Ein halbes Jahrhundert
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Ein halbes Jahrhundert Der «Seetal-Max» geht in Pension

Max Zangerl ist der amtsälteste SAC-Hüttenwart. Seit 50 Jahren bewirtschaftet der Appenzeller die Seetalhütte SAC oberhalb Klosters. Doch das ist dieses Jahr nicht sein einziges Jubiläum. Der « Seetal-Max » feiert auch noch seinen 8O. Geburtstag – und geht in Pension.

Wie ein junges Geissli steigt der 80-jährige Max Zangerl von der Alp Sardasca zur Seetalhütte hinauf. Es ist heiss, der Weg steil, steinig und glitschig, weil es die ganze Nacht geregnet hat. Kein Problem für Max – auch nicht mit dem schweren Rucksack voller Lebensmittel. Aber Einkaufen war nicht der Grund, warum Max mal eben schnell nach Klosters hinabgelaufen und einige Stunden später wieder auf 2065 Meter aufgestiegen ist. «Meine Frau hat Geburtstag, und das Satellitentelefon funktioniert nicht», erklärt er. «Ich bin morgens um sechs los, weil ich ihr unbedingt gratulieren wollte.» Kurz vor zwölf steht Max wieder vor «seiner» Hütte. Eine zwölfköpfige Wandergruppe wartet. Die Männer und Frauen aus Holland und Belgien haben es sich auf dem knappen Platz vor der Hütte bequem gemacht. Die Rucksäcke stehen kreuz und quer. Verschwitzte T-Shirts, Mützen und Socken hängen überall. Der Weg zur Türe wird zum Hindernislauf. Aber Max verzieht keine Miene. Nach einem kurzen «Unglaublich, was die alles mitschleppen» klettert er über Gepäck, Menschen und Walkingstöcke und begrüsst die Gäste mit einem freundlichen, aber berglerisch knappen «Grüeziwohl». Dann verzieht er sich.

 

Im kleinen «Entree» hinter einem Vorhang hat sich Max eine winzige Privatsphäre geschaffen. Hier liegen fein säuberlich gestapelt seine Kleider. Er zieht ein frisches T-Shirt an. In einem Papiersack am Boden findet er den Gurt. «Den habe ich am Morgen im ‹Ghetz› vergessen, dafür rutschten mir während der ganzen Wanderung die Hosen runter.» Er erzählt die kleine Geschichte mit einem grossen Lachen. Übrigens: Max ist ein grossartiger Geschichtenerzähler. Wenn er von seinen Trekkings im Tibet, in Nepal oder den USA berichtet, ist es, als wäre man dabei. Man riecht es förmlich, wenn er sich an die tibetische Lodge mit den käferbefallenen, getrockneten Geissen an den Wänden erinnert. Max ist schnell bereit für seine Gäste. «Von wo seid ihr?», fragt er und offeriert etwas zu trinken. «Ich habe alles ausser Bier.» Und sofort fällt ihm eine weitere Geschichte ein. «Ein deutscher Gast stellte in der Hütte seinen Rucksack auf den Tisch und sagte: ‹Ich will ein Bier.› Mein Lieber, entgegnete ich, da müssen sie wieder runterlaufen, in drei Stunden sind sie in Monbiel. Dort hat es ein Restaurant mit einer grossen Bierauswahl.» Der Deutsche habe den ganzen Abend Tee getrunken. Und dann gesteht «Seetal-Max», dass er es durchaus lustig findet, wenn Gäste grossspurig auftreten, dann aber immer kleinlauter werden. «Hier herrscht die Natur, hier muss sich der Mensch anpassen und nicht umgekehrt.» Max Zangerl ist der amtsälteste SAC-Hüttenwart. «Und das in der urchigsten Hütte des SAC», wie er findet. Heuer feiert er ein halbes Jahrhundert als Hüttenwart, den 80. Geburtstag und seine Pensionierung. «Ich habe die Seetalhütte 1962 übernommen», erzählt er, komplett verlottert sei sie gewesen. «Wolldecken und Matratzen waren noch von den polnischen Internierten aus dem 2. Weltkrieg und verfault.» Und so suchte sich Max das Inventar zusammen. «Die Sektion St. Gallen besitzt sieben Hütten, immer wenn sie eine renoviert haben, nahm ich etwas mit.»

 

Es ist eng in der Seetalhütte. Die Küche und die 15 Schlafplätze sind in einem Raum. Morgens um halb fünf ist Max auf den Beinen. «Ich muss sehr leise sein, sonst werden die Touristen wach, und ich habe keinen Platz mehr zum Kochen.» Er macht Birchermüsli, kocht Kaffee, backt Brot und seinen berühmten Apfelkuchen. Für Kuchen und Brot hat Max, der Ingenieur, auf dem Tiba-Holzherd ein ausgeklügeltes «Backsystem» entwickelt. «Im Backofen wird wegen der fehlenden Unterhitze der Boden nie knusprig», sagt er. Und so stellt er eine Eisenform auf die Herdplatte, giesst den Teig hinein, so wird der Boden vorgebacken. «In der Zwischenzeit ist der Backofen genug warm, und ich kann das Brot oder den Kuchen fertig backen.» Den Apfelkuchen gibt es abends zum Dessert. «The best apple pie ever», schreibt ein Mann aus Kalifornien im Hüttenbuch. Eine Frau aus Österreich lobt Max'Gulasch, und ein französisches Ehepaar fragt sich, wie Max in der bescheidenen Hütte überhaupt einen Dreigänger zustande bringt. Der schmunzelt und sagt: «Ich koche eben sehr gerne.» Aber etwas ärgert ihn masslos. Früher lagerte er das vakuumverpackte Fleisch im kalten Wasser des nahen Bachs. «Das haben die blöden Ämter mit ihren blöden Verordnungen verboten.» Max musste einen Kühlschrank anschaffen.

 

Die holländisch-belgische Wandergruppe ist zur Silvrettahütte aufgebrochen. Gegen Abend erwartet Max vier Berggänger, die übernachten wollen. Jetzt hat er Zeit. Er sitzt draussen am langen Tisch und schmaucht genüsslich eine Pfeife. Er freue sich auf die Pensionierung, sagt er. Aber so ganz nimmt man das dem 80-Jährigen nicht ab. Zu engagiert scheint er, zu begeistert von der Arbeit, der Bergwelt und den Besuchern. Und die haben es gut bei ihm. Auch wenn er manchmal als «kurlig» beschrieben wird oder seinen Gästen kein Bier serviert. Denn Max ist so, wie er ist – ehrlich und geradeheraus.

Hüttengeschichten

Man nennt sie auch «Gastgeber unter dem Himmel», die Hüttenwarte und Hüttenwartpaare des SAC. Die Arbeitstage sind lang, es fehlt an Strom und Wasser. «SF bi de Lüt – Hüttengeschichten» verbringt den Sommer auf drei Hütten: auf der Rugghubelhütte bei Megi Schleiss, der Gelmerhütte bei Walter und Ruth Schläppi und auf der Silvrettahütte bei Stefan Rauch. Zu sehen sind die Reportagen am 21. Oktober, 28. Oktober und 4. November 2011 jeweils um 2O.05 Uhr auf SF 1.

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