Verantwortung von Bergführern für tödlichen Spaltensturz
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Verantwortung von Bergführern für tödlichen Spaltensturz

Zu einem Strafurteil des Bundesgerichts Das Bundesgericht hat kürzlich die Strafurteile der kantonalen Gerichte gegen zwei Bündner Bergführer bestätigt, die wegen ihrer Verantwortung für einen Unfall auf dem Roseg-Gletscher der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen wurden. Tödlicher Sturz und Prozessfall werfen Fragen auf.

Die Fakten Unfallhergang Am Morgen des 12. April 1992 herrschten im Oberengadin beste Witterungsbedingungen, als die 13 köpfige Gruppe erfahrener Berggänger mit den Ski von der Coaz-Hütte aufbrach. Im Rahmen der Tourenwoche einer SAC-Sektion hatte sie sich die Ersteigung des Piz Glüschaint über den Südwestgrat zum Ziel gesetzt. Die beiden Bergführer, von der Sektion als Tourenleiter engagiert, gingen der Gruppe voran. Alle Teilnehmer trugen ihre Anseilgurten, blieben jedoch unangeseilt, als sie in Einerkolonne und mit Abständen von zehn bis fünfzehn Metern den Aufstieg über den Vadret da Roseg in Angriff nahmen. Als die Route auf einer Höhe von etwa 3000 Metern vom Normalweg nach rechts abbog, endete die bestehende Spur; auf dem gut eingeschneiten Gletscher lag eine fünfzehn Zentimeter dicke, nicht verfestigte und unberührte Schicht Neuschnee, so dass eine frische Spur gelegt werden musste. Am Ende eines stark zerklüfteten Abschnitts auf 3200 Metern Höhe, wo der Gletscher etwas verflacht, nahte das Verhängnis: Unter einem Bergsteiger im hinteren Teil der Kolonne brach abrupt eine Schneebrücke ein. Er stürzte dreissig Meter tief in eine Spalte und konnte nur noch tot geborgen werden.

Gerichtliche Beurteilung Das Kreisgericht Oberengadin sprach die beiden Bergführer der fahrlässigen Tötung schuldig ( Art. 117 des Strafgesetzbuches ) und verurteilte sie zu je einem Monat Gefängnis bedingt. Das Kantonsgericht Graubünden bestätigte den Schuldspruch der ersten Instanz; den Verantwortlichen gereichte ausschliesslich zum Vorwurf, dass sie die Gruppe unter ihrer Leitung unangeseilt über den Gletscher aufsteigen Messen. Dagegen erhoben die Bergführer Nichtigkeitsbeschwerde vor Bundesgericht, die jedoch mit Urteil des Kassationshofs in Strafsachen vom 7.Juni 1996 abgewiesen wurde.

Unsicherer Boden In jüngster Zeit sind mehrere Straf-prozesse gegen Bergführer bekannt geworden, die mit einem Schuldspruch endeten; und dies vor dem höchsten Gericht. Sie alle, auch dieser letzte, haben unter den Alpinisten Aufsehen erregt, speziell unter jenen, die auf Touren - ob beruflich oder privat - Führungsverantwortung tragen. Denn hier waren die Besten ihres Fachs gescheitert. Der Interessierte fragte sich betroffen, ob er selber die Gefahr rechtzeitig erkannt und entsprechend gehandelt hätte. Bei der Rekapitulation tödlicher Unfälle geht es ja nicht darum, nach dem Verdikt von drei staatlichen Instanzen über die Verantwortlichen ein weiteres Mal zu Gericht zu sitzen. Jedoch begegnet man der Notwendigkeit, die Ursachen des fatalen Geschehens zu erkennen und daraus die Lehren Der Unfallort zur Sommerzeit: Blick auf den Vadret da Roseg und den Piz Glüschaint ( 3594 m ) zu ziehen. Dabei bietet sich vieles, was in der Theorie klar und eindeutig scheint, in der Praxis weit unübersichtlicher dar.

Dies gilt besonders für ein so kon-troverses Thema wie das Verhalten auf Gletschern. Ihre brüchige Oberfläche, ob offen oder verdeckt, bildet ein Terrain, das sich meist schillernd in der seelischen Landschaft des Bergsteigers widerspiegelt, Gefühle von unterschwelliger Angst bis zu elementarer Abenteuerlust wachrufend. Der Unerfahrene glaubt, alle Gletscher seien gefährlich; sie verkörpern für ihn die Urangst, dass sich plötzlich unter einem « der Boden öffnet ». Der Geübte fürchtet dieses Risiko nur auf bestimmtem Gelände und unter besonderen Verhältnissen, und sein subjektives Sicherheitsempfinden sowie die Statistik scheinen ihm Recht zu geben: Im langjährigen Mittel sind auf dem Gebiet der Schweizer Alpen jährlich bloss acht tödliche Spaltenstürze zu beklagen. Die Dunkelziffer der harmloser verlaufenen Kontakte mit dem Gletscherinnern entzieht sich allerdings genauer Erfassung. Sie dürfte weit höher sein.

Verhaltenskodex Einen Gletscher niemals ohne Seil betreten? Früher war dies « Gesetz ». Einigkeit herrscht bis heute jedenfalls darüber, dass verborgene Spalten - wo sie denn auftreten - ein schwer einschätzbares Risiko darstellen. Ihre « Heimtücke » erfordert gezielte Vorsichtsmassnahmen. Worin bestehen Überall auf der Welt gilt zunächst der Grundsatz: Auf schneebedeckten Gletschern wird immer angeseilt.

Im Abstieg vom Island-Peak ( Khumbugebiet, Himalaya ) sie? Der Boden der Sachlichkeit gebietet zu unterscheiden; zunächst zwischen aperen und schneebedeckten Gletschern. Ist ihre Oberfläche aper, lässt dies die Spalten ja sichtbar werden, so dass der Bergsteiger ihnen in der Regel ohne Schwierigkeiten frühzeitig auszuweichen vermag. Der Trittsichere kann dann auf den Gebrauch des Seils verzichten, wenn keine Gefahr besteht auszurutschen ( sofern das Gelände flach und das Eis körnig genug ist ) und wenn die Schneebrücken über den Spalten das Gewicht eines Menschen verkraften, was selbstverständlich stets zu testen ist. Das Risiko eines Spaltensturzes steigt jedoch mit zunehmender Geländeneigung und Zerschrundung des Gletschers. Will man offene und allenfalls steile Gletscherbrüche nicht ohnehin gänzlich meiden, ist allenfalls Sonderausrüstung angezeigt ( je nach Verhältnissen: Seil, Steigeisen, Eispickel, Eisschrauben u.a. ).

Als weit gefährlicher ist der schnee- oder firnbedeckte Gletscher einzustufen und für Unfälle praktisch allein verantwortlich. Die Schwierigkeit besteht hier bekanntlich darin, die Spaltengefahr als solche überhaupt erst zu erkennen. Zwar lassen sich etwa aus den Geländeformen ( Mulden sind spaltenarm ) und der Beschaffenheit des Schnees ( Durch-hängen, Bruchlinien, Farbunterschiede ) wichtige Schlüsse ziehen. Sie sind jedoch allein nie « tragfähig » genug. Durch geschickte Routenwahl lässt sich das Risiko eines Spaltensturzes zwar vermindern; die Gefahr eines plötzlichen Einbruchs bleibt jedoch letztlich unkalkulierbar. Deshalb gilt in der alpinen Lehre der Grundsatz: Auf allen verschneiten Gletschern wird immer angeseilt. Von dieser Regel darf ausnahmsweise und nach kritischer Prüfung abgewichen werden, wo die Schneedecke über dem Eis durchgehend belastbar erscheint, etwa wenn sie sich in den Morgenstunden noch hartgefroren zeigt. Viele Alpinisten verzichten dann zumindest im flachen Gelände auf das Seil, greifen aber darauf zurück, wenn der Firn in den späteren Stunden des Tages aufzuweichen beginnt oder gar « bodenlos » wird. Dass sie diesen Entscheid - etwa aus Bequemlichkeit - häufig zu lange hinauszögern, ist schon manchen zum Verhängnis geworden. Neuschnee erlaubt dagegen kein seilfreies Gehen, weil er noch nicht verfestigt ist und zudem alle Gefahrenanzei-chen gleichmässig verdeckt.

Gefährlicher Neuschnee Gerade dieser Umstand spielte im vorliegenden Fall eine fatale Rolle. Die Führer konnten zwar im schneereichen Winter 1991/92 des Berninagebietes davon ausgehen, dass der Gletscher im April noch mit einer ziemlich dicken, kompakten Schneeschicht versehen war, weshalb die Schneebrücken sich allgemein in solidem Zustand befanden. Nach Ansicht c v a Auf Gletschern mit aperer Oberfläche kann der Trittsichere auf das Seil verzichten, wenn keine Gefahr besteht auszurutschen. Das Platthorn ( 3345 ) im Wallis, von NW gesehen der Gerichte erschwerte jedoch die unverfestigte Neuschneedecke von fünfzehn Zentimetern Dicke die Beurteilung der Spaltengefahr markant; sie sei geeignet gewesen, Vertiefungen und Löcher zu verdecken, so dass es schwieriger geworden sei, den Verlauf von Spalten zu erkennen und sichtbare Brücken auf ihre Verlässlichkeit hin zu testen. Dieser Erhöhung der Gefahr hätte um so mehr mit Anseilen begegnet werden müssen, als den beiden Bergführern bewusst war, dass sie sich auf einem sehr zerklüfteten Gletscher befanden.

Sorgfaltspflicht des Führers Es ist schon so: Zur Wintersaison sind die Gletscher meistens sicher begehbar, sobald sich die Schneeauflage verfestigt hat. Ebenso zweifelsfrei gilt wohl jedoch: Neuschnee verunmöglicht eine genügend klare Abschätzung des Risikos - so dass angesichts der gravierenden Folgen eines ungesicherten Spaltensturzes die Seilbenützung unter diesen Verhältnissen unverzichtbar bleibt, auf zerklüfteten Gletschern ohnehin. Dem steht offenbar das Empfinden vieler Skibergsteiger gegenüber, hoch überschneite Gletscher seien kaum gefährlich. Dass den meisten nie etwas zustösst, bestärkt sie in diesem Gefühl.

Den Leitern ist das Leben anderer anvertraut; sie trifft eine grössere Verantwortung. An vorderster Front Sicherheit, Medizin, Rettungswesen

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