Wenn das Blut stockt, stockt auch der Atem
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Wenn das Blut stockt, stockt auch der Atem Aargauer Forscher decken neue Gefahren beim Höhenbergsteigen auf

Die Basis eines Gipfelerfolges in grosser Höhe liegt auch im Blut. Das hat die Auswertung von Forschungsdaten ergeben, die im Jahr 2005 von einer Aargauer Forschungsexpedition am 7564 Meter hohen Muztagh Ata ( Westchina ) gesammelt wurden. Die Ergebnisse bestätigen, dass der Gerinnungsfaktor entscheidend ist.

An hohen Bergen und auf langen Touren in grossen Höhen gilt es zu beissen, Schmerzen auszuhalten und Durchhaltewillen zu beweisen. Doch manchmal nützt auch die grösste Leidensbereitschaft nichts. Der Körper will nicht mehr – er siegt über den Kopf. Er erzwingt eine Umkehr, einen Abstieg und das Ende des Gipfeltraumes. Forscher haben nun einen Beweis dafür, dass nicht nur mangelnde Kondition, schwierige klimatische Bedingungen oder die wegen des massiv geringeren Sauerstoffgehalts stark reduzierte Leistungsfähigkeit des Körpers für das Ende von Bergtouren verantwortlich sein können. Mitentscheidend ist auch die Gerinnungsneigung des eigenen Blutes. Das hat die Auswertung von medizinischen Daten der Aargauer Forschungsexpedition auf den 7564 Meter hohen Muztagh Ata ergeben. Vier Jahre nach der bis dahin grössten Forschungsexpedition nach Westchina präsentieren der Ärztliche Direktor des Kantonsspitals Aarau (KSA), Prof. Andreas Huber, und die Höhen-medizinerin Dr. Jacqueline Pichler (Spital Langenthal) die überraschenden Resultate. «Nun ist klar, dass der Gerinnungsfaktor im Blut am Berg eine viel grössere Rolle spielt als bisher angenommen», erklärt Jacqueline Pichler.

Andreas Huber fasst es vereinfacht so zusammen: «Dickes Blut reduziert die Leistungsfähigkeit des Körpers und birgt die Gefahr von gefährlichen Thrombosen, wie wir sie von Langstreckenflügen kennen.» Die Krux: Aufstiege in grosse Höhen lösen genau diesen Effekt aus: Sauerstoffmangel, ein geringeres Flüssigkeitsangebot und Akklimatisationsphasen mit wenig Bewegung lassen das Blut dicker werden. Wer aufgrund seiner vererbten Konstitution bereits zu einer schnellen Blutgerinnung neigt, läuft in grosser Höhe Gefahr, übermässig an «dickem Blut» und Leistungsabfall zu leiden und unter Umständen sogar an einem Blutgerinnsel oder einer Thrombose zu erkranken. Fazit: Wer an der weitverbreiteten und erblich bedingten Gerinnungsstörung mit erhöhter Gerinnungsneigung leidet (5–10% der Bevölkerung), der hat in grossen Höhen nicht nur kleinere Erfolgschancen, sondern auch ein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Bisher war die Wechselwirkung zwischen erblich bedingten persönlichen Gerinnungsfaktoren und der Leistung am Berg nicht bekannt und konnte deshalb im Bergsport auch nicht berücksichtigt werden. Die Resultate der Forschungsexpedition auf den Muztagh Ata aber sprechen für Jacqueline Pichler eine deutliche Sprache: «Sämtliche Probanden, die vor vier Jahren auf dem Gipfel des 7000ers gestanden haben, wiesen im Blut einen niedrigen Gerinnungsfaktor auf. Keiner mit hohem Wert hat es geschafft.»

Aber was heisst das nun für Bergsportbegeisterte, die sich von Hochgebirgstouren und Expeditionen faszinieren lassen? Jacqueline Pichler sagt: «Wer in grossen Höhen Bergsport betreibt, tut gut daran, vorgängig seine individuellen Risikofaktoren bezüglich einer erhöhten Gerinnungsneigung ärztlich abklären zu lassen.» Im Wissen darum könne man nicht nur seinen Körper und die Symptome am Berg besser lesen, sondern auch sein Verhalten anpassen. Wer zu übermässiger Blutgerinnung neigt, kann sich am Berg mit vermehrter Flüssigkeitsaufnahme und – nach vorgängiger Abklärung beim Arzt – in grosser Höhe vorübergehend auch mit einem Blutverdünnungsmittel helfen. Mitverantwortlich für eine erhöhte Gerinnungsneigung sind neben persönlicher und vererbter Konstitution unter anderem auch das Rauchen und die Einnahme von Antibabypillen. Die Forscher weisen darauf hin, dass viele sich dessen nicht bewusst sind. Die Aargauer Forscher indes hoffen, mit ihren Forschungen lebensbedrohliche Erkrankungen am Berg verhindern zu helfen.

Brunello/Walliser/Hefti, Berg- und Outdoor-Medizin, SAC Verlag 2010, erscheint im Juli 2010

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