Höhepunkt winken mehrwöchige Expeditionen.

Juli 2012, Südgrönland, am Eingang des Torsukatak-Fjords: 14 junge Alpinisten, darunter drei Frauen, alle zwischen 17 und 20 Jahre alt. Sie sind begleitet von drei Bergführern, einem Geistlichen, einem Arzt und einem Filmemacher. Die Expedition der Groupe Montagne de l’Abbaye (GMA) hat ihr Basislager eingerichtet. In den kommenden fünf Wochen sind Grattouren, Trekkings und Kletterrouten in grossen Wänden geplant, und das in einer von menschlichen Einrichtungen weitgehend unberührten Umgebung. Ein packen­des Programm für die jungen Teilnehmer, die sich während dreier Jahre darauf vorbereitet haben. Für den Berg­führer Philippe Gay, der an seiner fünften Expedition im Rahmen der GMA teilnimmt, ist Grönland ein ideales Gebiet. «Die Fjorde zwingen uns zu einem autarken Leben, was die Expedition sehr authentisch macht. Im Übrigen bleibt das Risiko in einem vertretbaren Rahmen, denn das Land ist politisch stabil und gut entwickelt. Im Notfall können wir uns auf die Einheimischen verlassen.»

Eine lange Geschichte

Grönland ist für die Walliser Expeditionsgruppe heute eine bevorzugte Expeditionsgegend, weil sie eine lange Tradition damit verbindet. Alles begann 1974 mit einem Impuls von Edgar Thurre, einem Geistlichen und Bergführer. Er tat sich mit dem jungen Walliser Bergführer Jean-Luc Vuadens zusammen, um die Bergsektion der Sportvereinigung des Collège de l’Abbaye de Saint-Maurice zu gründen. «Wir organisierten schon Pilgerfahrten zum Hospiz des grossen St. Bernhard, und diese Camps waren jedes Mal ein grosser Erfolg. Wir entschlossen uns deshalb, eine aufs Bergsteigen spezialisierte Gruppe für eine Expedition ins Leben zu rufen», erzählt Jean-Luc Vuadens, «Grönland hat mich als Destination überzeugt, weil es unsere Auswahlkriterien erfüllt: im Sommer lange Tage und stabile Wetterverhältnisse.» Es entstand eine Gruppe ausschliesslich mit Männern aus den Kollegien Saint-Maurice und Sion, Frauen kamen erst in späteren Expeditionen mit. Wie bei jeder Expedition dauerte die Vorbereitung rund vier Jahre und umfasste regelmässige Kletterlager, Berg- und Skitouren. «Wer gespalten war zwischen Bergsteigen, Fussball und Klavier spielen, konnte zu Hause bleiben. Das Engagement für die Expedition musste total sein», erinnert sich Jean-Luc Vuadens.

Die Bergführer forderten das Engagement ein, weil damals keine Möglichkeit bestand, Hilfe anzufordern, wenn man einmal im Fjord war. Die Teilnehmer mussten körperlich, mental und technisch fit sein, denn sie mussten ohne Satellitentelefon völlig autonom funktionieren können. 1981 flogen dann 20 Studenten auf die Halbinsel Qioqé an der Westküste Grönlands, begleitet vom Führer-Priester Edgar Thurre sowie von Jean-Luc Vuadens.

Die Berge und ihre pädagogischen Werte

Zwischen 1981 und 2012 fanden im Rahmen des GMA zehn Expeditionen statt, vier in Norwegen und sechs in Grönland. In den 30 Jahren hat sich der technische Aufwand beträchtlich erhöht. Anfänglich waren Kletterfinken im Gepäck nicht unbedingt notwendig, denn der Schwierigkeitsgrad war nie höher als 5+. «Wir bevorzugten Über­schreitungen auf gemischten Graten und mehrtägige Trekkings. Ein Mittel, um die Jungen zu lehren, ihren eigenen Weg mittels Reflexion zu finden», betont Jean-Luc Vuadens.

Letzten Sommer hob die Gruppe das Niveau markant, als ihr die Ersteigung einer 600 Meter langen Route gelang. Die Ent­wicklung wurde möglich durch die Verbesserung des technischen Materials und auch durch die Unter­stützung von einigen Ansässigen.

Aber trotz der veränderten Art, wie die Expedition an die Berge herangeht, ist das Grundsätzliche geblieben. Mit der jahrelangen Vorbereitung und den vielen Nächten im Biwak stellt die eigentliche Expedition nur den sichtbaren Höhepunkt eines längeren Abenteuers dar. «Zwischen Pubertät und Erwachsenenalter suchen Jugendliche Orientierungspunkte, und die Berge können ein gutes Mittel sein, sich selber kennenzulernen. Das Bergsteigen hat dieses Lernpotenzial, das ihnen hilft, selbstständig und verantwortungsbewusst zu werden», meint der Berg­führer Philippe Gay.

Viele werden Bergführer

Darüber hinaus konnte jede Reise, die ja von der Abtei Saint-Maurice und ihrer Schule organisiert wurde, auf die Teilnahme eines Mitglieds der Religionsgemeinschaft zählen. Antoine Salina, Domherr und Priester, war zwischen 1996 und 2012 der treue Vertreter in Norwegen und Grönland. Für ihn ermöglicht «die Erfahrung in der schönen und fordern­den Bergwelt den Jungen, sich einer geistigen Dimension zu öffnen, indem sie die Schöpfung selber erfahren». Es hat sich die Tradition ergeben, dass im Basislager jeden Sonntag eine Messe gefeiert wird, wobei niemand verpflichtet ist, daran teilzunehmen.

Von den drei Bergführern, die von der Abtei angestellt sind, haben zwei bereits ihre Spuren in der damaligen Gruppe hinterlassen. «Etwa zehn Teilnehmer haben nach unseren Expeditionen die Ausbildung zum Bergführer begonnen», stellt Antoine Salina fest. Ein Beweis mehr für die Vielfältigkeit dieser Erziehung in den Bergen.

Mehr Infos über die GMA

Das Expeditionsteam des SAC

Der SAC hat 2009 sein eigenes Förderprogramm für junge, talentierte Alpinisten ins Leben gerufen. Ziel: Unterricht in klassischem Bergsteigen im anspruchsvollen Gelände für SAC-IO-Mitglieder. Nach einer strengen Selektion nehmen sie an einem dreijährigen Kurs teil. Dieser endet mit einer Expedition, welche die Jugendlichen selber mit der Unterstützung von erfahrenen Berg­führern planen. Die erste Staffel hatte 2012 erfolgreich eine Expedition nach Peru durchgeführt (siehe «Die Alpen» 7/2012 und 11/2012). Die zweite Staffel beginnt ihre Ausbildung 2014. Mehr Informationen unter www.sac-cas.ch > Jugend > Leistungsbergsteigen oder auf der Facebook-Seite des Teams.

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