Ernstfall Trekking. Von Eigen- und Fremdverantwortung
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Ernstfall Trekking. Von Eigen- und Fremdverantwortung

Ernstfall Trekking

Trekking in Nepal ist beliebt. Vielen Trekking-Touristen fehlen aber jegliche alpinistischen Erfahrungen. Sie verlassen sich blind auf die Trekkingagenturen und deren einheimische Führer. Auf Grund persönlicher Beobachtungen zeigt der Autor dieses Beitrags an verschiedenen Beispielen, dass ohne grosse Eigenverantwortung äusserst schwierige Situationen entstehen können.

Wir ziehen Mitte Februar in Bensisahar los, um in die Schönheit der Annapurna-Region einzutauchen. Es ist noch Winter, die Temperaturen entsprechend tief, und schon nach kurzer Zeit zeigt sich, wer Herr im Lande ist: der Schnee. Für die nächste Woche diktiert er unseren Alltag. Nach sechs wunderschönen Tagen erreichen wir zusammen mit anderen Trekkern, von denen zwei von einem Sherpa geführt werden, das 3505 m hoch gelegene Manang. Vor uns liegt der 5416 m hohe Hauptpass der Annapurna-Route, der Thorung La. Kopf und Körper im Widerstreit Die meisten sind etwas angeschlagen. Das schwere Gepäck, die kalten Nächte, die ungewohnte Nahrung und die Anstrengung hinterlassen Spuren. Die Motivation jedoch ist ungebrochen. Wir beabsichtigen, nach einem Akklimatisie-rungstag zum Höhenlager auf 4800 m aufzusteigen, und planen dafür zwei Tage ein. Nach kurzer Zeit gibt Justin, der Australier, wegen kompletter Erschöpfung auf. Sein Sherpa bleibt diskret im Hintergrund. Wir teilen seine Sachen bis zur nächsten Unterkunft unter uns auf, und ich nehme ihn ins Schlepptau, da sein Guide bereits weit voraus ist. Trotz unserer Empfehlung abzusteigen, um sich besser zu akklimatisieren, kämpft sich der Australier bis zum Höhenlager hoch. Sein Sherpa enthält sich jeden Kommentars. Und als nach der nächsten Nacht mit erneutem Schneefall viele unter Atemnot, starken Kopfschmerzen,

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Erfrierungen u.a. leiden, halten sich die Sherpas erneut zurück.

Alles hat Grenzen Solange alles gut geht, neigt man dazu, den netten Guides zu verzeihen, denn bis zu einem gewissen Punkt gehören Grenzerfahrungen zu einem Trekking. Dies ändert sich, als Anfang März das Anna-purna-Heiligtum zur Grabstätte von Teilen einer organisierten deutschen Trekkinggruppe wird. Die ganze Woche hat es jeweils in der zweiten Tageshälfte geschneit. Die Couloirs sind voll Neuschnee, und die Temperaturen steigen markant an. Trotzdem entscheidet sich der Guide dieser Gruppe, vom Machhapuchhare Base Camp ( MBC ) durch die stark lawinengefährdete Zone nach Deu-rali abzusteigen. Ein anderer Sherpa, den wir in Deu-rali im Aufstieg treffen, erzählt uns von einem neuen Weg, der offenbar die Gefahrenstellen umgehen soll. Auf diesem Weg kommen dann die beiden Überlebenden eines Lawinenniedergangs gerannt. Die junge Frau steht unter Schock. Der Guide habe offenbar kurz vor der Gefahrenstelle gewarnt. Die Gruppe ging trotzdem geschlossen durch die Zonen hindurch! Fazit: Der Guide und drei Trekker wurden verschüttet.

Eigenverantwortung und Erfahrung Trotz schöner Bilder, Versprechen und Lockerheit von Seiten nepalesischer Trekkingorganisationen und Guides ist Selbstverantwortung noch wichtiger als in unseren Breitengraden. Erfahrung – vor allem in den Wintermonaten kann die Tour rasch hochalpinen Charakter annehmen –, vernünftige Ausrüstung und ein ehrliches, inneres Ohr helfen mit, einen Nepalaufenthalt zu einem traumhaften, unvergesslichen Erlebnis zu machen. a

Edi Theiler, Zürich Alpine Verhältnisse im Aufstieg zum Thorung La, 5416 m Einheimische auf dem Weg nach Muktinath « Gebetswand » vor Letdar

Wichtig für die Trekkingplanung in Nepal

Sind Sherpas Bergführer?

Im vorangehenden Beitrag « Ernstfall Trekking » werden Situationen in Nepal geschildert, die nicht gerade täglich passieren, aber doch so oft, dass sie nicht übersehen werden können. Es drängt sich deshalb auf, eine Definition des « Sherpa-Führers » auf Trekkingtouren aufzuzeichnen und gleichzeitig auf ein Ausbildungs-projekt hinzuweisen.

Der Name « Sherpa » 1 ( Tibetisch shar = Osten, pa = Volk, also « Ostvolk » ) nimmt Bezug auf die Herkunft dieser tibeto-mongolischen Volksgruppe, die vor etwa 500 Jahren aus Osttibet kommend das Everestgebiet und Helambu in Nepal besiedelte. Die Sherpas, ehemals Bergbauern, Viehzüchter und Händler, machten sich bei Expeditionen und Trekkings einen Namen, wo sie als Träger zwischen den Höhenlagern der Hima-layaberge und als Sirdar ( Führer ), Köche und Helfer agieren. Der Name « Sherpa » wurde zum Synonym eines Berufes 2.

« Sherpas » oft nicht Sherpas Heute sind viele Trekking-Sherpas nicht mehr Angehörige dieses Volksstammes, sondern Tamang, Gurung, Magar, Rai oder Bhotia. In der Regel üben sie diese Berufe als Nebenerwerb aus. Die Karriere beginnt als Träger. Dann klettert ein tüchtiger Sherpa auf der Leiter empor, wird Küchenhelfer, Koch und schliesslich Sirdar. Die einzige Ausbildung ist die Praxis selbst. Trekking-Sherpas besitzen keine oder nur sehr rudimentäre Kenntnisse über Höhenkrankheit, Lawinengefahr, Wetterbeurteilung sowie Seil-, Si-cherungs- und Rettungstechnik. Auf Grund ihrer kulturell bedingten Erziehung werden sie sich hüten, einem Fremden offen zu widersprechen, ihm gar Lehren zu erteilen oder eigene, folgerichtige Erkenntnisse durchzusetzen. Zudem wird der Sirdar in einer Gruppe eher hinten anzutreffen sein. Seine Aufgabe ist es, die Träger im Auge zu behal-

1 Vgl. DIE ALPEN Nr. 3/2000, S. 43, « Volksgruppen in Nepal: Sherpa » 2 Unter « Schweizer » versteht man zum Beispiel in Deutschland eine Person, die mit Kühen umgehen kann.

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ten, nicht den Weg zu zeigen oder gar eine Risikobeurteilung vorzunehmen. Der Sherpa-Führer ist also Organisator, Informant, Transport- und Personalchef, Quartier- und Zahlmeister, Buchhalter, Animator, Gastgeber. Was er aber mit Sicherheit nicht ist: Bergführer.

Sachzwänge Wie konnte es zu den im vorangehenden Bericht beschriebenen bedauerlichen Ereignissen kommen? Zwei Gründe sind augenfällig: Erstens ist der Februar für eine solche Tour nicht der geeignete Monat. Zweitens treten bei vielen unerfahrenen Touristen Anzeichen der Höhenkrankheit auf, weil sie zu schnell hochsteigen, sich nicht über die Gefahren im Klaren sind und im entscheidenden Moment auch nicht korrekt zu reagieren wissen. Allzu oft werden in solchen Momenten – wie beschrieben – auch gute Ratschläge in den Wind geschlagen. Ein Höhenkranker ist, selbst bei voller Kenntnis der Abläufe, meist nicht in der Lage, eigenständig richtige Entscheide zu fällen. Er muss häufig gegen seinen Willen zum Umkehren gezwungen werden. Gerade dies liegt einem Sherpa nicht. Die Trekkingagenturen, die hinter diesen Sherpa-Führern stehen, befinden sich im fernen Kathmandu. Ihre Angestellten besitzen wenig bis keine eigene Trekkingerfahrung und machen die Fremden nicht in gebührender Form auf die Gefahren aufmerksam, da sie fürchten, das Geschäft an die Konkurrenz zu verlieren, die keine Vorbehalte macht. Und zu guter Letzt meint der Fremde, dass er mit der Anstellung eines Sherpa-Führers die mangelnde eigene Erfahrung überbrücken kann. Dem ist nicht so. Der Sirdar, ausser er hat Expeditionserfahrung, kann je nach Sachlage plötzlich selbst relativ hilflos werden und vertraut sich dann der Obhut des Trekkers an. Ausbildungszentrum Um die Diskrepanz zwischen Können der Sherpas und Erwartungshaltung der Fremden zu vermindern, wurde in Thame im Everestgebiet durch Öko Himal 3

eine Bergsteigerschule eingerichtet. 4

Diese Anstrengungen gehören schon seit bald fünf Jahre ins Programm dieser österreichischen Hilfsorganisation, welche in Nepal mit NMA ( Nepal Mountaineering Association ) und TAAN ( Trek-

Thame, 3800 m, mit seinen Kartoffeläckern im Frühling, ist Sitz der Bergsteigerschule.

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king Agencies Association of Nepal ) zusammenarbeitet. Die Schwerpunkte liegen dabei beim Training für Fortgeschrittene, der Basisausbildung für Trek-kingbegleiter/innen und Wiederholungskursen. Das Training für Fortgeschrittene dauert fünf Wochen und wird in einer Lodge in Thame durchgeführt. Zwei österreichische Bergführer unterrichten in Theorie und Praxis über Alpintechni-ken in Fels und Eis, erste Hilfe und Bergrettung. Den besten Absolventen soll die Möglichkeit geboten werden, in Europa den UIAGM-Bergführerkurs zu besuchen. Ein Sherpa, der diesen Kurs erfolgreich beendet hat, bildet nun die Trek-kingbegleiter/innen aus. Diese Kurse finden derzeit auf Grund der politischen Probleme in Pokhara statt. Jeweils im Herbst werden Wiederholungskurse angeboten.

Verantwortung bei NMA Ziel dieser Bemühungen sehen die Initianten in einer nachhaltigen Verbesserung des Tourismusangebots und einer Steigerung der Kompetenz des Sherpa-Personals bei Trekkings. 5 Ziel ist aber auch, diese Bergsteigerschulen dem NMA zur weiteren Beaufsichtigung und zum Betrieb zu übergeben. Ob dies allerdings realisiert werden kann, muss sich erst noch weisen. Leider stossen diese Ideen der Verantwortlichen von Öko Himal nicht auf Gegenliebe, fehlt es doch am kommerziellen Interesse einer solchen Aktion – ein für Nepal wichtiges Detail. Es bleibt zu hoffen, dass diese Bergsteigerschulen trotzdem überleben, zum Wohle der Sherpas und ihrer Gäste. a

Bernhard Rudolf Banzhaf, Saas Fee 3 Öko Himal, Gesellschaft für ökologische Zusammenarbeit Alpen–Himalaya, Salzburg, siehe auch unter www.ecohimal.or.at 4 Vgl. DIE ALPEN Nr. 4/2000, S. 13, « Bergführerschule für Nepal ». Das in jenem Artikel geschilderte französische Projekt ist in der Zwischenzeit leider aufgegeben worden. 5 Die « association pour le respect et la dignité des porteurs et sherpas d' Himalaya » engagiert sich in Nepal vor allem im Bereich Führerausbildung, in der Promotion einer Charta für Maximaltrag-gewicht und angemessene Entlöhnung der Sherpas sowie in Projekten für Träger und ihre Familien. Für weitere Auskünfte wende man sich an die Association, Postfach 200, 1000 Lausanne 16, Tel./Fax 021 841 14 83 Ein typisches Bild während Trekkings in Nepal: Touristin führt, der Sirdar folgt. Auf dem Gokyo Peak, 5300 m Gokyo ist Ziel vieler Trekker, mit und ohne Sherpa.

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