«Wir waren die Feuerwehr»
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«Wir waren die Feuerwehr» 50 Jahre Stiftung Landschaftsschutz Schweiz

1970 wurde die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz unter anderen vom SAC gegründet. Ihr erster Geschäftsführer Hans Weiss erinnert sich im Interview, wie sie gegen den Landschaftsverschleiss in den Nachkriegsboomjahren kämpften.

Man denkt vielleicht, vor 50 Jahren hat es noch ausgesehen wie zu Grossvaters Zeiten. Das stimmt natürlich nicht, obschon es damals noch viel mehr unberührte Landschaften gab. In der Schweiz war ein Boom ausgebrochen, wie es ihn vorher noch nie gegeben hatte. Der Boom war so augenfällig, dass die Bedrohung der Landschaft viel dramatischer wahrgenommen wurde als heute. Das hat dazu geführt, dass das Parlament 1972 auf Antrag des Bundesrats mit Notrecht dringliche Massnahmen der Raumplanung verfügte. Die Kantone mussten innerhalb eines Jahres Gebiete ausweisen, die nicht überbaut werden und langfristig geschützt werden sollen.

Jein. Was die Landschaft als Ressourceausmacht, da hat es eine grosse Sensibilisierung gegeben. Artenschutz oder Artenvielfalt waren damals noch kein Thema. Aber die Referenzbasis hat sich geändert. Wenn es heute irgendwo noch ein paar Margeriten und Salbei hat, gilt das schon als artenreiche Wiese.

Bundesrat Hans-Peter Tschudi hatte sich zur Verfügung gestellt und zum Gründungsakt aufgerufen. Viele haben zur Gründung Geld gestiftet, zum Beispiel Wirtschaftsverbände, Vertreter aus der Industrie oder der Arbeitgeberverband. Vizepräsident der Stiftung war Herbert Wolfer, Delegierter der damals weltbekannten Firma Sulzer. Beim Kraftwerkprojekt Panix-Ilanz sagte er klar: «Wir von der Maschinenindustrie haben grosses Interesse, dass das Wasserkraftwerk gebaut wird. Aber als Stiftung können wir nicht Ja sagen, da müssen wir Einsprache machen, sonst werden wir uns selbst untreu.»

Er war 1970 Bundespräsident. Ich habe mich auch zweimal bei ihm für eine Audienz eingeladen, das konnte man damals. Er setzte sich aktiv für den Landschaftsschutz ein. Einmal schrieb er der Bündner Regierung einen Brief und drohte mit einem Antrag, die Wiesen bei Soglio im Bergell zu enteignen, wenn der Kanton hier bauen lasse.

Der Kanton erliess im Fall von Soglio einen Baustopp, bis eine Planung vorliegen würde, die auch die Landschaft berücksichtigt. Dieser Fall wirkte auch politisch und trug dazu bei, dass Graubünden wohl als erster Bergkanton ein zeitgemässes Raumplanungsgesetz erliess.

Das Gesellenstück gelang im Baltschiedertal. Die Gemeinden hatten ein Angebot von der Elektrowatt, jährlich hätten sie 100 000 Franken an Wasserzinsen eingenommen. Zusammen mit der Ernst-Göhner-Stiftung trieben wir 300 000 Franken auf. Es war ein einmaliger Betrag, aber die Gemeinden sind darauf eingestiegen. Es gab eine Urversammlung. Die Wortmeldungen waren zuerst sehr kritisch, sie könnten nicht auf diese Einnahmen verzichten, auch mit den Arbeitsplätzen wurde argumentiert. Dann meldete sich ein älterer Bergführer zu Wort. «Är chaschi nit vorstellu, mit emene Gast am Morgu hinter ins Telli z’ löufu und ds Bächj nimme keru rüschu.» Das Gefühlsargument schlug ein, es wurde beschlossen, das Tal zu schützen.

Ja, solche zählten damals noch mehr. So auch im Fall Feechopf, wo übrigens der SAC an erster Stelle Einsprache gemacht hatte und Recht erhielt. Auf den Feechopf auf 3888 Metern über Meer wollte man eine Bahn bauen. Das Argument für die Bahn lautete: «Meet Saas Fee and see the Matterhorn.» Denn es gab amerikanische Touristen, die nach Saas Fee gekommen waren und fragten, wo jetzt das Matterhorn sei. Wie der Bergführer in Ausserberg argumentierte der Bundesrat als letzte Instanz mit dem Gefühl: «Das eher gefühlsmässige Argument der Unberührtheit der Hochalpen kann man nicht beiseiteschieben.»

Die Verfassung verlangt, entgegenstehende Interessen müssen gewichtet und gegeneinander abgewogen werden. Meine Kritik ist, dass das in sehr vielen Fällen gar nicht stattgefunden hat und auch heute nicht oder nicht seriös geschieht. Wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter.

Wir waren die Feuerwehr. Selbst öffentliche Betriebe beachteten den Landschaftsaspekt sehr oft nicht. Die damalige PTT wollte auf dem Höhronen einen Betonturm mit einer 70 Meter hohen Richtstrahlantenne bauen – das heisst, sie haben sie auch gebaut. Für sie zählte nur der Versorgungsauftrag. Der Turm wurde aber nie gebraucht und 13 Jahre später gesprengt.

In vielen Fällen hat die Geschäftsstelle heute die Bereitschaft und die Möglichkeit, bei Projektentwicklungen mitzumachen. Aber wenn wir damals nicht immer wieder Nein gesagt hätten, würden wir über vieles heute gar nicht mehr reden. Zum Beispiel über die Rebberge in Salgesch. Dort wollte man eine ganze Hügellandschaft plattmachen und buchstäblich dem Erdboden gleichmachen, das Land zu grossen Parzellen zusammenlegen und Baumgruppen, Mauern und Hecken entfernen. Wir haben gegen das Projekt Einsprache erhoben. Heute gibt es zwischen der Stiftung Landschaftsschutz und der Rebbaugenossenschaft eine gute Zusammenarbeit, und der Wein wird erfolgreich als Produkt aus geschützter Landschaft vermarktet.

Durch Information und Offenlegung der Interessen. Oft werden Einzelinteressen als öffentliche Interessen dargestellt. Eine ganz grosse Gefahr sehe ich zum Beispiel in der Energiewende. Ich habe Nein gestimmt, das ist eine Katze im Sack. Es ging darum, aus der Atomkraft auszusteigen, aber statt endlich sparsamer mit dem Strom umzugehen, droht jetzt ein Beutezug auf die letzten frei fliessenden Gebirgsbäche. Und der Jura und die Voralpengebiete drohen mit riesigen Windrädern überstellt zu werden. Damit werden unsere Energieprobleme niemals gelöst, aber man verkauft die letzten unberührten Landschaften für ein Linsengericht.

Autor / Autorin

Anita Bachmann

Über die Stiftung Landschaftsschutz

1970 gründeten der SAC, Pro Natura, der Schweizer Heimatschutz, Espace Suisse und der Schweizer Tourismus-Verband die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL). Erster Geschäftsleiter war Hans Weiss, 1992 wurde er von Raimund Rodewald abgelöst. Ein wichtiges Instrument der Stiftung war von Anfang an das Verbandsbeschwerderecht. Die SL hat bis heute 266 Beschwerden eingereicht und in 202 Fällen Recht erhalten. Auf nationaler Ebene hat sie zwei Initiativen eingereicht: 2008 die Landschaftsinitiative und 2019 zusammen mit anderen Organisationen die Zwillingsinitiative Biodiversität und Landschaft. Seit 2011 vergibt die SL jedes Jahr die Auszeichnung Landschaft des Jahres.

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