Gebirgstaugliche Schönheiten. Orchideen – zäh und edel
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Gebirgstaugliche Schönheiten. Orchideen – zäh und edel

Entsprechend ihrer ursprünglich tropischen Herkunft besiedeln Orchideen vor allem tiefere Lagen. Zahlreiche Arten steigen jedoch auch bis zur Waldgrenze hinauf oder wachsen wie Zwergorchis oder Männertreu vor allem im Gebirge. Die empfindlichen Schönheiten haben für ihre Fortpflanzung verschiedene Tricks auf Lager.

Auf Wanderungen zwIschen Ende März und Mitte Oktober kann man immer irgendwo in lichten Wäldern, auf Magerwiesen, in Flachmooren oder auf Alpweiden blühende Orchideen bewundern: auffällige Arten wie Frauenschuh und Rotes Waldvögelein, aber auch unscheinbare wie Korallenwurz und Moos-orchis, die man häufig erst beim zweiten Blick bemerkt.

Ohne Pilze keine Orchideen

Von den weltweit über 25 000 Orchideenarten wachsen die meisten in den Tropen und Subtropen. In der Schweiz sind immerhin um die 70 Arten heimisch, 40 davon auch in den Alpen. Anders als die tropischen Verwandten vermehren sich unsere Arten nicht mit Ausläufern, sondern nur mit Samen. In den Samenkapseln werden riesige Mengen mikroskopisch kleiner Samen produziert. Beim Frauenschuh sind es pro Frucht ungefähr 40 000 Stück. Der Wind verfrachtet sie über weite Distanzen, sodass sie gute Chancen haben, neue Lebensräume zu besiedeln – vorausgesetzt, Mykorrhizapilze sind vorhanden. Denn die staubfeine Leichtigkeit hat ihren Preis: Orchideen-samen enthalten kaum Nährstoffreserven und sind nach einer ersten Keimphase auf den Befall durch Mykorrhizapilze Der stattliche Frauenschuh ( Cypripedium calceolus ) kann vermutlich weit über 100-jährig werden. Bis zur ersten Blüte dauert es 6–10 Jahre. Weisses Breitkölbchen ( Platanthera bifolia ), auch Weisse Wald-hyazinthe genannt, zusammen mit Frauenschuh ( Cypripedium calceolus ) in einem lichten Bergwald.

Fotos: Sabine Joss Sexualtäuschblumen wie die Fliegen-Ragwurz ( Ophrys insec-tifera ) ahmen Aussehen und Sexualduftstoffe eines Insek-tenweibchens so gut nach, dass sich Männchen täuschen lassen angewiesen. Fehlen diese Wurzelpilze, können sich die Samen nicht weiterentwickeln. Die Mykorrhizapilze durchdringen mit feinen Fäden die Samenhaut und versorgen den Orchideenkeimling mit lebenswichtigen Nährstoffen, die sie selber durch Zersetzung von Pflanzenma-terial im Boden gewinnen. Orchideen-keimlinge wachsen nicht sofort ans Licht, sondern bilden zuerst unter der Erdoberfläche Knollen und Nährwur-zeln aus. Während ihrer unterirdischen Lebensphase sind Orchideenkeimlinge völlig abhängig von den Mykorrhizapil-zen, die sie ernähren. Erst wenn nach ungefähr drei Jahren die ersten Blätter mit Blattgrün ( Chlorophyll ) wachsen, wird Fotosynthese ( Stoffaufbau ) und damit eine pilzunabhängige Ernährung möglich. Nest- und Korallenwurz, die beide kein Blattgrün bilden, bleiben sogar lebenslänglich auf Mykorrhizapilze angewiesen. Über das Zusammenleben von Pilz und Orchidee sind auch heute noch nicht alle Details geklärt. Es scheint jedoch, dass der Pilz von der Orchidee keine entsprechende Gegenleistung erhält und es sich bei dieser Gemeinschaft um eine Form von Parasitismus handelt. Eine Orchidee blüht bestenfalls nach vier Jahren zum ersten Mal. Je nach Orchideenart und Umständen vergehen bis zur nächsten Blüte wieder einige Jahre.

Knausrige Schönheiten

Kaum eine andere Pflanzenfamilie hat sich so stark auf Insektenbestäubung spezialisiert wie die Orchideen. Die Pflanzen haben diese Bestäubungsform optimiert, einerseits mit einem speziellen Blütenbau mit nur einer Symmetrie-ebene und andererseits mit der Erfindung spezieller Pollenpakete, der Pol - linien. Die Orchideen geben den Pollen dabei nicht als einzelne Körner, sondern gleich als ganzes Paket ab. Weil der kostbare Pollen nicht als Verpflegung für die Besucher gedacht ist, sondern nur als Bestäubungsmittel, wird er vor Frass geschützt aufbewahrt. Beim Blütenbesuch kleben sich die Pollenpakete am Kopf des Insekts an, sodass es diese nicht mehr selber abstreifen kann, ausser an der klebrigen Narbe einer anderen Blüte. Auf diese Weise führt es die Bestäubung aus. Die Wechselbeziehungen zwischen Orchideen und Insekten entwickelten sich im Lauf der Zeit immer mehr von einem ursprünglich gegenseitigen Nutzen zu einem Vorteil zugunsten der Fotos: Fr edy Joss und bei einem Begattungsver-such die Blüte bestäuben. Die Fliegen-Ragwurz wächst auf Magerwiesen und in lichten Wäldern bis zur Waldgrenze hinauf.

Pflanze. Mit betörendem Duft lockt beispielsweise der Frauenschuh ( Cypripedium calceolus ) Insekten ins Innere seiner Blüte, einer sogenannten Kesselfalle. Durch einen durchsichtigen Fleck auf der sonst gelben Schuhseite dringt ein wenig Licht in die Falle und weist den getäuschten Insekten den Weg zum Ausgang zurück. Nektar haben sie vergeblich gesucht, dafür unfreiwillig zwei Pollinien abgestreift. Offenbar lohnen sich die Täuschungen des Frauenschuhs, denn bis ein Insekt nach mehrmaligen Misserfolgen bestimmte Blüten nicht mehr besucht, hat es doch schon zahlreiche bestäubt.

Andere Arten, zum Beispiel Sumpf-wurzarten ( Epipactis sp .), die auch in Bergwäldern wachsen, bieten den Blüten-besuchern wenigstens Nektar an. Meist wird er für Bienen, Hummeln, Käfer und andere Bestäuber leicht zugänglich präsentiert. Bei der Zweiblättrigen Wald-hyazinthe ( Platanthera bifolia ), die vom Unterland bis auf über 2500 Meter Höhe hinauf vorkommt, befindet sich der Nektar jedoch in einem bis zu drei Zentimeter langen Sporn, wo er nur für Schmetterlinge mit langen Saugrüsseln erreichbar ist. Oft fressen benachteiligte Insekten deshalb einfach den Sporn an und gelangen so doch noch an die süsse Nahrung.

Ragwurzarten ( Ophrys sp .) ahmen Aussehen, Form und Sexualduftstoffe eines Insektenweibchens so gut nach, dass sich Männchen von solitären ( nicht staatenbildenden ) Bienen oder Wespen anlocken und zu einem Begattungsver-such verleiten lassen. Dabei streifen sie ein Pollenpaket einer anderen Blüte ab oder erhalten eines aufgeklebt – wieder klappt eine Bestäubung ohne Gegenge-schenk. Wenn Insekten bei längeren Schlechtwetterphasen nicht fliegen, bestäuben sich Orchideen gleich selber. Erschütterungen durch Regen oder Wind reichen aus, damit Pollenmasse auf die eigene Narbe fällt oder sich beim Verwelken der Blüte die Blütenteile so verformen, dass die Pollinien die Narbe berühren können. Gerade im Gebirge ist die Fähigkeit zur Selbstbestäubung für Männertreu, Zwergorchis, Hohlzunge und weitere Orchideenarten besonders wichtig. Wegen ungünstigeren Entwicklungsbedingungen gibt es in höheren Lagen weniger Orchideenarten. Mit zunehmender Höhe über Meer verkürzt sich die Vegetationszeit, und je nach Art bleibt zu wenig Zeit zum Blühen und zur Samenbildung.

Empfindliche Schönheiten

Bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts herrschten in Mitteleuropa paradiesische Zustände für Orchideen. Durch die auch in den Bergen veränderte und intensivierte Nutzung oder die grossräumigen Überbauungen für Siedlungen und Verkehr verschwanden immer mehr Lebensräume. Stickstoffein-träge aus der Luft – je nach Gegend betragen diese heute in der Schweiz über Im Gegensatz zu den meisten anderen Orchideenarten wächst das Schwärzliche Knabenkraut ( Orchis ustulata ) nicht nur auf Kalk, sondern auch auf Silikat. Man findet es auf mageren Wiesen und Weiden bis auf etwa 2300 m Höhe.

Fast alle haben wohl schon irgendwann einmal auf Alpweiden an der Blüte eines Männertreus ( Nigritella sp .) gerochen, die betörend nach Vanille und Schokolade duftet.

Die zierliche Zwergorchis ( Chamorchis alpina ) mit grün-lich-gelben Blüten ragt kaum über die anderen Pflanzen. Sie wächst in mageren Rasen zwi- Die blattlose Korallenwurz ( Corallorhiza trifida ) besitzt selber kein Chlorophyll und ist deshalb für ihr Gedeihen le- schen 1500 m bis auf 2700 m Höhe. Durch die Erschliessung neuer Skigebiete ist sie lokal gefährdet. Foto: Christoph Käsermann benslänglich auf die Unterstützung von Mykorrhizapilzen angewiesen. Sie wächst in Wäldern bis zur Waldgrenze hinauf. Bis die grünen Blüten des Grossen Zwei-blatts ( Listera ovata ) zum ersten Mal blühen, kann es 20 Jahre dauern. Diese Orchidee wächst in Wäldern, auf Wiesen und Weiden bis auf über 2200 m hinauf. Deutlich sieht man bei dieser Breitblättrigen Sumpfwurz ( Epipactis helleborine ) in der rot gefärbten Vertiefung den Nektar glänzen, der hier für Die zierliche Moosorchis ( Goodyera repens ) findet man in schattigen, moosreichen Föhren- und Fichtenwäldern. Fotos: Fr edy Joss Käfer, Bienen und andere Blü-tenbestäuber gut zugänglich ist. Sie wächst häufig entlang von Waldwegen bis auf über 2000 m. Fuchs'Knabenkraut ( Dacty-lorhiza fuchsii ) oder das ähnliche Gefleckte Knabenkraut wachsen in feuchten Wiesen und in Wäldern bis zur Waldgrenze hinauf und sind relativ häufig. Beide Arten haben gefleckte Blätter und werden bis zu 60 cm hoch.

wiesenartige Rasenstreifen entlang von Eisenbahnböschungen, Autobahnen oder auf Flachdächern.

Potenzmittel und Ungezieferschutz

Bevor es tropische Schönheiten bei uns im Handel zu kaufen gab, waren Frauenschuh und Ragwurzarten als Zierpflan-zen verbreitet. Stark duftende Arten wie Männertreu und Wohlriechende Handwurz wurden früher als Schutz gegen Schaben und Motten in Kleiderschränke gelegt. Handförmige Orchideenknollen trugen die Leute als Glücksbringer um den Hals. Aus den Knollen einiger Kna-benkrautarten hergestellte Präparate galten als Heilmittel gegen Keuchhusten, Fettleibigkeit oder waren auch sehr begehrte Potenzmittel. Heute kennt man Das Rote Waldvögelein ( Cepha-lanthera rubra ) wächst an Waldrändern und in lichten Wäldern bis zur Waldgrenze hinauf. Damit Insekten wie Bienen oder Hummeln angelockt werden, reicht schönes Aussehen allein nicht. Neben Struktur und Farbe sind auch Duft und Beschaffenheit der Blüte wichtig.

Auf Bergwanderungen kann man auf Alpweiden in der ganzen Schweiz bis auf über 2600 m das Manns-Knabenkraut ( Orchis mascula ) mit rot überlaufenem Stängel finden. Diese Art kann lokal sehr häufig sein, wird aber bei intensiver Bewirtschaftung zurückgedrängt.

Fotos: Fr edy Joss 40 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr aus Industrie, Verkehr, Landwirtschaft – fördern stickstoffliebende Pflanzen, welche die konkurrenzschwachen Orchideenarten verdrängen ( vgl. ALPEN 7/2008 ). Heute sind viele Arten in der Schweiz und europaweit gefährdet oder vom Aussterben bedroht. Mit der Einrichtung von Schutzgebieten und entsprechenden Pflegeeinsät-zen bewahren Vereine und Organisationen die Orchideen erfolgreich vor dem weiteren Verschwinden. Dank ihrer grossen Ausbreitungsfähigkeit gelingt es Orchideen aber auch ohne menschliche Hilfe isolierte, neu entstehende Standorte zu besiedeln – zum Beispiel mager-viel wirksamere Medikamente, und auch aus Gründen des Naturschutzes werden keine Orchideenpräparate mehr hergestellt. In der Schweiz sind inzwischen alle Orchideenarten geschützt. a Sabine Joss, Beatenberg

Weitere Informationen und Literatur

Landolt, Elias, Unsere Alpenflora, SAC-Verlag, 2003. Reinhard/Gölz/Peter/Wildermuth, Die Orchideen der Schweiz und angrenzender Gebiete, Verlag Neue Medien, 1991. Joss, Sabine, Blütenwanderungen in der Schweiz, AT Verlag 2008. Wartmann, Beat A., Die Orchideen der Schweiz, Haupt Verlag, 2008. Infos zu Pflegeeinsätzen, Exkursionen, Vorträgen: www.ageo.ch, www.orchideen.ch

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