Zwei Göttis, um Mitglied zu werden
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Zwei Göttis, um Mitglied zu werden Das Patensystem verschwindet

Im SAC Mitglied werden? Bis Ende der 1980er-Jahre ging das meist nur auf Empfehlung von zwei Göttis oder Paten. Heute gibt es das «Göttiprinzip» bloss noch in einer Handvoll Sek­tionen. Es gilt als elitär und schwer anwendbar. Doch es hat nach wie vor einen Vorteil: Es erleichtert die Integra­tion von neuen Mitgliedern.

«Zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Versammlung musste ich den Raum verlassen. Meine beiden Paten breiteten daraufhin meinen Lebenslauf vor den Teilnehmern aus und erklärten gleichzeitig, was ich der Sektion bringen könne. Ich hatte nicht das Recht, an die nächste Versammlung zu kommen, denn die Mitglieder mussten sich in einer geheimen Urnenwahl zu meinem Fall äussern», erinnert sich Florian Grognuz. Er wurde 1981 zwar von der SAC-Sektion Yverdon aufgenommen, aber der erfahrene Berggänger musste anlässlich der berühmten zweiten Versammlung sieben Gegenstimmen zur Kenntnis nehmen. «Einer meiner Paten war nicht anwesend, was von einigen Mitgliedern als Skandal empfunden wurde», erzählt der junge Pensionär und ergänzt: «Bis Anfang der 1980er-Jahre herrschte im SAC ein grosser Formalismus.»

Zur Zeit, als Florian Grognuz der Sektion Yverdon beitrat, war das Patensystem – oder «Göttiprinzip» – in allen Sprachregionen die Norm im SAC. Grosso modo sah diese Praxis vor, dass ein Kandidat von zwei Mitgliedern, die bereits der Sektion angehörten, vorgeschlagen wurde. Sie traten als Garanten auf und kümmerten sich um seine Eingliederung in die Sektion. Oft kamen zur Patenregel noch andere Anforderungen dazu, wie zum Beispiel die Verpflichtung, im Jahr nach der Aufnahme an zwei SAC-Touren teilzunehmen.

Ein Beigeschmack von Elitedenken und Patriotismus

Als der Club vor 150 Jahren gegründet wurde, «war es eine Elite, die Zeit und Geld hatte, um in die Berge zu gehen», schreibt François Mauron, Autor einer Lizentiatsarbeit in Geschichte an der Universität Freiburg mit dem Titel Le tourisme dans les Préalpes fribourgeoises. Le rôle de la section Moléson, de Fribourg, du Club Alpin Suisse (1871–1939). «In Freiburg stammten vor 1914 fast 70% der SAC-Mitglieder aus der Oberschicht. Man kann sagen, dass am Anfang das Patensystem eine Form der Kooptation1 war.» Lange Zeit war also die Mitgliedschaft im SAC ein Aufstieg. «Oder vielmehr ein doppelter Aufstieg», präzisiert der Anthropologe Pierre Centlivres, Honorarprofessor an der Universität Neuenburg. Denn um den Status eines Mitglieds zu bekommen, musste jemand auch noch einen Übergangsritus (rite de passage) bestehen: die Aufnahme durch die Versammlung. Bei einem solchen Ritus kann man auch scheitern, das heisst nicht aufgenommen werden. «Der SAC war auch ein Hort des Patriotismus, der Bergideologie», ergänzt der Spezialist für Rituale. «Vom Moment an, wo diese Werte nicht mehr dominant waren im Club, die Mitglieder sie also alle teilten, wurde logischerweise die Notwendigkeit eines Aufnahmeexamens überflüssig.»

Jedem die Integration ermöglichen

Die meisten Sektionen gaben schliesslich das Patensystem auf, darunter auch Yverdon im Jahre 2008. Ab Anfang der 1990er-Jahre geschah diese Abschaffung mit einer auffälligen Beschleunigung. «Diese Praxis begann zur Farce zu werden», kommentiert Frank-Urs Müller, der abtretende Zentralpräsident. Viele Kritiker des Patensystems gehen mit ihm einig und erwähnen Beispiele, wie das Reglement umgangen wurde: ein Glas an der Sektionsbar als «obligatorische Tour», eine routinemässig Behandlung der Kandidaturen durch den Sektionspräsidenten, ohne dass er die Anwärter persönlich kannte, und so weiter. Gemäss anderen Befürwortern der Abschaffung war das Patensystem Teil eines Elitedenkens, das schlecht zur modernen Gesellschaft passt und schwer zu rechtfertigen ist angesichts von Sektionsversammlungen, die mangels Teilnehmer immer seltener stattfinden.

Der ehemalige Präsident der Sektion Yverdon, Yves Cavin, schätzt, dass «die Frage des Patensystems verknüpft ist mit dem Typ SAC, den man will: eine Gesellschaft, in die man nur durch Kooptation hineingelangt, oder eine Gesellschaft, die es jedem ermöglicht, sich zu integrieren». Frank-Urs Müller geht noch weiter: «Das Patensystem steht in Widerspruch zur geltenden Charta des Zentralverbands, und vielleicht gar zu den Statuten.» Artikel 2 der Statuten postuliert nämlich, dass der SAC den Bergsport in weiten Teilen der Bevölkerung fördert. In der Charta steht, dass alle im SAC willkommen sind.

Eher Abonnenten als Mitglieder

Einige Sektionen praktizieren das Patensystem immer noch, manchmal in einer reduzierten Weise. In der Sektion Pierre-Pertuis füllen die Kandidaten zwar ein Formular aus, auf dem die Namen von zwei Paten stehen müssen, aber dieses wird dann direkt vom Vorstand behandelt. Die Sektion Dent-de-Lys hängt ebenfalls noch am Patensystem. Gemäss Jean-Marie Bosson, dem Mitgliederverantwortlichen, hilft diese Praxis jene Personen vom Beitritt abzuhalten, die nur von den Vorteilen der Mitgliedschaft profitieren und sich nicht ins Clubleben einbringen wollen.

Letzteres ist ein Trend, der sich durch die direkte Anmeldung beim Zentralverband über das Internet ohne den Weg über die Sektionen vielleicht noch verstärkt. Das 2011 aufgeschaltete System hat bereits rund 70 Sektionen überzeugt. Zum Beispiel Yverdon, wo Cornelia Ehrbar, Ressort Mitglieder, einen deutlichen Anstieg der jährlichen Beitritte in den letzten Jahren festgestellt hat. «Von 17 neuen Mitgliedern pro Jahr im Durchschnitt zwischen 2003 und 2007 ist die Zahl auf 38 gestiegen bis 2008 nach der Aufgabe des Göttiprinzips. 2011 mit dem Inkrafttreten des neuen Systems haben wir 61 Eintritte registriert.» Die Sektion Jaman, die das gleiche System 2011 einführte, hat zwar keine gleich spektakuläre Entwicklung mitgemacht, aber ihr Präsident Aurèle Vuadens befürchtet, den Kontakt mit den neuen Mitgliedern zu verlieren: «Seit sich neue Mitglieder via die Internetseite des Zentralverbands einschreiben, ohne über die Sektion zu gehen, sehen wir sie nicht mehr. Man muss reagieren, bevor die Sektion ihre Seele verliert.» Der Verantwortliche der Sektion Bern, Urs Bühler, lanciert seinerseits die Idee, «eine Art obligatorischen Stamm zu organisieren für jede Sektionstour. Vonseiten der Sektion Rossberg fasst man sogar die Rückkehr zum Patensystem ins Auge. Zurück zu einem unnützen Formalismus, findet Florian Grognuz. Der Yverdoner zieht eine Art spontanes Patensystem vor: «Die erfahrenen Mitglieder sollten es als ihre moralische Aufgabe betrachten, die neuen Mitglieder zu integrieren, die sich wiederum für die anderen einsetzen. Der Geist der Berge muss gepflegt werden.»

Indem der SAC das formalistische Patensystem aufgibt, passt er sich den Bedürfnissen der Konsumgesellschaft an. Aber der Geist der Berge, der Kameradschaft, könnte einen schweren Stand haben in einem SAC, in dem die Mitglieder vielleicht dabei sind, «eher Abonnenten als Mitglieder» zu werden, wie es Pierre Centlivres formuliert.

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