Neu im Eiger-Theater. Durch Nord- und Südostwand
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Neu im Eiger-Theater. Durch Nord- und Südostwand

Fo to s:

Ro be rt B ös ch

Schauplatz Eiger: Es muss am Berg liegen. In einer lateinisch abgefassten Verkaufsurkunde über einen Grundstückwechsel von Ita von Wädiswyl an die Propstei Interlaken vom 24. Juli 1252 heisst es bei der Gebiets-bezeichnung « ad montem qui nominatur Egere – bis zum Berg, der Eiger heisst ». Ein nicht zu übersehender Marchstein. Und ein Fixpunkt für kleine und grosse Lauper, bis heute.

« Mönchexpress »

Zum Beispiel für den 30-jährigen Bergführer Stephan Siegrist aus Interlaken. Am 4. Juli 2000 rasten er und Ueli Steck mit dem « Mönchexpress » auf einer neuen Direktlinie durch die Nordwestwand des Mönchs, im August des gleichen Jahres vollendete er mit Daniel H. Anker seine erste Neutour in der Eigernordwand. Und am 24. Mai 2001 konnte er schon wieder anstossen: Mit Ralph Weber gelang ihm ein neuer Anstieg durch die Nordwand der Jungfrau, der zuoberst in die Lauper-Rou-te mündet. Ein schöner Abschluss für die moderne Trilogie in den Nordwänden des Dreigestirns.

Aber der Eiger liess Siegrist, der im September 1999 durch die TV-Sendung « Eiger-Nordwand live » auch ausserhalb von Bergsteigerkreisen bekannt geworden war, nicht los. Und den 26-jährigen Langnauer, in Gsteigwiler wohnhaften Steck ebenfalls nicht. Als sie auf der Kleinen Scheidegg die Mönch'sche Begehung feierten, blieben ihre Blicke immer wieder am Nachbar hängen, in seiner Nordwand mit dem berühmten weissen Fleck im oberen Drittel: der Spinne.. " " .Besonders fasziniert waren die Betrachter vom linken Spinnenbein, das als Eiszapfen hoch über dem Todesbiwak hängt.

Blick auf die Kleine Scheidegg und die Eigernordwand, die weltweit bekannte « Berg-steiger-Arena » des Berner Oberlands

Durch Nord- und Südostwand

NEU IM EIGER-THEATER

DIE ALPEN 8/2002

« The Young Spider »

Der Erste, der seinen Eishammer ins senkrechte Spinnenbein schlug, war Steck – im Alleingang.. " " .Weil Siegrist nicht immer abkömmlich war, trieb Steck an fünf Tagen alleine von der Station Eigerwand der Jungfraubahn aus die im Juni 2001 angefangene Eigerroute durch senkrechte Eis- und Felspassagen hoch, wobei er sich mit einem automatischen Blockiersystem sicherte – im Falle eines Falles. Doch am Eiszapfen der Spinne hätte auch dieses nicht mehr viel genützt. Steck: « Das Eis war dünn, die Eisschrauben gingen nur halb hinein und hätten einen Sturz nicht gehalten. » Trotzdem kletterte er 40 Meter am eisigen Spinnenbein hoch und wollte dann einen Bohrhaken in den Fels nebenan setzen: « Ich zog die Bohrmaschine hoch, aber sie hatte unterwegs Wasser erhalten und funktionierte nicht mehr. » Abseilen konnte Steck an den schlecht sitzenden Schrauben nicht, weshalb er wieder hinabklettern musste, Hammerschlag für Hammerschlag, Steigeisentritt für Steigeisentritt. Kommentar von Zimmermann Steck, der heute als Verkäufer in einem Bergsportgeschäft in Meiringen arbeitet, wenn er nicht gerade am Bergsteigen ist: « Das isch mer no so iigfahre. »

Adrenalinschübe hatten Steck und Siegrist in der 1100 m hohen Route durch die Nordwand noch einige auszustehen. Beispielsweise dann, als Steck wegen eines Missverständnisses mit den Jümars am Seil nachstieg, das nicht an einem Haken befestigt war, sondern nur an Siegrists Klettergurt. Und dieser stand nur auf den Frontzacken seiner Steigeisen und hielt lediglich einen Pickel in der Hand. Bis Steck die fatale Situation erfassen und das Seil entlasten konnte, erlebte Siegrist die längsten Minuten seines ( Bergsteiger-)Lebens: « Als Ueli endlich bei

Zur Legende wurde die erste Durchsteigung der Eigernordwand im nordostwärts gerichteten Teil vor 70 Jahren durch Hans Lauper und seine Gefährten. Ueli Bühler in der Lauper-Route. Eigernordwand, das Wahrzeichen von Grindelwald DIE ALPEN 8/2002

mir ankam, war ich völlig fertig. So nah am Rausfliegen habe ich mich noch nie gefühlt. » Starke Gefühle auch am 15. Oktober 2001, als sie nach ganztägiger Dauerkletterei im letzten Tageslicht die letzte der 28 Seillängen angingen. « Total brüchiger und vereister Fels, kaum Sicherungsmöglichkeiten », bemerkt Steck. Und Siegrist ergänzt: « Mir sy scho chli a Aschlag cho. » Die beiden wollten einfach hinauf, obwohl das Biwakzeug mit Schlafsäcken, Hängezelt und Kocher in der Spinne unten wartete. Um halb neun Abends standen die zwei Eigerhelden auf dem Gipfel. Dann stiegen sie in vier Stunden bei Nacht und Nebel über die abschüssige Westflanke nach Eigergletscher ab, wo im Guesthouse Bett und Znacht warteten. Siegrist hatte beides vom Gipfel aus via Handy arrangiert. « The Young Spider » nannten sie ihre Route. Die 27. Kreation auf der schattigen, erstmals von Lauper und Gefährten betretenen Bühne des Eigers. Und nach der 1983 eröffneten Ideal-Direttissima endlich wieder eine direkte Nordwandroute zum Gipfel.

Nordwand « The Young Spider »

Erstbegehung: Stephan Siegrist, Interlaken; Ueli Steck, Gsteigwiler; mehrere Tage von Juni bis Oktober 2001; am 15. Oktober 2001 kletterten die beiden die Route in einem Zug durch. Schwierigkeit: WI6, M7, 7a, A2; 28 SL plus Ausstieg durchs Gipfeleisfeld zum Gipfel, 1100 m Wandhöhe Einrichtung: Teilweise Bohrhaken an Standplätzen und wichtigen Zwischensicherungspunkten Material: 60-m-Seile. Camelots 0,2–2, Rock-Set, 3 Knifeblades 2, 2 Lost Arrows. Komplette Eis- und Biwakausrüstung. Kletterfinken und Bergschuhe Einstieg: Station Eigerwand ( 2865 m ) Abstieg: Vom Gipfel ( 3970 m ) über die W-Flanke zur Station Eigergletscher ( 2320 m ) Zeit: 2 Tage Info/Topo: Stephan Siegrist, Jungfraustrasse 48, 3800 Interlaken

Mit der Fernsehsendung « Eiger live » wurde der Bergführer Stephan Siegrist bekannt: die Eiger-live-Bergsteiger am Mittellegigrat nach der Durchsteigung der Nordwand.

Fotos: Robert Bösch DIE ALPEN 8/2002 Ueli Steck ( l. ) und Stephan Siegrist bei den Vorbereitungen zu ihrem Eiger-Abenteuer In der Route « The Young Spider »: extreme Eis- und Mixedkletterei am dünnen Eis des Spinnenbeins In der Route « The Young Spider »: schwierige Felskletterei oberhalb des Stollenfensters der Station « Eigerwand » der Jungfraujochbahn Fo to s:

Ro be rt B ös ch In der Route « The Young Spider »: An den Fixseilen geht es gleich überhängend aus dem Stollenfenster der Station « Eigerwand ».

In der Route « The Young Spider »: Tiefblick aufs 3. Eisfeld DIE ALPEN 8/2002

« Deep Blue Sea »

Nicht den Gipfel suchten die beiden Luzerner Bergführer Bernd Rathmayr und Reto Ruhstaller, sondern eine möglichst schöne ( und schwierige ) Freikletterei in möglichst gutem Fels mit möglichst guten Sicherungshaken. Die erste reine Sportkletterroute am Eiger hatten 1983 die Romands Pierre-Alain Steiner und Paul Maillefer mit « Spit verdonesque édenté » zur Aufführung gebracht – 300 Meter senkrechter bis überhängender Kalk am Genferpfeiler im westlichen Teil der Nordwand. Rechts davon haben das « Duo infernal » Rathmayr–Ruhstaller eine neue Linie an je zwei Tagen im August 2000 und 2001 gefunden. Neun Seillängen, meistens 7a, manchmal sogar 7b+ und – so Ruhstaller – « permanent guter Fels wie in den Wendenstöcken oder im Verdon ». Die 26. Route der Eigerwand heisst « Deep Blue Sea », weil sie über einen 250 m hohen, bläulichen Streifen verläuft. Passt eigentlich, dass man in Turnschuhen zum Einstieg gelangt.

« Eidenschink–Möller-Führe »

Strandleben in der Vertikalen, wenigstens was die Sonnenscheindauer betrifft, versprechen die beiden neuen Sportkletterrouten auf der unbekannten Rückseite des Eigers, in der bis zu 800 Meter hohen Südostwand, zu der man von der Station Eismeer der Jungfraujochbahn gelangt. Diese Wand geriet nie ins Scheinwerferlicht wie die Vorderseite. Alpingeschichtlich haben die beiden

Der obere Wandteil des Genfer Pfeilers in der Abendsonne. Die Route « Deep Blue Sea » verläuft über den blauen Wasserstreifen im Zentrum der Wand.

Reto Ruhstaller während der Erstbegehung im Nachstieg in der zweiten Seillänge, 6b+ Foto: Reto Ruhstaller DIE ALPEN 8/2002

Wände allerdings einiges gemeinsam. Vor 65 Jahren, am 6. August 1937, machten Otto Eidenschink, Ernst Möller, Hias Rebitsch und Wiggerl Vörg die dritte Begehung der Nordwand des Grossen Fiescherhorns. Fünf Tage später waren alle vier am Eiger: die beiden ersten in der Südostwand, die zwei andern in der Nordwand. Ei-denschink–Möller kletterten in 24 Stunden als Erste durch die Sonnenwand, mit einem 12-stündigen Biwak etwas oberhalb der Wandmitte. Rebitsch und Vörg kamen in der Schattenwand ein paar Seillängen weiter als das Todesbiwak, dann erzwang ein Wetterumsturz – wieder maleinen dramatischen, von der Presse und von Zuschauern fiebrig miterlebten und kommentierten Rückzug. Die beiden Eigerhelden kehrten als Erste lebend aus dem zentralen Wandteil der « Mordwand » zurück. Diesen Übernamen hatte die Eigerwand nach den ersten sechs Toten 1935 und 1936 erhalten.

« Märmelibahn »

Todesbiwak, Spinne, Direttissimas, und jetzt auch noch die blaue Tiefsee: Auf der Nordseite des Eigers gehts immer ernst zu. Nicht so auf seiner Südseite: Der dritte, 1988 fertig gestellte Anstieg heisst « Panoramaweg » – er verspricht genussvolles Klettern mit Aussicht – auf Erfolg. Und seit dem Sommer 2001 gibt es hier sogar eine « Märmelibahn ». So nannten die Berner Bergführer Res Leibundgut und Sacha Wettstein ihre Neuroute im rechten Teil der Südostwand wegen der vielen Wasserrillen in den Plattenschüssen. Diese Eigerbahn im oberen

Südostwand « Märmelibahn »

Erstbegehung: Res Leibundgut, Spiez; Sacha Wettstein, Bern; 9 Tage in den Sommern 1999, 2000, 2001 Schwierigkeit: 6 c ( 6b obl. ), 22 SL ( zwischen 3200 m und 3900 m ) Einrichtung: 76 Bohrhaken, einige Normalhaken und Sanduhrschlingen Material: 50-m-Doppelseil, 10 Express, Schlingen zum Verlängern, komplette Sätze Rocks und Friends, warme Kleider, Helm, viel Flüssiges Zustieg: Von der Station Eismeer in 30 Min. zum Einstieg rechts des « Panoramawegs » ( Route 272 im SAC-Führer Berner Alpen 4, Ausgabe 1997 ) Abstieg: Abseilen über die Route Zeit: Für schnelle Wiederholer wird eine eintägige Begehung von der Station Eismeer empfohlen, für Geniesser eine zweitägige mit Übernachtung im gemütlichen und regensicheren Biwak in der Wandmitte. Zwei Mätteli, ein Biwaksack, Kocher und Pfanne vorhanden, meistens auch Schnee. Rest selber mitnehmen. Info/Topo: Res Leibundgut, Oberlandstrasse 20, 3700 Spiez

Nordwand « Deep Blue Sea »

Erstbegehung: Bernd Rathmayr, Bern; Reto Ruhstaller, Horw; 4 Tage im August 2000 und 2001 Schwierigkeit: 7b+; 9 SL Einrichtung: Die nötigen Bohrhaken stecken Material: 2ϫ50-m-Seil, Satz Rocks, Friends 1 / 2 –2 1 / 2, evtl. 3 Zustieg: Von der Station Eigergletscher wie zur « Spit verdonesque édenté » am Genferpfeiler ( Route 266.5 im SAC-Führer Berner Alpen 4, Ausgabe 1997 ). « Deep Blue Sea » beginnt rechts der « Spit ». Abstieg: Abseilen über die Route oder über die W-Flanke absteigen Zeit: 1 Tag Info/Topo: Bernd Rathmayr, Länggassstr. 45, 3012 Bern

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sechsten Schwierigkeitsgrad nach der französischen Skala ist mit 76 Bohrhaken bestückt und weist nach elf der 22 Seillängen ein breites Band auf, wo man herumspazieren und bequem biwakieren kann. « Am Morgen weckt dich der erste Sonnenstrahl », schwärmt Res Leibundgut.

« The Rathole Syndrome »

Nicht ganz so freundlich erlebten vier Alpinisten aus Budapest den « mons Egere ». Sie hatten sich ebenfalls der Südostwand verschrieben und legten im August 1999 und 2000 eine neue Sportkletterführe in ihrem rechten Teil. Sie hausten jeweils wochenlang in einer dunklen Höhle bei der Station Eismeer – ihr Ferienbudget hatten sie für das Klettermaterial gebraucht. Sie hatten es ganz gemütlich dort, ausser bei schlechtem Wetter. Sántha Gergõ: « Bis um sechs Uhr abends schauten wir den japanischen Touristen in der Station zu. Aber wenn der letzte Zug abgefahren war, wurde es stinklangweilig. »

Südostwand « The Rathole Syndrome »

Erstbegehung: Gábor F. András, Ervin Nagy, Gergõ Sántha, Tibor Seper, alle Budapest; 8.–15.8.1999 und 2.–2O.8.2000 Schwierigkeit: 6 c/6 c+, A1 ( 3 m in brüchigem Fels ); 19 SL Einrichtung: 80 10-mm-Raumers-Bolts ( 36 an den Ständen, 44 in den Seillängen ) Material: Gletscherausrüstung für den Einstieg, mindestens 55-m-Seil, Express, Friends bis 3 ( 1 und 2 in doppelter Ausführung nützlich ), 4–6 Thinblades, Hammer, evtl. Biwakmaterial Zustieg: Von der Station Eismeer in 40 Min. zum Einstieg rechts der Route « Märmelibahn » Abstieg: Abseilen ist über die ersten 16 SL möglich. Zuoberst ist es heikel. Man kann aber über die « Märmelibahn » abseilen. Oder über den Mittellegigrat absteigen Zeit: Schnelle Kletterer schaffen die Route in einem Tag. Info: sgergo(at)yahoo.com

Typische Wasserrillen-Kletterei in der Eigersüdostwand Die ca. 700 m hohe felsige Eigersüdostwand, durch welche die Route « Märmelibahn » führt In der 7. Seillänge von « Märmelibahn »: Sacha Wettstein bohrt ( von Hand ) das Loch für einen Haken.

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Trost brachte da ab und zu eine Zigarette, die sich die ungarischen Eigermänner aus dem Tabak weggeworfener Kippen drehten. Bohrhaken statt Marlboro hiess ihre Devise. Und als sie da so in ihrem Eismeerbiwak sassen, fiel ihnen auch der Name für ihr Kletterstück ein, « The Rathole Syndrome ». Am 2O. August 2000 erreichte das Quartett den Mittellegigrat – das « Rattenloch-Syndrom » war gelöst.

Auf den Tag genau 68 Jahre zuvor war eine andere Seilschaft am Mittellegigrat ausgestiegen. « Endlich zündeten die Führer ihre Zigarren an, die sie so lange entbehrt hatten und die so schlecht rochen wie je, dann nahmen wir die Säcke und Pickel und Seil auf, stiegen gemütlich über den Schneegrat zum Nordostgrat empor und folgten diesem in einer guten Spur zum Gipfel », hielt Hans Lauper in seinem Bericht 1 fest. « Die Ersteigung der letzten der drei Nordwände des weltberühmten Dreigestirnes Jungfrau–Mönch–Eiger war geglückt .» a

Literatur

Anker Daniel: Eiger – Die vertikale Arena. AS Verlag, Zürich 2000 Schnegg Ralph: « Hans Lauperder Gentleman der Nordwände » in Anker Daniel: Mönch – Mittelpunkt im Dreigestirn. AS Verlag, Zürich 2002.

1 « Der Eiger von Norden. Eine Ersteigung. » Die Alpen 1933, S. 161–167 Das Wasserreservoir der Erstbegeher im Biwak in der Wandmitte Blick aus der 13. Seillänge auf den Challifirn Fo to s: An dr ea s L ei bu nd gut DIE ALPEN 8/2002

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