Tödlicher Unfall wegen mangelhafter Routenausrüstung?
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Tödlicher Unfall wegen mangelhafter Routenausrüstung?

Schock und Traueram Brüggler Der nachstehende Beitrag wurde von einem SAC-Tourenleiter und Augenzeugen des Unfalls, der eine 14jährige JOIerin aus dem Leben riss, verfasst. Auf Grund seiner Beobachtungen und seines erschütternden Erlebnisses setzt er sich für eine Sanierung von klassischen mittelschweren Routen ein. Dabei kritisiert er insbesondere die gefährliche Absicherung mit fixen Reepschnur- und Bandschlingen an natürlichen oder gebohrten Sanduhren. Solche ebenso problematischen wie gefährlichen « Sicherungspunkte » finden sich z.B. am Brüggler, am Bergseeschijen und noch in weiteren Klettergebieten.

Samstag, 6. Juni 1997: Mein Kletterkollege Peter Münz steigt in der dritten Seillänge der Route « Weg des Wassers » am Brüggler vor. Der Stand vor mir ist mit unzähligen schwarzen und grauen Reepschnüren versehen -eigentlich eine Schweinerei: Jeder bindet eine neue Reepschnur in die Sanduhren, weil er es nicht mehr wagt, sich in die vorhandenen ausgebleichten Schlingen einzuhängen. Irgendwann liegen dann die alten Reepschnüre in und an der Wand. Immerhin sind in dieser Route die Standplätze noch am vertrauenswür-digsten. Der Rest der Absicherung ist mehr als dürftig, zwei alte Haken auf zwei Seillängen; abgesehen davon muss man sich verwitterten Reepschnüren in Sanduhren und Keilen anvertrauen. Manchmal sind die Sanduhren sogar so fein, dass man beim blossen Gedanken, sie müssten einen eventuellen Sturz halten, Angstschweiss kriegt. Hätte ich zuvor von der miserablen Absicherung dieser Route gewusst, ich wäre auf keinen Fall eingestiegen.

Der Brüggler im Schwändital gehört zu den beliebtesten Klettergebieten.

Erschütternder 120-Meter-Sturz Plötzlich ein durchdringender Schrei aus einer der Routen neben uns - ein Mann stürzt von weiter oben herab. Das Seil folgt dem fallenden Körper, weshalb ich jeden Moment erwarte, dass es sich spannt und den Sturz aufhält. Doch nichts dergleichen geschieht! Er überschlägt sich, fällt in eine Legföhren-gruppe und durch sie hindurch. Voller Entsetzen realisiere ich, dass das Seil ohne jede Wirkung bleibt! Der Sturz ist jetzt visuell nicht mehr nachvollziehbar - stürzt einer, stürzen mehrere Kletterer? Der oder die Körper überschlagen sich mehrmals, immer wieder. Ein letztes hässliches Krachen und dann absolute Stille. Alle wissen, was dies bedeutet: Einer, vielleicht mehrere Menschen sind in diesem Moment aus dem Leben gerissen worden.

In mir beginnt eine Art Roboter zu funktionieren: « Peter, fixiere Dich am Haken », rufe ich hinauf und sichere ihn zusätzlich am Stand. Bereits habe ich zu meinem mobilen Telefon gegriffen, das ich meistens mitführe, seit sich mein illegales Notrettungs-Funkgerät infolge der Umstellung der REGA auf das neue System nicht mehr einsetzen lässt. Verzweifelt versuche ich, eine Verbindung herzustellen. Endlich höre ich den Rufton, kann das Gespräch beginnen, Informationen geben. « Sie müssen mit Toten rechnen. Er/sie sind aus dem oberen Teil der Wand, die gegen 200 Meter hoch ist, hinausgestürzt. Die Unfallstelle befindet sich in der Mitte der Wand. » Es tut gut, etwas zu tun -auch wenn die angeforderte « Rettung » vielleicht keine Rettung mehr bringen kann.

Seine plattige Südwand wird von zahlreichen Kletterrouten durchzogen.

Stille um uns. Für uns gibt es nur einen Weg: hinunter. Schweigend, vorsichtig beginnen wir unsere Abseilmanöver. Mehrmals überprüfen wir jeweils die Sicherungen, Knoten, Geräte, bevor wir uns hinunterlassen. Eine Ewigkeit scheint vergangen zu sein, bis der REGA-Helikopter auftaucht. Der Pilot manövriert die Maschine ganz nahe an die Wand. Automatisch zeigen Peter und ich mit gestreckten Armen nach unten, um den Ort des Grauens anzuzeigen. Nach einer Weile dreht der Pilot von der Wand weg und setzt den Arzt ganz nahe beim Rucksackdepot ab. Endlich sind auch wir unten. Nun bricht alles über mich herein: Ich muss mich setzen und heule vor mich hin.

Trauer und Wut Der Film des Tages läuft nochmals ab: Eigentlich wollte Peter ans Rüttelhorn, aber ich zog den Brüggler vor, dessen leichtere Routen ich von früher gut kannte. Seit gut zwei Jahren widme ich mich dem Sportklettern und konnte mich damit klettertechnisch enorm steigern. Mit den neuen Fähigkeiten stehen mir auch die schwierigen Routen der linken Brüggler-Südwand offen, und ich freute mich auf sie.

Dieser Samstag ist der zweite Hit-zetag des Jahres, und eigentlich ist es zu warm, um zu klettern. Beim Rucksackdepot am Wandfuss sind bereits einige Leute vor uns angelangt - ich spreche mit einer Frau von der liechtensteinischen Bergwacht, begrüsse Jan, einen alten Bekannten, und schaue einer Gruppe junger Leute, Sicherheit, Medizin, Rettungswesen JOIern aus dem Kanton Uri, zu. Ich freue mich an den jungen Gesichtern, | dem Glanz in ihren Augen und den ^ erwartungsvollen Gesten.. " " .Nach dem Unfall drängt sich mir 5 sofort die bange Frage auf: Wer ist „ abgestürztIst es Jan oder einer der ö jungen Urner? Der Tod berührt unsviel unmittelbarer, wenn zum Verun-14 glückten eine persönliche Beziehung besteht - auch wenn es sich nur um eine flüchtige Bekanntschaft handelt. Beim Rucksackdepot sind alle ruhig. An der Unfallstelle befinden sich nur jene, die dort etwas zu tun haben. Sensationsgier gibt es nicht. Man spricht höchstens leise miteinander, und alle sind bemüht, niemanden mit unnötigen Fragen zu belästigen. Allmählich stellt sich heraus, dass es die jungen Urner getroffen hat. Eine Seilschaft ist hinuntergestürzt, das Mädchen, 14 Jahre alt, am Beginn der JO-Laufbahn, ist tot, der 18jährige Junge dagegen lebt, wie durch ein Wunder, dank seines Glücks, immer an der richtigen Stelle in den Legföhren zu landen, fast unverletzt.

« Sanierungsfall » Brüggler Immer wieder versteckt jemand seinen Kopf in den Händen, weil er es nicht mehr aushält. In die tiefe Traurigkeit mischt sich Wut, Wut auf die Brügglerwand, die nach heutigen Begriffen zu einem « Sanierungsfall » geworden ist - aber niemand macht sich daran, diesen Zustand zu ändern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass menschliches Versagen zum Unglück geführt hat. Vielmehr muss die Sicherung in der Wand versagt haben. Ausriss des Stands nach Sturz, Verhauer mit Stand an unsicherem Platz und Sturz, fataler Fehler beim Abseilen oder doch menschliches Versagen? Wahrscheinlich wird niemand herausfinden, was genau geschehen ist. Ich werde aber das Gefühl nicht los, dass die schlechte Routenabsicherung eine Rolle gespielt hat. Und selbst, wenn diesmal ein anderer Umstand ausschlaggebend gewesen sein sollte, ändert dies nichts an der Sachlage. Bei jedem nächsten Sturz können diese « Sicherungen » versagen Der zentrale Teil der Brügg-ler-Südwand. Die Route « Weg des Wassers » verläuft etwas links der Wandmitte und überwindet die kleine Dachbarriere im Wo Routen sich kreuzen, wird es an den gemeinsamen Standplätzen oft eng; gemeinsamer Standplatz von « Flugroute » und « Sonntagsweg » ( diese Routen befinden sich links vom « Weg des Wassers » ).

oder sogar auslösendes Moment sein, und dies gilt nicht nur für den Brüggler. Die Routen für Sportkletterer, die im 6. und höheren Schwierigkeitsgraden klettern, sind fast vollständig abgesichert, nur für die Anfänger und Gelegenheitskletterer im 3. bis 5. Grad wird heute noch ( viel zu ) wenig getan.

Einsatz für eine durchgehend gute Absicherung mit fixen Sicherungsmitteln Ich werde mich in Zukunft noch stärker für sauber abgesicherte Routen einsetzen. Die heutige Technik erlaubt es, mit vertretbarem finanziellem Aufwand Kletterrouten so einzurichten, dass man die Absicherung für die nächsten zwanzig und mehr Jahre als sehr sicher betrachten kann. Die Frage ist nur: Wer führt die Arbeiten aus, und wer bezahlt sie? Meiner Meinung nach sollten sich alle daran beteiligen, die in irgendeiner Form implizit oder explizit mit dem Klettersport zu tun haben: der SAC, die Bergführer, die Hüttenwarte, die Bergbahn-, Parkplatz- und Zeltplatz- halbmondförmigen Ausbruch an ihrem linken Rand. Der Unfall ereignete sich im Wandteil rechts davon.

betreiber sowie die Kletterer selbst.1 In alpinen Zeitschriften - vor allem deutscher Provenienz - wird zum Thema Routensanierungen schon recht lange und von den Gegnern teils auch ziemlich « fundamentali-stisch » diskutiert. Es gibt hier Kritiker, die die Sanierungen heftig attackieren, weil sie ihre exklusive Welt der gefährlichen Moves für sich erhalten wollen und dabei bewusst auch solche Unfälle mit Toten in Kauf zu nehmen scheinen, zumindest aber die Gefahren einer bewusst « abenteuerlich » gehaltenen Absicherung herabspielen.

Der SAC als grösste alpine Organisation der Schweiz trägt eine besondere Verantwortung und könnte den Vorsitz innerhalb einer Organisation übernehmen, die alle populären Rou- ten katalogisiert und saniert. Hardco-re-Routen ohne Sicherungen könnten dabei zweifelsohne weiterbestehen, aber in den Kletterführern müsste dieser Umstand klar bezeichnet werden.2 Besondere Kennzeichnung sicherer Routen Wir sollten den Problemkreis der Routensanierungen aktiver angehen, etwa mit einer laufend nachgeführten Positiv-Liste mit empfehlbaren Kletterrouten, die im Internet und auf Papier publiziert wird, mit der Suche nach Sponsoren oder Geldsamm- 1 Von dieser Seite wird heute schon viel getan. So koordiniert z.B. die SAC-Sportkletterkom-mission auf gesamtschweizerischer Ebene eingereichte Projekte für Routen- und Gebietssa-nierungen und stellt - soweit es in ihren Möglichkeiten steht - auch das notwendige Material zur Verfügung ( verantwortlich: Robert Rehnelt, SAC-Sportkletterkommission c/o SAC-Geschäftsstelle in Bern ). Ebenfalls werden von Zeit zu Zeit Kurse durchgeführt, in denen die Teilnehmer über die wichtigsten Gesichtspunkte, die es bei einer Sanierung zu berücksichtigen gilt, instruiert werden. ( Die Red. ) 2 In den künftig erscheinenden SAC-Kletterfüh-rern werden die Informationen über die Routen mit einer Absicherungsskala ergänzt, in der die wichtigsten Informationen über den Ausrüstungsstand enthalten sind ( dies gilt insbesondere für die Ausrüstung mit fixen Sicherungspunkten bzw. Bohrhaken ). ( Die Red. ) Beim Rucksack-Depot am Fuss der Brüggler-Süd-wand. Hier trifft man sich, bevor man in die verschiedenen Routen einsteigt.

lungen für Routensanierungen und -markierungen sowie mit weiteren Massnahmen.

Jürg von Känel hat mit seiner Definition der Plaisir-Routen einen sehr guten Anfang gemacht, aber er kann natürlich nicht alles allein tun. Gewiss geht es letztlich nicht darum, alles Kletterbare hundertprozentig sicher zu machen ( was ohnehin nicht möglich ist ), sondern zunächst einmal darum, zu definieren, was als sicher betrachtet werden kann. Peter Berger, Tourenleiter SAC-Sektion Am Albis, Zürich Die Brüggler-Süd-wand mit ihrem Routennetz. Gemäss Mitteilung hat sich der Unfall im Bereich des dritten Standplatzes der Route 17 ( « Namenlose Route », rot eingerahmter Sektor ) ereignet. Route 13 ist der « Weg des Wassers », von dem aus der Autor des vorliegenden Beitrags den Unfall beobachtet hat.

Sicherheit, Medizin, Rettungswesen a 5

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