Hand in Hand mit dem Abenteuer
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Hand in Hand mit dem Abenteuer Eine Begegnung mit Thomas Tivadar und den Huber-Buben

Seit bald zehn Jahren gibt es den «Polartec Challenge» (1), in dessen Rahmen Outdoorsport-Expeditionen unterstützt werden. Bei einer Zusammenkunft im italienischen Arco ergab sich die Gelegenheit, u.a. drei der Gewinner von 1999 kennen zu lernen: Thomas Tivadar sowie Thomas und Alexander Huber.

Gewinner erhalten einen bescheidenen finanziellen Zustupf sowie ein Bekleidungsset zu Testzwecken. Die besonderen Eigenschaften dieser Textilien gewährleisten hohe Funktionsfähigkeit unter härtesten Bedingungen. In Zukunft sollen vermehrt auch europäische Expeditionsteams gefördert werden.

Die Liste mit den 18 Teilnehmern für das Jahr 2000 zeigt, dass viele hervorragende Bergsteiger mit originellen Projekten, darunter einige aus Europa, unterstützt werden: So will der Italiener Luca Maspes ein kleines italienisches Team an zwei noch unbestiegene, extrem schwierige Karakorum-Gipfel führen. Ebenfalls in Pakistan wird der Franzose Laurent Sebastien eine neue Route am Dhuli Chhish angehen. Der Brite Alun Hubbard möchte dagegen von Kanada in die Antarktis, weiter nach Afrika und zurück nach England segeln und während der fünfzehn Monate dauernden Reise gleich noch verschiedene Erstbegehungen und -besteigungen durchführen! Der bekannte Amerikaner Jim Bridwell packt dagegen ein Ziel an, das viele vom Namen her kennen: Er wird versuchen, eine noch unbegangene Wand am Nuptse, dem Siebentausender in unmittelbarer Nähe zu Lhotse und Everest, zu durchsteigen.

Was solch abenteuerliche Pläne konkret bedeuten, zeigte die Begegnung mit zwei Gewinnern von 1999: dem Bigwall-Spezialisten Thomas Tivadar und den bekannten Extrem-Sportkletterern Thomas und Alexander Huber. Letztere haben kürzlich ein Buch publiziert, in dem sie ihre Wege in den Bergen packend beschreiben und illustrieren (2). Darin erzählen sie auch von ihrer letzten Unternehmung, bei der sie 1999 hoch oben am Ogre (7285 m), an einem beeindruckenden und erst einmal bestiegenen Berg im Karakorum, umkehrten. Zum «Trost» unternahmen sie eine Blitzbesteigung der Südwestwand des Latok IV.

Ausserhalb einer kleinen Szene weniger bekannt als die Huber-Brüder ist der ungarischstämmige Deutsche Thomas Tivadar, Jg. 1960, der 1999 ebenfalls zu den Gewinnern des eingangs erwähnten Sponsoring-Programms gehörte. Zusammen mit Gabor Berecz, Oskar Nadasdi und Peter Schaffter versuchte er im letzten Sommer die Erstbegehung eines der höchsten Bigwalls der Erde, der fast 2000 Meter hohen Nordwestwand des Great Trango Tower (6286 m) im pakistanischen Karakorum. In der Anfangsphase der Besteigung wurden die vier von Rita Bürger und Stephan Huber unterstützt, die ihrerseits versuchten, den imposanten Granitobelisken über den Normalweg zu besteigen.

Zur Enttäuschung Tivadars und seiner Kumpel kam ihnen aber ein in ganz anderem Ausmass gesponsertes amerikanisches Team unter der Leitung von Alex Lowe zuvor - Alex Lowe, einer der bekanntesten Allround-Bergsteiger überhaupt, verunglückte zwei Monate später am Shisha Pangma in einer Lawine. Die Amerikaner belagerten den Berg mit einem grossen Materialaufwand und belegten das einzige wirklich logische Risssystem im oberen, kompakten Bereich der riesigen Wand. Zudem waren auch noch Russen präsent, die die rechte Seite dieser «Headwall», des Gipfelaufbaus der Wand, für sich beanspruchten. So blieben dem Team von Thomas Tivadar nur noch feine, meist stumpfe Risse und Felsformationen, über die sie diesen kompakten Wandteil in künstlicher Kletterei überwinden wollten.

Thomas Tivadar schilderte anhand seiner Dias die Strapazen dieser Gewaltstour: Dabei wurde auch dem Bigwall-Laien bewusst, welche (freiwilligen!) Torturen die Spezialisten solcher Unternehmungen auf sich nehmen. Das beginnt mit der «Materialschlacht»: Am Great Trango Tower mussten eine Unmenge von Seilen, Biwakausrüstung (dazu gehören die für solche Wände üblichen Hängezelte, die Portaledges, und Essen für mehrere Wochen sowie technisches Material (Beaks, Copperheads, Rurps, Bathooks, Lost Arrows, Cams, Friends... und wie die für solche Touren üblichen Cliffhangermodelle, Mikrohaken und Klemmgeräte alle heissen) an den Beginn der kompakten Gipfelwand hochgezogen werden. Um an den Fuss dieser «Headwall» zu gelangen, musste das kleine Team aber erst einmal 25 Seillängen, zum grossen Teil in freier Kletterei, begehen.

Dazu benötigten sie zehn Wandtage (durchsetzt mit einigen Schlechtwettertagen). Vom Basislager bis zur Wandmitte auf 5200 m hievten sie zehn Säcke und Fässer mit Material hoch. Normalerweise stellt bei solchen Unternehmungen das Hochziehen des nötigen Wassers die Kletterer vor grosse Probleme; dies wurde am Great Trango Tower durch die Schneefelder, die es bis zur Wandmitte gab, etwas entschärft.

Mitte August begannen Tivadar und seine Freunde mit dem «Final Push» - dem Versuch, sich über den oberen Wandteil bis zum Gipfel hochzuarbeiten, als die Amerikaner und Russen ihre Routen bereits beendet hatten. Leider waren auch die Schönwetterphasen mehr oder weniger vorbei. Tivadars Team begegnete in der Wand winterlichen Verhältnissen, vereisten Rissen, Minustemperaturen im Hängezelt, in dem man auf engstem Raum im senkrechten oder überhängenden Gelände klebt, Stürmen und heftigem Wind... Nicht weniger als 25 Tage harrten die vier Bigwall-Spezialisten, von denen Peter Schaffter früher den Rückzug antrat, in der winterlichen Granitlandschaft aus.

Thomas Tivadar erklärte anschaulich, was moderne künstliche Kletterei ist, die auf klar definierten sportlichen Vorstellungen ( eben dem « Clean new wave»-Stil in Anlehnung an den amerikanischen Begriff « new wave » für moderne Artifkletterei ) beruht: Nur die Stände werden so gebohrt, dass sie Stürze sicher aushalten. Zwischen den Standplätzen werden künstliche Hilfsmittel eingesetzt, die das Fortbewegen erlauben, aber bei einem Sturz nicht unbedingt halten. Je schwieriger das Anbringen der Fortbewegungspunkte und je riskanter solche Passagen bei einem allfälligen Sturz sind, desto schwieriger wird die Seillänge als Ganzes bewertet. Die Skala reicht bis A5; bei diesem Schwierigkeitsgrad kann ein Sturz tödlich sein, falls die Sicherungspunkte über einem Standplatz ausreissen. Thomas Tivadar beklagte sich in diesem Zusammenhang über das Vorgehen der Amerikaner am Great Trango Tower, die sich über schwierige Passagen hochbohrten. An meist stumpfen und geschlossenen Formationen arbeiteten sich Tivadar und seine Freunde bei schlechten Verhältnissen über die Schlüsselseillängen ihrer Route mit Schwierigkeiten bis zu A4+ hoch. Da aber das Wetter anhaltend schlecht blieb, querten sie in ihrer 36. Seillänge schliesslich in die nahe amerikanische Route hinüber und wiederholten von da an zehn Seillängen der Amerikaner. Etwa 60 Meter unter dem Ausstieg, auf rund 6000 m Höhe, beendeten sie ihr Unternehmen wegen mangelnder Zeit in der 44. Seillänge und bauten ab: eine dreitägige Abseilfahrt, Aufräumen, Müllverbrennen, Lastenpacken für die bereits wartenden Träger. Kaum waren die drei Bigwall-Experten am sicheren Boden zurück, mussten sie ihren Rückmarsch in die Zivilisation antreten! Erst da hatten Tivadars seit mehr als drei Wochen erfrorenen Zehen die Gelegenheit, allmählich wieder aufzutauen und ihrem Besitzer die ALPEN-Nachrichten weniger erfreulichen Folgen seiner gewaltigen Unternehmung in Erinnerung zu rufen.

«Lost Butterfly», der verlorene a Schmetterling, heissen die 35 neuen Seillängen von Thomas Tivadar und seinen Freunden am Great Trango Tower; bewertet ist die Route mit VII 5.10 A4+. Sie ist ein hervorragendes Beispiel für die moderne Entwicklung im künstlichen Klettern und für die Entwicklung im Bergsport insgesamt. Der Alpinismus hat sich in den letzten Jahren - wie jedes andere Hobby- und Berufsfeld auch - zunehmend in einzelne, klar unterscheidbare Disziplinen aufgesplittert. Damit geht eine Spezialisierung der Bergsteiger einher. Wer in einer Disziplin auf hohem Niveau mithalten will, muss über Jahre hinweg speziell für diese Sparte üben, trainieren, Erfahrungen sammeln und Kenntnisse aufbauen. Die Betreiber solcher in höchsten Schwierigkeitsgraden sich bewegenden Bergsportdisziplinen erwarten eine Bewertung auf Grund genau definierter sportlicher Massstäbe. Nur so sei ein fairer Leistungsvergleich möglich. In der Disziplin «Bigwall-Klettern» gehört Thomas Tivadar weltweit sicher zur Spitze, und er ist auch Verfechter eines Stils, bei dem es keineswegs um das « Verbohren » jeder kompakten Felswand geht. « Clean new wave » eben - die saubere neue Welle, die auf den Laien geradezu Furcht einflössend wirkt. Da legen wir uns doch lieber an den Sandstrand, tauchen in die mehr oder weniger sauberen Wellen eines südlichen Meers ein und widmen uns zwischendurch dem vergnüglichen und vergleichsweise risikoarmen Klettern an gut abgesicherten, warmen Felsen...

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