Landschaftsentwicklung muss breit abgestützt sein: «Konflikte austragen, um einen Konsens zu erreichen»
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Landschaftsentwicklung muss breit abgestützt sein: «Konflikte austragen, um einen Konsens zu erreichen»

Fragt man SAC-Mitglieder, wie wichtig ihnen der Schutz der Berge sei, so ist der Konsens breit. Fällt das Stichwort Naturschutz, so gehen die Meinungen aber bereits auseinander. Das zeigt sich auch im laufenden Projekt «Alpenlandschaft Zukunft». Ein Weg, um unterschiedlichste Ansichten einzubinden, ist jener der Partizipation.

Als der Wengener Hotelier Andrea Cova 1996 eine Idee aus den 1970er-Jahren aufgriff und das Jungfrau-Aletsch-Gebiet als «Jungfrau-Aletsch World Monument» auf die Welterbeliste der UNESCO bringen wollte, stiess er auf Zustimmung, Skepsis und Ablehnung. Touristische Kreise erhofften sich davon zwar «weltweite werbemässige Impulse», wie Grindelwalds Kurdirektor Joe Luggen sagte. Doch etliche Gemeinden befürchteten weitere naturschützerische Einschränkungen. Grindelwalds Gemeindepräsident Gottfried Bohren zum Beispiel hielt fest, man dürfe «nicht über die bisherige Gesetzgebung hinaus in der touristischen Entfaltung behindert werden» – man wollte damals vor allem die Pläne einer Bahn aufs Rosenhorn ( noch ) nicht auf Eis legen. Die Gemeinde Lauterbrunnen stimmte erst im zweiten Anlauf zu und engagierte sich später, um die noch eher ablehnenden Walliser Gemeinden Naters und Ried-Mörel positiv zu stimmen. Naters lenkte dann ein, doch Ried-Mörel stimmte nur unter der Bedingung zu, dass die Gebietsgrenzen im Bereich Riederfurka-Belalp um einige Hundert Meter zurückverlegt werden. Man wollte die Vision einer Seilbahn von der Riederfurka auf die Belalp nicht fallen lassen. Diese Forderung erfüllte der Walliser Staatsrat dann zwar, stellte aber klar, dass der Bau einer oberirdischen Bahnverbindung gemäss Bundesinventar für Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung  (BLN) ohnehin nicht möglich sei. Prominentester Gegner der UNESCO-Pläne war damals der Riederalper Hotelier Art Furrer. In einer Zeitungskolumne bezeichnete er die Pro-Natura-Exponenten als «Wölfe im Schafspelz, die gierig wie Krebse lauern und Visionen und wirtschaftliches Wachstum verhindern». Heute scheint allerdings auch ihm das werbewirksame UNESCO-Label willkommen zu sein. Auf seiner Website freut er sich jedenfalls darauf, «Sie bald persönlich auf der Riederalp und Bettmeralp, im UNESCO-Welterbe Jungfrau-Aletsch, begrüssen zu dürfen».

Im Dezember 2001 wurde das Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn-Gebiet als erste Alpenregion auf die UNESCO-Welterbe-Liste gesetzt. Die beteiligten 26 Gemeinden bezeichneten sich neu als «Mitglieder des Netzwerkes Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn». Der Weg dahin war lang: Insgesamt haben sich 256 Personen aus den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Jagd, Wildhut, Tourismus, Hotellerie, Bergbahnen, Verkehr, Gewerbe, Handel, Naturschutz, Kultur, Bildung, Soziales, Verwaltung, Planung und lokale Entwicklungsförderung an den Foren beteiligt – geleitet von vier Experten, dem Managementzentrum des Weltnaturerbes und Forschenden der Universität Bern. So seien «die ursprünglich sehr unterschiedlichen Erwartungen an das Welterbe konkretisiert, ausgehandelt und in Aktionsbereiche gegliedert worden». Wichtig sei, nicht nur über Ziele, sondern gleich auch über Massnahmen zu diskutieren, sagt Astrid Wallner, die den Partizipationsprozess wissenschaftlich begleitet hat: «Erst wenn beide Ebenen in der Diskussion beachtet werden, können Konflikte, die auf den ersten Blick vorhanden sind, ausgeräumt werden – während andere sich dabei allerdings auch auftun.» Auch Beat Ruppen, der Leiter des Managementzentrums, betont, Konflikte seien «früh und offen auszutragen». So sei es möglich, «die Diskussion zu versachlichen, einen Konsens zu erreichen und eine gemeinsame Stossrichtung festzulegen – auch wenn eine hundertprozentige Übereinstimmung und Abstützung dann illusorisch ist. Es gibt auch Unterlegene. Das ist in einer Demokratie so. Doch rückblickend sind mir keine erbitterten Gegner mehr bekannt.» Dissonanzen gibt es allerdings immer noch: Weil das Stiftungsmanagement vom schwerfälligen Namen «UNESCO-Welterbe Jungfrau-Aletsch-Bietschhorn» das Bietschhorn abzwackte, erklärten die drei gekränkten Lötschentaler Gemeinden Ferden, Kippel und Wiler im September 2009 den Austritt aus der Stiftung. Was das für das Welterbe Schweizer Alpen Jungfrau-Aletsch heisst, wird vom Bund und vom Kanton Wallis derzeit geprüft.

Während im UNESCO-Welterbe-Projekt der Mitwirkungsprozess von den Initianten freiwillig umgesetzt wurde, ist bei Naturparkprojekten die Partizipation gesetzlich verankert. Die Vorgabe des Bundes ist klar: «Bei der Projektierung, bei der Errichtung und beim Betrieb eines Parks ist die Mitwirkung der Bevölkerung und der verschiedenen Interessengruppen zu gewährleisten. Die Gemeinden sind in der Trägerschaft des Parks massgeblich vertreten.» Gegenwärtig wollen mehr als ein Dutzend Regionen vom Bund anerkannt werden, nicht zuletzt weil Geld fliesst (siehe auch ALPEN 8/2009). Die Projekte reichen vom Parc Naturel Régional du Doubs über den Naturpark Binntal bis hin zur Biosfera Val Müstair. Der Weg zur Zertifizierung ist steinig, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Interessen der Bewohner oft diametral gegenüberstehen. Das Beispiel Gantrisch zeigt, was das heisst. Nach langer Vorbereitungs- und Aufklärungsarbeit durch den Förderverein Region Gantrisch haben bis Ende 2009 alle 28 involvierten Gemeinden zugestimmt. Zuletzt auch die beiden «Wackelgemeinden» Guggisberg und Rüschegg, in denen vor allem Landwirte eine Verschärfung der Umweltschutzauflagen befürchtet hatten. Rüschegg sagte mit 123:107 Ja, Guggisberg mit 123:95. «Nach dem Abstimmungserfolg ist der Informations-, Sensibilisierungs- und Mitwirkungsprozess aber noch längst nicht abgeschlossen», wie Peter Krähenbühl, der Präsident des Fördervereins, sagt. Nun gehe es um die Ausarbeitung des Managementplans – und darum, «die Achse Natur- und Heimatschutz und Landwirtschaft» zu stärken, denn: «Wir sind darauf angewiesen, dass die Kulturlandschaft gepflegt wird. Sonst geht nichts » Krähenbühl räumt ein, dass jene Landwirtschaft, für die zum Beispiel Agrotourismus oder Direktverkauf kein Thema sei, nicht direkt vom Parklabel profitieren werde. Das habe in gewissen Gebieten zu einer negativen Stimmung geführt. Doch trotz allem sei das Projekt nun breit abgestützt und auf gutem Weg. Nächster Meilenstein sei das Naturparklabel, das man im Herbst 2011 zu erlangen hoffe. Es werde auch weiterhin nicht im stillen Kämmerchen gearbeitet, denn: «Was nicht offen und kontrovers diskutiert wird, hat nie die Chance, in 28 Gemeinden eine Mehrheit zu finden. Ohne Partizipation geht es nicht.»

Feedback