Das Klettergebiet St-Loup/VD. Zwischen 6. und 9. Grad
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Das Klettergebiet St-Loup/VD. Zwischen 6. und 9. Grad

Zwischen 6. und 9. Grad

Das Klettergebiet St-Loup/VD

Die zwischen Lausanne und Yverdon gelegenen Kalkfelsen von St-Loup zählen mehr als 250 Aufstiegslinien. Mitte der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts fing die Kletterei in St-Loup an, worauf die Entwicklung aber erst richtig in Fahrt kam. Nur wenige Klettergebiete können auf eine solche Geschichte zurückblicken und weisen eine derartige Dichte an schwierigsten Routen auf.

Die erste Besteigung des Felsbandes von St-Loup, über die Route « Le Dièdre », war das Werk von Claude Lévy und Michel Ziegenhagen, und zwar in künstlicher Kletterei, wobei sie 16 Haken, zwei Holzkeile und schwere Schuhe benützten. Das war damals nicht anders machbar: 1974 konnte nicht frei geklettert werden, denn die Felsqualität ist sehr unterschiedlich und die Wand stark überwachsen. « Le Dièdre », einmal gereinigt und ausgerüstet, wurde anschliessend sofort frei geklettert und im Vergleich mit den Routen im Verdon mit 4+ bewertet. Diese 4+ erwies sich später als 5 c. Überhaupt waren die Routen von St-Loup schwieriger – bis 6 c –, als die damals übliche UIAA-Skala reichte. Die Erstbesteiger überliessen dann das Terrain Claude und Yves Remy, die in zwei Saisons 50 Routen eröffneten. Später folgten weitere 20.

Von einem Kletterstil zum anderen

Die Routen wurden mit Bohrhaken ausgerüstet, zuerst von Hand, dann ab Ende 1975 mit einer von einem Generator angetriebenen Bohrmaschine. Die Ausrüstung erfolgte jedoch immer so, dass die entscheidenden Stellen frei geklettert werden mussten. In jener Zeit existierten verschiedene Kletterstile nebeneinander, sowohl bezüglich der Begehungsweisen als auch der Art der Absicherung. Oberstes Ziel in St-Loup war immer das freie Klettern. Es sei daran erinnert, dass die Genfer am Salève/F 1 ebenfalls der Zeit voraus waren, ebenso wie einige Kletterer im Jura. 1978 und 1979 eröffnete Yves Remy die ersten 6 c und 7a in den Felsen von St-Loup, 1981 kletterte er die schwierigste Route, « Cima Ovest », 7a, free solo.

Die Techniken wurden besser, die Ausrüstung zuverlässiger, und die Schwierigkeitsskala öffnete sich nach oben. Verwendet wurde die französische Bewertung. Ab 1980 kletterte André Genton mehrmals am fixen Seil auf und ab und markierte mit Farbe Stellen, wo Haken gesetzt werden sollten, und reinigte die zukünftige Linie. Das Einrichten einer Route von oben hatte damit in St-Loup Eingang gefunden. 1982 entdeckten zwei junge Kletterer, Frédéric und François Nicole, die Felsen von Eclépens und St-Loup.

François Nicole in der Route « Il manque un trou », 8a, St-Loup. Rechts das Haus der Diakonis-sinnen von St-Loup, im Hintergrund das Vallon du Nozon François Nicole, am Ausstiegsstand-platz in den Kalkfelsen von St-Loup, sichert seinen Bruder Fred auf den letzten Metern der Route « Ola yaya », 8b+.

Suche nach den Grenzen

Im ersten Klettergebiet begannen sie nach den Grundlagen des Boulderns vorzugehen und kletterten anschliessend alle Routen in beiden Gebieten. Dieses Verfahren, Routen auszuboldern, war hier neu. Gleichzeitig wurden die Routen damit zu eigenständigen Zielen, für deren Durchsteigung man entsprechend trainierte.

1984 war ein einschneidendes Datum: Fred, gefolgt von François, kletterte die erste Seillänge von « Grand-père » frei. « La performance », 7 c, war in mehr als einer Hinsicht ein Sprung nach vorne. Fred war erst 14 Jahre alt, und die beiden Brüder, die allen anderen Kletterern der Westschweiz weit voraus waren, bewegten sich schwierigkeitsmässsig auf neuem Terrain. Zuerst 7 c, dann 8a und darüber. Ihre Routen waren mit anderen kaum mehr vergleichbar. Diese junge Generation, die in Routen mit nahe beieinander liegenden Sicherungspunkten kletterte, wagte alles, versuchte alles, um die Grenzen zu erreichen und zu überschreiten. Die Gebrüder Nicole warfen ein Auge auf eine massive Mauer, leicht abdrängend und scheinbar kompakt, die nur von künstlich gekletterten Routen durchzogen wurde. Freies Klettern schien hier unmöglich – es handelte sich um den künftigen Sektor Bain de sang. Die Brüder richteten die futuristischen Routen ein. Ihre Finger wurden maximalen Beanspruchungen ausgesetzt, und die beiden machten komplexe Züge, die hier so noch niemand versucht hatte. 1988 kletterte Fred « Anaïs et le canabis » 2, 8 c, und François wiederholte sie. Damit hatten sie sich auch weltweit als Spitzenkletterer etabliert.

« Bain de sang »

1993 realisierte Fred die Durchsteigung von « Bain de sang » 3, jener Route, die dem ganzen Sektor den Namen gab. Die Schwierigkeitsangabe von 9a erregte eher Erstaunen als Begeisterung. St-Loup wurde zum Inbegriff von schwierigsten Routen und zu einem Anziehungspunkt von internationaler Bedeutung. In den Neunzigerjahren kamen einige Ausländer mit Weltruf vorbei. Tatsächlich beschränkte sich die Kletterei in diesem Sektor nicht auf die üblichen Kriterien bezüglich Kraft und Ausdauer. Gefordert wurden Komplexität, ausgefeilte technische Kletterfähigkeiten und letzte Fingerkraft.

1 Im Jahre 1975 machte die Freikletterei am Salève Geschichte, als Claude Redard die exponierte Westwand so einrichtete, dass 6b obligatorisch geklettert werden musste. Plötzlich kam niemand mehr hinauf ausser ihm selber. Im folgenden Jahr richtete er die legendenumwobene « Arc en ciel » – mit Stellen 6 c – so mit Bohrhaken aus, dass selbst die besten Kletterer der Schweiz und Europas ins Schwitzen gerieten. 2 Mit « Wallstreet » im Frankenjura/D kletterte Wolfgang Gülich als Erster eine 8 c. 3 Vorgänger von Fred in diesem Schwierigkeitsgrad waren Wolfgang Gülich, der 1991 die erste 9a der Welt – « Action directe » im Frankenjura – kletterte, und Alex Huber 1992 mit « Om », Triangel.

François Nicole in der Route « Bimba Luna », 9a/9a+, St-Loup, die er im April 2004 erstbegangen hatte Fotos: Claude Remy

In den höchsten Schwierigkeitsgraden

Der erste Kletterer nach den Gebrüdern Nicole, der sich intensiv mit den Routen von St-Loup auseinander setzte, war Cédric Bersandi. Er wiederholte die mit 8b, 8b+ und 8 c bewerteten Linien. 2002 hängte er die zwei schwierigsten Routen von St-Loup aneinander, « Non à la bombe », 8 c+, und « Bain de sang », 9a. Bereits 2001 hatte der Franzose Fred Rouhling nach zahlreichen schwierigsten Erstbegehungen und Wiederholungen in Frankreich eine schöne Serie in St-Loup realisiert. Er kletterte erneut « Non à la bombe » und « Bain de sang » und begründete damit ihren Ruf in der Szene. Ein Jahr später gelang auch der Baskin Josune Bereziartu « Bain de sang », womit sie die erste Frau war, die eine 9a kletterte.

Seit nun 20 Jahren erbringen die Gebrüder Nicole Spitzenleistungen, und immer noch sind sie voller Elan. Der in der Deutschschweiz lebende Fred kommt immer wieder zurück in seinen « Kinderklettergarten », um eine Prise frischer Westschweizer Luft zu schnuppern. Im Dezember 2002 realisierte er ein ihm sehr wichtiges Projekt: « Chimère », 2. SL, 9a/9a+, also eine noch schwerere Route als « Bain de sang ». François seinerseits, in der Heimat geblieben, ist immer noch in der Form seiner besten Jahre: Im April 2004 klettert er erstmals « Bimba Luna », 9a/9a+. Die Geschichte in diesem schönen Klettergebiet geht somit weiter. a Claude Remy, Vers l' Eglise ( ü )

Bibliografie

Remy C. und Y.: Saint-Loup, fief de l' escalade vaudoise. Bulletin de la section CAS Les Diablerets, Lausanne, 1984/85 Remy C. und Y.: Escalades, Topos einschliesslich St-Loup, 2004 Fotos: Claude Remy Danielle Grangier in der Route « Free Tibet », 8a+

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