Wenn der Schnee gefährlich glänzt
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Wenn der Schnee gefährlich glänzt Ein Wochenende als Skitourenlehrling

Wie funktioniert eine Spitzkehre, wie orientiert man sich im Nebel und wie verhindert man, in eine Lawine zu geraten: der Sicherheitskurs für Anfänger gibt Antworten. Erste Schritte auf dem Col de la Golèse (F).

Lawine! Zwei gehen los. Sie suchen zuerst das Signal, dann folgen sie dem Pfeil auf dem Display des Lawinenverschüttetensuchgeräts (LVS), immer langsamer werdend, verfeinern sie ihre Suche, indem sie das Gerät ganz nah am Boden halten. Wenn die Distanz auf der Anzeige nicht mehr kürzer wird, kreuzen sie den Verschütteten ein. Jetzt sind wir dran. Lawinensonde und Schneeschaufel kommen zum Einsatz. Michel Grivet, der Kursleiter, bremst den Eifer: «Vorsicht mit der Schaufel, mein LVS ist noch ganz neu.» Wir bergen stolz den Kehrichtsack, in dem der Radiowellen ausstrahlende Sender verpackt ist. Viereinhalb Minuten hat das gedauert. Nicht schlecht für den Anfang. Vor allem wenn man weiss, dass die Überlebenschancen von Verschütteten nach 15 Minuten nur noch gering sind.

Mit dem Ziel, zu zeigen, wie wertvolle Sekunden gewonnen werden können, organisieren die SAC-Sektion Carougeoise wie auch andere Sektionen alljährlich einen Sicherheitskurs Wintersport für Anfänger. Es ist die Gelegenheit, sich in der grossartigen Gegend des Col de la Golèse in der Region Samoëns (Haute-Savoie) ins Skitourengehen und die Sicherheitstechnik einführen zu lassen.

 

Sanfte Landung im tiefen Pulverschnee

Es ist ein eigenartiges Gefühl, Ski an den Füssen zu haben, die nicht gleiten. Es ist, als hätte ich Schwimmflossen montiert. So mache ich meine ersten Schritte mit den Fellen an den Ski. Wir gehen in kleinen Gruppen von fünf Personen. Langsam wärmt sich der Körper auf. Die Bewegung ist ganz natürlich. Nicht die Füsse heben, sondern die Ski gleiten lassen, indem man die Hüfte nach vorne schiebt. Es ist fast wie beim Langlauf.

Der tiefe Pulverschnee auf den sonnenüberfluteten Weiden schafft die Gelegenheit, die Spitzkehre zu üben. Es ist ein zwingend notwendiges Manöver, wenn der Hang mehr als 30 Grad steil wird. Mit kurzen Ski ist die Sache recht einfach, die anderen machen unelegant einen grossen Bogen mit gestrecktem Bein und geraten prompt aus dem Gleichgewicht. In sanften Hängen ist die Übung unkompliziert. Ich versuche mich an einer steilen Böschung. Zuerst bin ich stolz auf meinen Fersenschub, mit dem ich die Skispitze nach oben bringe, doch dann verliere ich das Gleichgewicht und falle rückwärts um, das Gewicht des Rucksacks ist schuld. Sanft lande ich im tiefen Pulverschnee.

Angesichts unserer Bemühungen kann sich Olivier Mermod (79) nicht mehr zurückhalten. Triumphierend macht er einen Schritt wie ein Tänzer und vollbringt die Spitzkehre mit ausserordentlicher Eleganz, aber sonderbarer Technik: Aus der Ausgangsposition dreht er den Bergski, stellt ihn in der neuen Richtung hin und dreht dann den Talski auch noch in die Gegenrichtung. Seine ziemlich akrobatische Technik brachte er der Genferin Renée Colliard bei, Goldmedaillengewinnerin im Spezialslalom der Frauen in Cortina d’Ampezzo 1956. Der älteste unter den rund 40 Teilnehmern zu sein, stört ihn überhaupt nicht. «Man muss sich zuerst einmal aufraffen, aber dann kommt das Glücksgefühl von selber.»

 

Die dumpfen Geräusche des Schnees

In den Flanken der Berge rundum sind an den Hängen grosse Schneebretter abgegangen. Der Schnee hat sich verändert: Er glänzt, ist vereist, die Oberfläche ist durch den Wind hart geworden. «Es sind gefährliche Verhältnisse», sagt Hans Bräm. Der 60-jährige Kursorganisator ist Präsident der Verlagskommission des SAC. Früher war er Lawinenspezialist und Sprengmeister in der Schweizer Armee, jetzt nimmt er den Abend in der Cabane du Col de la Golèse zum Anlass für einen Vortrag mit Laptop und Beamer. Er zeigt Bilder von Schneebrettern, die sich durch die Unvorsichtigkeit der Skifahrer gelöst haben. Die Videos und sein Wissen sind beeindruckend.

Die Lawinenverhältnisse zu beurteilen, erfordert viel Erfahrung. Aber aus der Präsentation gehen einige einfache Prinzipien hervor, die helfen, das Risiko zu reduzieren: Vorsicht bei durch den Wind verharschtem Schnee, lieber auf den Kuppen als in den Mulden aufsteigen, auf die dumpfen Wummgeräusche achten. Und vor allem: umkehren, wenn es zu gefährlich wird. Bei erheblicher Lawinengefahr (Stufe 3) sollen Hänge, die über 30 Grad steil sind, gemieden werden.

Dazu muss man aber die Steilheit erst berechnen können. Das beginnt schon bei der Tourenvorbereitung mit der Karte, aber es gibt auch verschiedene Messtechniken, die nützlich sind, wenn man einmal unterwegs ist. Diejenigen, die im Nachmittagsprogramm präsentiert werden, haben alle ihre Tücken. Die Methode mit den Stöcken erfordert gewisse Kenntnisse in Geometrie. Die Berechnung mit dem Kompass scheint sehr zuverlässig, aber man muss sich in den Schnee legen. Vielleicht ist die «deutsche» Methode, die uns von einer deutschen Teilnehmerin gezeigt wird, die am besten geeignete für Anfänger: ein Senkblei und ein Stück Karton mit eingezeichneter Gradeinteilung. Wenn man den Karton nicht verkehrt herum hinhält, besteht keine Gefahr, etwas falsch zu machen. Einen Nachteil haben all diese Techniken: Um sie anzuwenden, muss man den gefährlichen Hang betreten. Darum ist eine seriöse Vorbereitung mit der Karte auch so wichtig.

 

Eine Sektion, Mitglieder aus ganz Europa

Der Abend vergeht mit Reden, Degustieren von Weinen aus der Gegend, Austauschen von Erlebnissen und Knüpfen von neuen Bekanntschaften. Deutsche, Engländer, Italiener, Spanier, Franzosen: An einem Wochenende trifft sich ganz Europa in den Bergen. Der Kurs wird in mehreren Sprachen ausgeschrieben und ist sehr erfolgreich. «Wir kennen keine Grenzen, das ist es, was Genf ausmacht», sagt Hans Bräm und fügt bei: «Fast die Hälfte der Mitglieder unserer Sektion stammen aus dem Ausland, was uns animiert, mehrsprachige Kurse anzubieten.»

Zur Schlafenszeit ist das Errechnen des Azimuts kein Geheimnis mehr. Auch die Frage, die seit der ersten Übung unter den Nägeln brennt, ist beantwortet: «Nein, es ist noch nie einem Lawinenopfer von einer Lawinensonde ein Auge ausgestochen worden», versichert Hans Bräm. Nachdem man erfahren hat, dass man in einer Hütte nicht schläft, sondern nur die Nacht verbringt, erscheinen Schnarchen, der Geruch nach nassen Socken und der Sauerstoffmangel auch nicht mehr unerträglich.

 

Ohne Fäustlinge bei –20 Grad

Ob es den Organisatoren gefällt oder nicht, der zweite Kurstag findet unter strahlend blauem Himmel statt. Nicht unbedingt ideal für einen Kurs über die Orientierung im Nebel! Niemand verirrt sich … Bleibt noch das Erlernen der Kunst, sich aus einer Gletscherspalte zu befreien. Unser Leiter und die Erfahrensten der Gruppe opfern sich: Es ist kein Vergnügen bei –20 Grad ohne Handschuhe, einen Prusik und einen Achterknoten zu knüpfen. Ski verankern, Seile verbinden, der Einsatz von Reepschnüren, Flaschenzüge aller Art (einfache, doppelte, österreichische): Das Manöver ist komplex (vgl. «Die Alpen» 4/2011). Ermüdet von der schlechten Nacht und den zahlreichen neuen Erkenntnissen der beiden Tage – von der Anleitung zum perfekten Packen des Rucksacks bis zur Behandlung der Höhenkrankheit –, kann mein Geist nicht mehr alle Details der komplexen Übung aufnehmen.

Aber ohnehin gilt für Spalten wie für Lawinen: Bevor es darum geht, zu wissen, wie man wieder herauskommt, geht es darum, gar nicht erst hineinzugeraten. Der Jüngste des Kurses, Nicolas, bringt es auf den Punkt: «Jetzt, wo ich die Lawinengefahr kenne, habe ich mehr Angst als vorher. Aber irgendwie auch weniger, weil ich jetzt weiss, wie ich sie vermeiden kann.»

Weiterlernen

K. Winkler, H.-P. Brehm, J. Haltmeier, Bergsport Winter. Technik, Taktik, Sicherheit, SAC Verlag, Bern 2012

Fast alle Sektionen, aber auch der Zentralverband bieten Grundkurse für Skitouren an.

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