Klimaforschung im tropischen Hochgebirge. «Kaltes» Eis am Äquator
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Klimaforschung im tropischen Hochgebirge. «Kaltes» Eis am Äquator

« Kaltes » Eis am Äquator

Weltweit schwinden die Gebirgsgletscher. Auch in den Tropen. Der Kilimanjaro hat zwischen 1989 und 2000 einen Drittel seiner Eisfläche verloren, seit 1912 sogar 80%. Bei konstanter Abnahmerate wird « das Dach Afrikas » zwischen 2015 und 2020 eisfrei sein. Eiskernbohrungen geben Hinweise auf die Klima- und Umweltbedingungen der letzten 11 700 Jahre.

Der drei Grad südlich des Äquators liegende Kilimanjaro in Tansania ist die höchste Erhebung des afrikanischen Kontinents und liegt unmittelbar an der tansanisch-kenianischen Grenze. Der schlafende Stratovulkan ist eine der weltweit grössten frei stehenden, vulkanischen Erhebungen und gehört zum ostafrikanischen Grabenbruchsystem. 1

Der Vulkanstock besteht neben zahlreichen von Südost nach Nordwest verlaufenden Parasitärkratern aus den drei Hauptausbruchsstellen Shira, 3962 m, Mawenzi, 5150 m, und Kibo/Uhuru Peak, 5892,. " " .55 m, wobei die beiden ersten als erloschen gelten 2. Die jüngsten vulkanischen Aktivitäten im zentralen Krater des ruhenden Hauptgipfels sind zeitlich nicht klar einzuordnen. Noch heute kommt es allerdings in diesem Bereich zu Gasexhalationen ( Fumarolen ), bei denen Wasserdampf und andere gasförmige Stoffe austreten. Das Gipfelplateau bildet eine Caldera, einen kesselartigen Einsturzkrater mit einer Ringstruktur ( Inner Cone ), die den Reusch-Krater mit einem dritten Konus umfasst.

Die innertropische Konvergenzzone ( ITCZ ) verursacht am Kilima ( Cha ) Njaro 3 – wie der Kilimanjaro in Swahili heisst – eine bimodale Niederschlagsverteilung mit zwei Maxima in den Monaten März–Mai und November–Dezember, die den Sonnenhöchstständen folgen. Die Hauptanströmungsrichtung erfolgt aus Ost bis Südost. Die Atmosphäre der äquatornahen inneren Tropen ist durch eine räumlich-zeitliche thermale Homogenität charakterisiert. Dieses Klimaregime definiert den Begriff des « tropischen Gletschers ». Eisflächen ausserhalb des Oszillationsbereiches der ITCZ, aber innerhalb der Wendekreise ( äussere Tropen ) gehören konsequenterweise nicht zu diesem Typus ( Nordchile oder Süd-bolivien ).

Tropische Gletscher Über 99% der tropischen Gletscher befinden sich in den vergletscherten Anden. Nur noch marginale Restvergletscherun-gen sind am Puncak Jaya ( Sudirmange-birge ) der indonesischen Provinz Irian Jaya und in Ostafrika anzutreffen. Im letzteren Fall beschränken sich die Eisflächen auf das Rwenzori-Gebirge, 5109 m, an der Grenze zwischen Uganda und Kongo-Kinshasa, mit den imposanten Raueisformationen im Gipfelbereich, sowie auf die beiden Vulkane Mount Kenya, 5199 m, und Kilimanjaro. Nur noch Hinweise einer einstigen Vergletscherung zeigen der Mount Elgon, 4321 m, an der ugandisch-kenia-nischen Grenze, und die Aberdare Range, 3999 m, in Kenia. Beim tansanischen Mount Meru, 4566 m, sind die Verhältnisse unbestätigt. Verdampfendes Eis Bei den temperierten Alpengletschern liegt die Eistemperatur nahe bei 0 °C. Bei kalten ( arktischen und antarktischen ) Gletschern hingegen misst man das ganze Jahr über Minustemperaturen. Unter solchen Bedingungen entsteht Massenverlust dadurch, dass die Gletscher gewissermassen « verdampfen », das Eis in die Atmosphäre sublimiert. Da bei diesem Prozess die flüssige Phase übersprungen wird, fehlen fluviale Erosionsformen. Neuere Untersuchungen am Kilimanjaro zeigen, dass die beiden grössten Eiskörper – das nördliche und das südliche Eisfeld – nahezu kalt oder polythermal sind, während der nunmehr sehr kleine Furtwängler-Gletscher wasserge-sättigt ist.

Wie Eiswürfel lagern die Gletscher auf dem durchschnittlich 5750 m hohen Kibo-Plateau. Ihre Morphologie ist tatsächlich augenfällig: Vertikale und bis zu 30 m hohe Eiswände begrenzen im Norden und Süden die tendenziell in ost-westlicher Richtung verlaufenden Eiskappen. Scharfkantige Strukturen, Rillen und konkav geformte Oberflächen prägen die kliffartigen Wände. Kaum zu finden sind die typisch runden Formen, die auf Schmelzprozesse durch fühlbaren Wärmefluss hindeuten würden. Seit Fe-

1 Vgl. ALPEN 3/2002 2 GPS-Vermessung aus dem Jahre 1999 3 « Der kleine Berg, wo [der Gott] Njaro wohnt. » 4 www.geo.umass.edu/climate/kibo.html Fo to s:

O liv er St eb le r DIE ALPEN 5/2003

bruar 2000 misst eine automatische Wetterstation amerikanischer Wissenschafter auf dem bis zu 50 m hohen nördlichen Eisfeld kontinuierliche Zeitreihen verschiedener meteorologischer Parameter. 4 Die Temperaturmessungen bestätigen, dass wenigstens seit Beginn der Messkampagne die lokale Lufttemperatur nie über –2 °C gestiegen ist und nur geringfügig um eine Jahresmitteltemperatur von –7,. " " .1 °C schwankt.

Die Aussage, wonach die Gletscher am Kilimanjaro unter dem allgemeinen Trend einer Klimaerwärmung einfach wegschmelzen würden, ist vorerst nicht korrekt. Selbst auf Höhen von ca. 4900 m, was etwa im Bereich des Arrow-Glacier-Camps und damit weit unterhalb der von den Gipfelgletschern heute mit Ausnahme des nördlichen Eisfeldes grösstenteils desintegrierten und weithin sichtbaren Hanggletscher liegt, findet sich noch Permafrost. Zwischen 2000 und 2001 war der Massenhaushalt der Hori-zontalflächen am Messstandort der Wetterstation mit –0,. " " .93 m Wasseräquivalent negativ, was hauptsächlich auf ein Niederschlagsdefizit zurückzuführen ist. Zwischen 2001 und 2002 wurden 0,13 m Wasseräquivalent akkumuliert. Auch wenn sich aus diesen Messungen ( noch ) keine allgemeinen Schlüsse ziehen lassen, scheint auf Grund der allerdings ungenauen Analyse alter Fotografien die Massenbilanz der Horizontalflächen über mehrere Jahre ausgeglichen zu sein.

Die Kibo-Caldera vom Uhuru Peak, 5893 m, aus gesehen. Links die Western Breach mit dem kleinen und rasch zerfallenden Furtwängler-Gletscher im Vorder- und dem nördlichen Eisfeld im Hintergrund. Rechts der Bildmitte die Inner Cone, 5835 m, mit dem Reusch-Krater und rechts anschliessend dem östlichen Eisfeld Auf dem bis zu 50 m hohen nördlichen Eisfeld wurden im Jahre 2000 zur Rekonstruktion der Klimageschichte Eiskernbohrungen abgeteuft. Die Basis des Eises ist mehr als 11 000 Jahre alt.

Die Südflanke des nördlichen Eisfeldes, 5750 m. Nur an einigen Stellen können kurzfristig kleine Schmelzwassermengen – dunkle Verfärbung des Bodens – beobachtet werden. Fluviale Erosionsformen hingegen fehlen gänzlich. Auf dem Gletscher selbst misst eine automatische Wetterstation verschiedene meteorologische Parameter.

DIE ALPEN 5/2003

Selektiver Massenverlust Auf stereoskopischen Luftbildaufnahmen basierende digitale Geländemodelle aus den Jahren 1962 und 2000 dokumentieren eine mittlere Abnahme der Eismächtigkeiten um ca. 17 m – im Mittel ca. 0,5 m jährlich – gegenüber 1962. 5 Inmitten des nördlichen Eisfeldes hat sich seit 1989 zudem ein eisfreies Gebiet herausgebildet, und auf dem Furtwängler-Gletscher entstehen spontan Vertiefungen. Dieser Eisverlust ist eine Folge selektiver Ablation an den Eisvertikalen süd- bis südwestlicher Exposition, denn die Gletscher haben sich seit 1912 auffallend stark gegen Nordosten verkleinert. Zwischen 2000 und 2002 haben sich beispielsweise die südexponierten Eiswände des nördlichen Gletschers um einen Meter zurückgezogen. Für die negative Massenbilanz dieser Eisvertikalen sind die Strahlungsverhältnisse bei relativ tiefem Sonnenstand nach der südlichen Sonnenwende in den bewölkungsarmen Monaten Januar und Februar und damit der Zeitpunkt des Endes der kleinen und des Beginns der grossen Regenzeit entscheidend. Während der tropischen Niederschlagsperioden hingegen reduziert dichte Bewölkung die steil einfallende Strahlung. Diesem Prozess überlagert ist die tägliche Entstehung konvekti-ver Bewölkung ( vertikaler Luftbewegungen ) in den Trockenzeiten, sodass die östlichen Bereiche des Berges deutlich mehr Einstrahlung erhalten als die westlichen. Die blockartige Struktur der Eisdecken ist eine Folge dieses selektiven Massenverlustes.

Reduziert sich einmal der Anteil an hellen Schnee- und Eisflächen, verkleinert sich das Rückstrahlungsvermögen, eine Zunahme der durch die dunklen Vulkangesteine der Kibo-Caldera absor-bierten Energie sowie eine erhöhte Ablation durch Sublimation und Schmelzen sind die Folge. Inwieweit dieses Szenario für den langfristigen Gletscherschwund verantwortlich ist, werden die laufenden Messungen zeigen. Bereits heute jedoch scheint sich die besondere Bedeutung des Niederschlages abzuzeichnen.

Austrocknende Gletscher? Bekannt ist, dass zur Zeit der ersten Besteigung des Kilimanjaro im Jahre 1889 durch Hans Meyer und Ludwig Purtscheller grundsätzlich ein Übergang zu einem trockeneren Klima stattgefunden hat. Das heute veränderte Abflussregime am Berg hat seine Ursache wahrscheinlich im verminderten Niederschlag in der Zone des Bergregenwaldes und ist – wie Satelliten- und Luftbildaufnahmen belegen – auch eine Folge massiven Holzschlages und ineffizienter Waldnutzung im Kilimanjaro-Waldreservat. 6 Da-

von jedoch hydrologisch entkoppelt sind die vergletscherten Bereiche, denn heutzutage evaporiert allfälliges Schmelzwasser direkt in die Atmosphäre, ohne je die tiefer liegenden Regionen zu erreichen. 7

Im Februar 2000 haben Klimafor-scher auf den nördlichen und südlichen Eisfeldern sowie auf dem Furtwängler-Gletscher erstmals – und wahrscheinlich auch zum letzten Mal – sechs Eiskernbohrungen abgeteuft. In den gezogenen

5 Science 298, 589–593 6 www.unep.org/dewa/mountain/kili-forest.asp 7 96% des Abflusses stammen von den Niederschlägen aus der Bergregenwaldzone. 8 Zeitlich wesentlich weiter in die Vergangenheit zurückreichende Klimaarchive sind aus grönländischen und antarktischen Eiskernbohrungen bekannt. 9 Wassermoleküle besitzen in der Regel das stabile Sauerstoffisotop mit der Massenzahl 16 ( 8 Protonen, 8 Neutronen ). Auf 1000 Wassermoleküle weisen 2 anstelle von Sauerstoff-16 jedoch das schwerere, stabile Sauerstoffisotop-18 ( 8 Protonen, 10 Neutronen ) auf. Verdunstet Meerwasser, gehen bevorzugt die leichteren Wassermoleküle mit dem Isotop 16 O in die Gasphase. Sie bilden den Hauptbestandteil des Wasserdampfes in den Wolken und werden von ihren Entstehungsgebieten über den Ozeanen Richtung Kontinente verfrachtet, wo sie schliesslich ausregnen. Je geringer die Temperatur, desto weniger 18 O gibt es in den Wolken, denn gewöhnlich kondensieren die schwereren Moleküle zuerst. 10 Gilt insbesondere für das nördliche Eisfeld. Der kleine und gegenwärtig rasch zerfallende Furtwängler-Gletscher ist nur wenige Jahrhunderte alt und wird als Relikt der « kleinen Eiszeit » – ca. 1540–1850 – interpretiert.

Der Westrand des nördlichen Eisfeldes im Abendlicht. Die dunklen Eishorizonte sind eine Folge erhöhten atmosphärischen Staubeintrages während trockener und kalter Klimaperioden.

Fotos: Oliver Stebler DIE ALPEN 5/2003

Bohrkernen sind stratigrafisch die regionalen Klima- und Umweltbedingungen der letzten ca. 11 700 Jahre ( Holozän oder Postglazial ) archiviert. 8 In etwas mehr als einem Meter Tiefe findet sich in den Bohrkernen ein erhöhter Eintrag an Chlor-36, das auf Kernwaffentests im Jahre 1952 zurückzuführen ist und ( global ) als zeitlicher Referenzhorizont dient. In den Wassermolekülen des Eises konserviert ist beispielsweise das Verhältnis zwischen leichten ( 16 O ) und schweren

Sauerstoffisotopen ( 18 O ), wobei ein

Überschuss an 18 O in den Eisbohrkernen

in erster Näherung als wärmeres Klima interpretiert wird. 9 Ist gleichzeitig die allgemeine Aerosolkonzentration im Eis tief, impliziert dies zudem ein feuchteres Klima. Bereits aus der Analyse anderer Klimaarchive wusste man, dass dies vor 4000 bis 11 000 Jahren auf Grund sich mit unterschiedlicher Amplitude ändernder Erdbahnparameter der Fall war ( African Humid Period ). Daneben sind die Eisbohrkerne des Kilimanjaro Zeugen mindestens dreier abrupter holozä-ner Klimaänderungen, die allerdings kontrovers diskutiert werden. Die letzten 4000 Jahre hingegen gelten gemeinhin als trockener und kälter. Die Analysen der Eisbohrkerne liefern übrigens keine Hinweise – beispielsweise in Form ange-reicherter Aschehorizonte – auf eruptive Aktivitäten des Zentralkraters während der letzten 11 700 Jahre, obwohl solche bis anhin als wahrscheinlich galten. Ein Geheimnis vielleicht, das der Berg weiterhin für sich behält.

Obwohl die aus den Eisbohrkernen am Kilimanjaro gewonnenen Erkenntnisse weitgehend mit anderen Klima-archiven kohärent sind, ist die genaue Datierung von Einzelereignissen nicht trivial. Zudem scheinen unter tropischen Verhältnissen die 18 O-Werte eher mit der Regenmenge als mit der Lufttemperatur zu korrelieren.. " " .Vor 4000 Jahren waren die klimatischen Verhältnisse am Kilimanjaro wesentlich trockener: Davon zeugen die zu jener Zeit tieferen Wasserstände verschiedener Seen in der Region als auch erhöhte Staubeinträge im Gletschereis. Damals waren die Eisflächen auf dem Kilimanjaro wahrscheinlich kleiner als heute. 10 Der allerdings für die kommenden Jahrzehnte prognostizierte totale Eisverlust ist für die letzten 11 Jahrtausende neu.a..

Oliver Stebler, Zürich Der Südrand des nördlichen Eisfeldes, 5750 m. Der Massenverlust der Kibo-Gletscher findet überwiegend an solchen Eisvertikalen statt, während die Eismächtigkeiten selbst praktisch konstant bleiben.

Die als Büsserschnee – Penitentes – bezeichneten Schnee- und Eiszacken sind gegen die einfallende Strahlung und in ostwestlich verlaufenden Reihen ausgerichtet. Sie entstehen bei selektiver Ablation. Im Hintergrund das nördliche Eisfeld Das südliche Eisfeld mit in ost-westlicher Richtung verlaufenden Reihen von Büsserschnee im Vordergrund DIE ALPEN 5/2003

Reisen, Begegnungen, Persönlichkeiten

Viaggi, incontri, personalità

Voyages, rencontres, personnalités

Feedback