Neue Forme(l)n für Bergerlebnisse. Andrea Gasser, Bergführerin
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Neue Forme(l)n für Bergerlebnisse. Andrea Gasser, Bergführerin

Andrea Gasser, Bergführerin

Neue Forme(l)n für Bergerlebnisse

Jahrzehntelang war der Bergführerberuf fest in Männerhand. Nun sorgen immer mehr Frauen dafür, dass sich die Szene verändert. Zum Beispiel Andrea Gasser.

« Ich war 16 und mit der JO im Bergell unterwegs. Berge waren für mich schon damals wichtiger als alles andere. Ehrfürchtig schaute ich zu den Bergführern empor. Da begegneten wir einer Seilschaft mit einer italienischen Bergführerin. Sie hiess Renata Rossi. Und sie zeigte mir: Auch Frauen können das. » Andrea Gasser erzählt, als ob das vorgestern – und nicht 1984 – passiert wäre. Und als ob sie das Kuvert mit der Anmeldung zur Bergführerausbildung erst gestern in den Briefkasten geworfen hätte. Dabei dauerte es nach der Begegnung im Bergell zehn Jahre, bis die gelernte Hochbau-zeichnerin als « ungefähr zehnte Frau » diesen Schritt wagte. Die gebürtige Bernerin aus Uetendorf bei Thun war im Nachhinein über ihren Mut fast etwas erschrocken, denn « der Bergführerberuf war doch schliesslich nur etwas für starke Männer !»

Bergführerinnen mit Marktvorteil

Es dauerte nochmals eine ganze Weile, bis Andrea Gasser das Gefühl, mehr leisten zu müssen als die Männer, loslassen konnte. « Es waren vor allem meine persönlichen Erwartungen, die mir im Weg standen, und nicht die – durchwegs positiven – Reaktionen der Bergführerkolle-gen », blickt sie heute selbstkritisch zurück. « Denn als ich einstieg, hatten die Pionierinnen schon viel Überzeugungsarbeit geleistet. Zudem können meine Berufskollegen als Fachleute die Anforderungen und damit die erbrachten Leistungen objektiv und geschlechts-unabhängig einschätzen. » Bergführerinnen entsprechen vermehrt einem Kundenbedürfnis. « Oft wird von einer gemischten Gruppe von Jugendlichen für ein Kletterlager explizit eine Bergführerin angefragt. Auch Frauen verlangen ab und zu ausdrücklich eine Bergführerin. Vielleicht erwarten sie von ihr mehr Verständnis und Rücksicht. » Eigenschaften, die für Andrea Gasser aber « mehr vom Charakter denn vom Geschlecht abhängen ». Da momentan von den rund 1480 Bergführern nur 22 Frauen sind, liegt für Andrea Gasser aber auf der Hand, « dass wir Frauen einen gewissen Marktvorteil haben ».

Führen und Familie vereinbart

Andrea Gasser ist nicht nur Bergführerin, sondern auch Mutter des neunmonatigen Nic Culan. Zusammen mit ihrem Partner Ervin Jacomet, ebenfalls Bergführer, praktizieren sie Jobsharing. « Ich brauche die Bewegung und die Berge. Auch mit Nic Culan », sagt Andrea Gasser. « Obwohl mich meine Muttergefühle mehr an das Kind binden, als ich erwartet habe. » Und auch Ervin Jacomet ist froh, dass seine Partnerin weiter berufs-tätig bleibt, denn « als Bergführer die alleinige Verantwortung für die Existenz einer Familie zu tragen, ist gerade in diesem Beruf belastend ». Voraussetzung für den Erfolg dieses Modells sind Planung « und gute Kommunikation », meint Andrea Gasser. Vor allem in der Hochsaison, wenn sich die Engagements überschneiden. Dann werden gemeinsam in der guten Stube in Surrein, einem schmucken Bündner Oberländer Dorf am Eingang des Val Sumvitg, zuerst die Agenda und dann die Karten studiert. « Manchmal können wir den ‹Joker› ausspielen und Nic Culan zu seinen Grosseltern in die Ferien bringen », sagt Ervin Jacomet. « Aber es kommt auch vor, dass Andrea oder ich etwas absagen müssen. » Foto: David Coulin Foto: zvg Frauen vertrauen sich gerne Bergführerinnen an: Andrea Gasser beim Klettertraining im Maighels-Gebiet Sportklettern boomt: Im Klettergarten am Steingletscher lernen die Teilnehmer die Grundlagen.

Keine Scheu vor neuen Entwicklungen: Andrea Gasser klettert an der Staumauer des Lago di Luzzone eine mit künstlichen Griffen geschraubte Route.

Klettern und Yoga

Für diese Lebensform sind Andrea und Ervin gut gerüstet, denn für Andrea Gasser sind auch im Bergführerberuf die Kommunikation und das Zwischen-menschliche enorm wichtig: « Wenn es einen Unterschied zwischen früher und heute gibt, dann vielleicht diesen: Der Gast erwartet von seiner Führerin oder seinem Führer neben Sicherheit und professionellem Führerhandwerk eine hohe soziale Kompetenz. Das Unterwegssein in den Bergen bringt den Gast oft an seine physischen und psychischen Grenzen. Wer da als Bergführer nicht ein echtes Interesse am Menschen hat, kann seine Aufgabe nicht voll wahrnehmen. » Damit erklärt sich Andrea Gasser auch das wachsende Interesse an Angeboten, die den Menschen über das Bergerlebnis hinaus in seiner Ganzheit ansprechen. Seit einigen Jahren bietet sie deshalb zusammen mit einer Yogalehrerin erfolgreiche Wochenkurse « Klettern und Yoga » an. 1 « Auch andere Bergführer nehmen mit neuen Ideen wie etwa ‹Tour und Tanz› im Winter dieses Bedürfnis auf », sagt Andrea Gasser. Eine weitere Entwicklung geht in Richtung Risikoaktivi-täten wie Bungeejumping, Pendelsprün-ge, Steileisklettern oder Canyoning. Auch in diesen Bereichen sind Bergführer kompetente Begleiter. « Das Berufsfeld ist so breit geworden, dass man sich entscheiden muss », glaubt Andrea Gasser. Sie hat sich entschieden: für das klassische Bergsteigen, für Klettern und Yoga – und für die Familie. a David Coulin, Horw 1 Weitere Infos: www.klettern-yoga.ch Mit Sicherheit in die Zukunft 100 Jahre Schweizer Bergführerverband Dieses Jahr feiert der Schweizer Bergführerverband sein 100-jähriges Bestehen. In dieser Zeit hat sich, auch wegen der professionalisierten, BBT-aner-kannten 1 Ausbildung, das Berufsbild des Bergführers, der Bergführerin, stark gewandelt. Hinzugekommen sind ebenfalls neue Tätigkeitsfelder im Bereich der Risikoaktivitäten. Was jedoch fehlt, ist eine gesetzliche Regelung in Bezug auf die Bewilligungspflicht und den Versicherungsschutz für kommerzielle Anbieter von solchen Risikoaktivitäten. Deshalb befürwortet der Schweizer Bergführerverband das « Bundesgesetz über das Bergführerwesen und das An-bieten von Risikoaktivitäten », das demnächst in den eidgenössischen Räten behandelt wird. Weitere Informationen unter www.4000plus.ch 1 Für BBT-anerkannte Ausbildungen stellt der Bund Qualität und Vergleichbarkeit der Verfahren sicher ( BBT=Bundesamt für Berufsbildung und Technologie ).

Foto: David Coulin Foto: zvg Foto: Thomas Ulrich

Berge und Umwelt

Montagne e ambiente

Montagnes et environnement

Der Murgang vom 11. Juli 2006 aus dem Vadret da l' Alp Ota erfasste den Coazhüttenweg und riss eine Bergwandererin in den Tod – eine Schulklasse wurde nur knapp verfehlt. Auch Zustiege zu alpinen Kletterrouten vom Firnschnee oder Eis aus werden schwieriger und gefährlicher.

Warme Bergsommer fordern Bergsportler

Bröckelnde BergeSignale und Herausforderung

Nach Felsstürzen und Murgängen vom vergangenen Juli stellt sich die Frage, wie sicher das Hochgebirge noch ist. Wir zeigen die wichtigsten Veränderungen, bedingt durch die Klimaerwärmung sowie deren Folgen, auf und geben Tipps und Hinweise, wie Bergwanderer und Bergsportler sich darauf einstellen können.

Im Hitzesommer 2003 erregten verschiedene Felsstürze, unter anderem am Hörnligrat des Matterhorns, die öffentliche Aufmerksamkeit im In- und Ausland. Diese Ereignisse wurden dem « Jahrhundertsommer » 2003 zugeschrieben und sollten also singulär bleiben. Nun haben sich bereits drei Jahre später im heissen Juli 2006 weitere, teils spektakuläre Felsstürze und Murgänge ereignet, die Hüttenwege und Routen betrafen. 1 Besorgte Bergwanderer, Bergsteiger und Journalisten von überall erkundigten sich auch beim SAC, ob man überhaupt noch in die Berge steigen dürfe.

Folgen der globalen Erwärmung

Aussergewöhnlich intensive und häufige Naturereignisse sind bei einer generellen Erwärmung durchaus zu erwarten. Weiter ist bekannt, dass Gebirge auf eine Klimaerwärmung « heftiger » reagieren als andere Gebiete. Auch wenn die Hitzeperioden der Sommer 2003 und 2006 herausragende Ereignisse sind, ist mit einer Häufung heisser Sommer in den nächsten Jahren zu rechnen. 2 Die Klimaerwärmung hat in den Alpen Folgen, die den Bergsport und den Tourismus direkt betreffen. Vereiste Flanken apern aus, und der Permafrost 3 geht laufend zurück. Dies führt zu einer Destabilisierung von Schuttmassen und Felsflanken, die durch das Eis zusammengehalten wurden. Das starke Abschmelzen der Gletscher 4 erhöht die Gefahren bei der Begehung und fördert zudem die Entstehung von Gletscherrand- und Moränenseen, die potenziell ausbruch-gefährdet sind. Weiter führt die Erwärmung zu Veränderungen im Wettergeschehen mit insgesamt heisseren Sommern und feuchtwarmen Wintern sowie generell zu heftigeren Wetterereignissen wie etwa sommerlichen Wärmegewit-tern oder anhaltenden Starkniederschlägen. Dies löst vermehrt Murgänge und Schlammlawinen aus. 5 Wir müssen uns darauf einstellen, dass in Zukunft zahlreiche Flanken und Routen in den Alpen im Sommer öfter von solchen Naturereignissen betroffen sein werden.

Konsequenzen für Tourismus und SAC

Eine mögliche Folge ist, dass die Menschen davor zurückschrecken, in die Berge zu reisen bzw. sich auf alpine Wege und Touren zu begeben. Hier gilt es für den Tourismus und den SAC, mit sachlicher Information für eine Beruhigung zu sorgen und falscher Alarmstimmung vorzubeugen. Gleichzeitig dürfen die Augen vor den sich verändernden Verhältnissen nicht verschlossen werden. Eine Überprüfung der Bergwander- und Routennetze sowie Monitoring und Si-cherheitsdispositive besonders exponierter Abschnitte werden unumgänglich sein. Die Zusammenarbeit mit entsprechenden Fachleuten aus Geologie und Glaziologie ist zu verstärken. 1 Die Hüttenwege zu Coazhütte SAC und Glecksteinhütte SAC wurden durch Murgänge zerstört. Am Obergabelhorn brach einer Zweierpartie ein Standplatz unter den Füssen weg. Der Felssturz am Eiger war auch ein Medienereignis. 2 Über die längerfristigen Entwicklungen als Folge der Erwärmung bestehen bedingt durch die Komplexität des Klimasystems und vielfältige Rückkopplungsmechanismen grosse Unsicherheiten. Vgl. auch www.ipcc.ch und www.proclim.ch 3 Permafrost ist Boden oberhalb von ca. 2400 m, der abgesehen von einer dünnen sommerlichen Auftauschicht ganzjährig gefroren ist. Etwa 12% des Alpengebiets liegen im Permafrost, vgl. ALPEN 10/2005, Permafrost-Monitoring 4 Ausstellung « Gletscher im Treibhaus » im Schweizerischen Alpinen Museum in Bern, www.alpinesmuseum.ch, ALPEN 8/2006 5 Ein Murgang ist ein schnell fliessendes Gemisch aus Wasser und einem hohen Anteil an Fest-stoffen wie Steinen, Blöcken, Geröll oder Holz. Schlammlawinen sind Murgänge ohne grosse Komponenten. 6 Die Wege zu Oberaletsch- und Fornohütte sowie der Übergang Schöllijoch zwischen Turtmann- und Topalihütte mussten neu erstellt werden.

Fotos: Ar chiv Jür g Mey er Früher gleissende Eisflanke, heute bald nur noch Schutt und Das Gelände rund um die schmelzenden Gletscher ist besonders heikel und erfordert von den Bergsportlern erhöhte Aufmerksamkeit.

Bergtouren in Zeiten der Klimaerwärmung Verwenden Sie unsere Tourenplanungs-formulare unter www.sac-cas.ch/Down-loads/Ausbildung. Um die aussergewöhnlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, beachten Sie zusätzlich Folgendes:

Planung Aktuellen Wetterbericht einholen. Hohe Temperaturen und Gewittertendenzen mit deren Einfluss auf die geplante Tour berücksichtigen. Planung auf aktuelle Informationen abstützen: neueste Karten und Führer, Informationen aus dem Internetwww.basislager.ch, www.gipfelbuch.c.h – oder vor Ort einholen ( Hüttenwarte, Bergführer, andere Bergsportler ). Eis- und Kombitouren vermehrt im Spätfrühjahr/Frühsommer planen. Bei grosser und lang anhaltender Wärme – Nullgradgrenze längere Zeit auf über 3500 m – auf Touren in kombinierten Flanken und Wänden verzichten. Einstiege zu Kletterrouten ab Firn/Glet-scher können infolge Absenkung des Eisniveaus kaum mehr zugänglich sein. Früher einfache Firnflanken sind heute häufig heikle Blankeispassagen. Entsprechend aktuelle Informationen einholen und Ausrüstung sowie Zeitplanung danach ausrichten. Zeitreserven bei hochalpinen Touren vergrössern. Unterwegs Laufend überprüfen, ob die in der Planung getroffenen Annahmen auch den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen. Sind diese schlechter als angenommen, auf die vorher geplante Variante ausweichen oder die Tour abbrechen. Permanent ein waches Auge auf die Umgebung richten und Anzeichen von Veränderungen sowie Geräusche bewusst wahrnehmen. Sich generell auf eine höhere Gefahr von Stein- oder Eisschlag sowie Felsstürzen einstellen. Vorabendliches Rekognoszieren von Zustiegen lohnt sich noch mehr als früher. Grosse Vorsicht walten lassen im Gelände um Gletscher ( Schründe, abschüssige und schuttbedeckte Gletscherschliffplatten, instabile Moränen, unpassierbare Gletscherbäche ). Weit offene Bergschründe und Randklüfte können gewisse Passagen vor allem im Spätsommer erschweren oder gar verunmöglichen. Auf ganz oder teilweise verschneiten Gletschern konsequent anseilen und am gestreckten Seil gehen. Rastplätze nicht unterhalb von Gletschern oder potenziell instabilen Moränen und Steilflanken wählen. Bei Gewittergefahr nicht auf exponierte Wege und Routen gehen.

Bruno Hasler, Fachleiter Ausbildung SAC Der SAC und seine Sektionen werden sich neuen Herausforderungen – mit Kostenfolge – bei der Anpassung von Hüttenwegen und Übergängen stellen müssen. Vor allem Wege in der Nähe von oder über Gletscher können vermehrt heikel oder gar unbenutzbar werden. 6 Bei hoch gelegenen SAC-Hütten wird die Verfügbarkeit von Wasser – vor allem gegen Ende der Sommersaison – zunehmend problematisch.

Sorgfältige Planung wichtiger denn je

Für Bergsteiger und -wanderer stellt sich die Frage, ob sie weiterhin wie gewohnt ins Hochgebirge gehen können. Ja, Bergtouren sollen weiterhin unternommen werden! Aber die sich verändernden Bedingungen erfordern eine eigenverant-wortliche Anpassung bei der Planung und im Verhalten unterwegs, selbst bei markierten Routen und Wegen. Älteren Führerwerken und Karten ist grundsätzlich zu misstrauen. Aktuelle Informationen von Hüttenwarten, Bergführern, anderen Bergsportlern und aus dem Internet sind zwingend einzuholen.

Abschied vom gewohnten Alpenbild

Es gilt auch, Abschied zu nehmen von den Alpen als ästhetischer Hochgebirgslandschaft mit gleissenden Firnen und majestätischen Gletschern. Auch wenn dieses Bild bei uns noch fest verankert ist und die Tourismuswerbung ganz wesentlich davon zehrt – die Zukunft wird uns die Hochalpen als veränderte Landschaft mit viel mehr Schutt und Fels präsentieren. Wie weit dieser Wandel gehen wird, hängt stark davon ab, wie sehr der Mensch mit seinen Treibhausgasemissionen das Klima weiter beeinflusst. Deshalb sind neben den geschilderten Anpassungen in erster Linie Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgase gefordert – womit Sie als verantwortungsbewusstes SAC-Mitglied auch persönlich in der Pflicht sind, etwa mit Ihrem Mobilitätsverhalten oder mit Ihrem Stimmzettel an der Urne. a Jürg Meyer, Umweltbeauftragter SAC Fels: Die Nordflanke des Altels ob Kandersteg ( BE )

Von Hütten und Biwaks

Rifugi e bivacchi

Cabanes et bivouacs

Blick vom Schöllijoch in Richtung Dom und Täschhorn Pfarrer Jean-Pierre Brunner aus Saas Grund segnet den neuen Übergang über das Schöllijoch.

Stahlkabel, Stufen und Leim gegen Steinschlag

Sicher über das Schöllijoch

Das Schöllijoch verbindet die Turt-mann- mit der Topalihütte. Lange Zeit war der Übergang wegen Steinschlaggefahr kaum mehr begehbar. Nun ist eine neue, gesicherte Passage seit Ende Juni für Bergwanderer geöffnet.

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