Keine Erwachsenen in Kleinformat!
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Keine Erwachsenen in Kleinformat!

Klettern mit Kindern im Seeberg-seegebiet Schönes Wetter weckt den Kletterap-petit. Manuela ( 14 ), Salome ( 8 ), Franzi ( 12 ), Cornelia und Cornelia ( beide 14 ), Sandro ( 9 ), Adrian ( 13 ) und Nils ( 15 ) sind dazu auserkoren, das Kindermenü aus Schweiz plaisir ( vgl. Heft 7/96, S. 34/35 ) zu testen. Ein Sack Bratwürste, Chips, Brot, Karotten, Rollerblades, die Kletterausrüstung und vier Erwachsene teilen sich mit den Kindern den Platz im Kleinbus, der ins liebliche DiemtigtaPfährt. Ausgewählt haben den Ort aber noch die Erwachsenen. Jürg von Känel, Kletter-führerautor und Bergführer, gerät stets wieder ins Schwärmen, wenn er von seiner neusten « Eroberung » erzählt: « Zum Seebergsee, da müssen wir unbedingt hin, die Kletterei ist supersteil, es ist verrückt, wie man hier im vierten bis sechsten Schwierigkeitsgrad Bewegungen ausführt, die man sonst nur in Achtern und Neu-nern braucht. » Man dürfe aber nicht vergessen, dass das Gebiet in einem Naturschutzgebiet liege, erzählt er weiter. Unbedingt müsse man deshalb den im Kärtchen des Führers Schweiz plaisir West ( S. 121 ) eingezeichneten Weg zum Einstieg folgen, sonst würde der Alpvogt die Konsequenzen ziehen.

Heute ist Kinderklettertag, und das Seebergsee-Topo bestätigt, dass der richtige Ort ausgesucht wurde. Nicht nur Routennamen wie Zauber-wält, Asterix oder Winnetou weisen darauf hin, sondern auch ein Signet, ein Mädchen mit Zöpfchen, zeigt, dass hier Kinder gefahrlos vorsteigen können. Sind jedoch für einen erfolgreichen Kinderklettertag wirklich nur die kurzen Hakenabstände ausschlaggebend?

Der Zustieg Um von der Morgensonne zu profitieren, ist man früh aufgestanden. Alle sind deswegen noch ein bisschen müde und wandern brav über die Trittspuren den steilen Hang empor zum Klettergarten. Salome trägt ihren kleinen Sportsack, die ältere Schwester Manuela begnügt sich mit dem Helm, während Sandro und Adrian, ein Seil locker um die Schulter geschwungen, die Gruppe anführen. Der Zustieg hat seine Tücken, denn der Regen vom Vortag hat den Untergrund in eine Rutschbahn verwandelt - die Turnschuhe aus dem Warenhaus erweisen sich einmal mehr als ungeeignet. Am Wandfuss packt Berti von Känel den Fruchttee aus dem Ruck- 1 Seitental im Bereich des unteren Simmentales ( BO ) Am Seebergsee können Kinder gefahrlos vorsteigen: Franzi in Ds Gspänscht f4b+ ).

sack, auch eine Tüte Studentenfutter macht die Runde. In seinem Plaisirfie-ber nicht zu bremsen ist hingegen Jürg von Känel. Schon steht er auf einem Felsköpfchen und hängt die Expressschlingen in die Route Ds Gschpänscht ( 4b+ ) ein. « Franzi, willst Du diese Route nicht vorsteigen ?» fragt er die Zwölfjährige. Am Tag zuvor hatte sie dem Bergführer am Telefon noch erklärt, dass sie keinen Schritt vorsteigen werde, obwohl, wenn der Fotograf da wäre - hm, dann vielleicht einen Meter - aber nicht mehr. Sie setzt sich also den übergrossen Velohelm auf den Kopf und los gehts. « Franzi, jetzt lächle, weisst Du, die Fotos kommen in eine Zeitschrift, Tausende schauen sich dann die Bilder an. Du bekommst Lie-besbriefe, oder andere wollen eine Brieffreundschaft mit Dir », ermuntert Jürg die junge Kletterin. Und Franzi lacht ununterbrochen bis zur Umlenk-kette. Das war ihr erster Vorstieg, und sie ist schon ein bisschen stolz.

Goldgriff ist eine senkrechte Route, mit Löchern, so gross, wie man sie sonst nur in einem riesigen Käse finden würde. Elegant führt sie über einen goldenen Streifen unter ein Dach, dieses zu überwinden ist die Die Gruppe wandert am bildhübschen Seebergsee vorbei. Im Hintergrund lockt der Klettergarten. Wichtig ist, dass man sich an den den See südlich umgehenden Weg hält, denn der Seebergsee befindet sich im Naturschutzgebiet Spillgärten Jugend-Infos,Berichte,Aktivitäten Jetzt, wo die Kinder unten am See mit den Fröschen spielen, nimmt der Klettertag der Erwachsenen seinen gewohnten Lauf; Kathrin Stucki in Briefkasten ( 6a+ ).

Salome, mit Übernamen Säle, beherrscht das Witzeerzählen fast noch besser als das Klettern -doch in beidem vollbringt sie Spitzenleistungen.

Schlüsselstelle ( 5 c ). Adrian ist motiviert und klettert zügig zum grossen Griff an der Dachkante. « Du, Adrian wenn 's Dir nicht wohl ist, kehr bitte um », ruft ihm sein besorgter Vater Jürg zu. Doch ihm ist wohl, er blockiert ein Loch mit der rechten Hand, um mit der Linken den entscheidenden Knubbel zu packen. Nur ein leichtes Zittern beim Aufrichten verrät, dass die Stelle nicht gar so einfach ist. Auch Manuela will den Goldgriff vorsteigen. Nach den ersten drei eingehängten Haken gerät sie ins Stocken, diese Art von Kletterei ist sie nicht gewohnt, ein bisschen verunsichert bricht sie den Vorstieg ab. Toperope gesichert ist alles jedoch kein Problem mehr.

Klettern? Ja, doch, wir kommen Cornelia und Cornelia, die beiden Klassenkameradinnen, geniessen den Tag; sie verstehen sich bestens mit jenen, die klettern, und schäkern ununterbrochen darauflos. « Klettern? Ja, doch, wir kommen », antworten sie auf die Frage, ob sie die steile Route nicht auch versuchen wollen. Die Kletterei behagt ihnen aber gar nicht. Vorhin, in der über geneigteren Fels führenden Route Dr schnall Pfyl ( 4 c+ ), ging es viel besser. Jetzt, in sofort senkrechtem Gelände, wollen sie rasch aufgeben, es ist frustrierend, keinen Zug klettern zu können. Auf-munternde Worte und ein bisschen Seilzug lassen sie die hier erforderliche neue Klettertechnik aber schon besser begreifen. Die damit aufkommende Begeisterung reicht bis zur Routenmitte, d.h. bis Nils den Kletterfluss unterbricht: « He, kommt ihr mit, wir gehen an den See spielen. » Ein fordernder Blick nach unten zur Sicherung und schon sind die Corne-lias wieder am Boden, entschuldigen sich, und weg sind sie mit der Kinderschar.

Bei den Erwachsenen nimmt jetzt ein ganz normaler Klettertag seinen Lauf: Jürg bohrt den Stand einer Route fertig, und Berti klettert eine überhängende Route im siebten Grad nach der anderen. Ihren Sport geniessen sie in vollen Zügen, sie freuen sich über die schönen Kletterbewegungen und den sich bemerkbar machenden Trainingseffekt in den Unterarmen.

Munteres Gelächter dringt aus der Ferne zu ihnen herüber, auch der Kin-dertag steuert einem weiteren Höhepunkt zu. Als der Lärmpegel schliesslich den auf Jürg geeichten Grenzwert erreicht, beschliesst er, nach dem Rechten zu sehen und mit den Kindern am Picknickplatz Buufal ein Feuer zu machen. Berti und ihre Klet-terpartner/innen lassen sich erst viel später durch ein hereinbrechendes Gewitter von den Felsen vertreiben.

Von Müdigkeit keine Spur Hungrig treffen sie wieder auf die Gruppe, die an diesem lauschigen Ort eifrig Würste brät. Artig, aber zappe- Jugend-Infos,Berichte,Aktivitäten c a.

lig verzehren die Kinder das Mitgebrachte. Begeistert erzählen sie von den kleinen Fröschen, die sie am Ufer des Seebergsees gefangen und wieder freigelassen haben. Franzi unterhält aus ihrem unerschöpflichen Witz-repertoire: Estreffen sich zwei Tiere. Das eine fragt das andere: « Du was bist Du für ein Tier ?» Es antwortet ihm: « Ich bin ein Wolfshund. » « Ja aber, wie geht denn das, wie muss ich mir das vorstellen ?» fragt das erste zurück. « Weisst Du, mein Vater war ein Wolf und meine Mutter eine Hündin », kommt die erklärende Antwort.

Das andere denkt eine Weile nach und meint dann: « Aha, in diesem Fall bin ich ein Ameisenbär. » Während die Grossen ihren Kaffee und die Wärme des Lagerfeuers geniessen, tobt um sie herum eine heftige Tannenzapfen-schlacht. Dann erinnern sich Manuela und Nils der Rollerblades im Kofferraum. Auf der Bergstrasse zeigt Manuela ihre Kür, und Nils versucht, den Geschwindigkeitsrekord zu unterbieten. Zum Abschluss versuchen sich die beiden an der Abfahrt nach Zwischenflüh.

Anderes Erlebnisgefühl Wieder zu Hause will der Fotograf für seine Dokumentation nochmals genau wissen, wer denn wo und wie schwierig geklettert sei. Sandro und Adrian geraten plötzlich wieder ins Kletterfieber: « Dr schnall Pfyl ist 4 c+, das stimmt, denn diese Route ist schon ein bisschen schwieriger als Ds Gspänscht », fachsimpelt Sandro. Und Adrian erzählt, dass er schon mal im Goldgriff war, aber heute gelang ihm diese Sechserroute erstmals im Vor- Informationen zum Seebergsee Gebiet und Routen:

Der zuhinterst im Diemtigtal gelege Seebergsee ( LK 1:25000, 1226 Boltigen, Koord. 60O.400/ 158.500 ) ist ein häufig besuchtes, romantisches Wanderziel. Für Kletternde wurde das Gebiet erst im Herbst 1995 durch Jürg und Andreas von Känel entdeckt. Die 20 Routen weisen Schwierigkeiten zwischen 3 c und 6b auf. Grosse Löcher ermöglichen das Klettern in dieser steilen, teilweise überhängenden Wand. Die Felsen mit den Routen liegen in einem Naturschutzgebiet. Bis jetzt wird das Klettern toleriert. Dies wird aber nur so lange möglich sein, als ausschliesslich der markierte Zustieg benützt wird und sich alle diesem Kleinod entsprechend verhalten.

Zufahrt Leider ist das Gebiet mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schlecht zu erreichen. Bei der Tax-stelle in Zwischenflüh ( PTT-Halte-stelle ) kann man Autofahrer um eine Mitfahrgelegenheit bitten. Sonst fährt man mit dem PW von Zweisimmen via Oey nach Zwischenflüh und von dort zum Parkplatz unterhalb des Sees. Nach 20 Gehminuten befindet man sich im Klettergarten. Topo: Schweiz plaisir West ( S. 120/121 ), Jürg von Känel, Edition Filidor, 3713 Reichenbach.

stieg. Der Fotograf beginnt sich zu wundern. Er hatte den Eindruck gehabt, dass die Kinder eher ihm und den Eltern zuliebe kletterten, die anderen Erlebnisse für sie somit viel wichtiger waren. Und jetzt dieses kletteralltägliche Fachsimpeln. Ein Kinderklettertag besteht offensichtlich aus weit mehr als aus Routen abhaken, folgert er. Die Bergwelt bietet einen nahezu unbegrenzten Erfahrungs- und Erlebnisraum, sich lediglich auf das Klettern zu beschränken, das kommt für Kinder nicht in Frage. Würden sie einen Kletterführer gestalten, dann wäre dieser gespickt mit Hinweisen wie: der Parkplatz eignet sich hervorragend zum Fussballspielen, am Bahnhofskiosk ist das Bravo immer ausverkauft, achtet im Juni auf die kleinen Frösche im Bach, oder links am Wandfuss findet ihr eine Räuberhöhle. Kletternde bezeichnen oft den Weg vom Routeneinstieg bis zum Ausstieg als ihr Ziel. Kinder verstehen es ein bisschen gesamtheitlicher: Ihr Weg beginnt am Morgen beim Aufstehen, und abends nach dem Zähneputzen sind sie noch lange nicht am Ziel.

Bernard van Dierendonck, ZürichSchmelzende Herzen im Vorfeld des Abendessens

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