«Bergdohlen als Haustiere und Forscher als Gäste»
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«Bergdohlen als Haustiere und Forscher als Gäste» Betriebswarte auf dem Jungfraujoch

Das Jungfraujoch ist ein Touristenmagnet. Aber nicht nur. In der hochalpinen Forschungsstation geben sich Wissenschaftler die Klinke in die Hand. Damit der Betrieb in der Station reibungslos läuft, leben zwei Ehepaare auf dem Joch. Eines davon sind Felix und Susanne Seiler. Die beiden kümmern sich um die wechselnde Forschergemeinde, aber nicht nur.

Die Fahrt mit der Jungfraubahn hat es in sich. Fast eine Stunde dauert es, bis der komfortabel ausgestattete Zug von der Kleinen Scheidegg aufs Joch geruckelt ist, nicht ohne die obligaten 5-Minuten-Fotostopps an den Stationen Eigerwand und Eismeer einzulegen. Auf 3500 Metern über Meer angekommen, empfängt die Besucher Hightech. Hohe Glasfronten schützen die Restaurants, Souvenir-Shops und Aussichtsplattformen vor der rauen Umwelt draussen, wo die Nährzone des Jungfraufirns liegt. Immer wieder fegt der Westwind Schneekristalle vorbei, hier drinnen ist davon nichts zu hören. Nur ein paar Schritte sind es von der Halle bis zu einer gelben Tür, die einen dunklen Tunnel verbirgt. «Hochalpine Forschungsstation Jungfraujoch» steht da, und «Zutritt verboten». Dahinter verbirgt sich eine andere Welt. Dunkles Holz prägt eine Einrichtung, wie sie in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg modern war. Ein massiver Steinbau, dicke Mauern und doppelte Fenster, die lediglich zu einem Viertel zu öffnen sind, schützen Menschen und Apparate. Damit der Betrieb läuft, sind Felix und Susanne Seiler zugegen, das eine der beiden Betriebswartsehepaare. Sie leben an zwei Orten: Im Durchschnitt folgen auf zwei Wochen Arbeit in der Station drei Wochen dienstfreie Zeit an ihrem Wohnort in der Nähe von Bern.

Die Seilers sind per Zufall zum Job auf dem Jungfraujoch gekommen, sie hätten sich auch etwas anderes vorstellen können. Susanne Seiler arbeitete im Medizinalbereich, wo sie weltweit Schulungen durchführte. Felix Seiler ist Elektroingenieur: «Nachdem ich mich in vier neue Betriebssysteme engearbeitet hatte, sagte ich mir, ein fünftes Mal mache ich das nicht mehr.» – «Wir wollten mehr gemeinsam unternehmen», ergänzt die quirlige Susanne Seiler. Während der Jobsuche seien sie auf ein Angebot der Internationalen Stiftung Hochalpine Forschungsstationen Jungfraujoch und Gornergrat gestossen. Nun leben die beiden also im Wechsel mit dem hauptamtlichen Betriebsleiterehepaar regelmässig in Missionen von etwa zwei Wochen im Krähennest über dem Konkordiaplatz. Sieben Stockwerke hoch ist der Bau aus dem Jahr 1931. Vom Keller, wo eine Schreinerei untergebracht ist, bis hinauf zur Plattform über der Bilbliothek, wo Seilers jeweils den Neuschneezuwachs auf dem Gletscher messen, ist erstaunlich viel Platz.

Am Tag unseres Besuchs sind keine Forscher anwesend, aber immer wieder klingelt das Telefon. Einmal kündigt sich ein Wissenschaftler an. Das andere Mal will ein Bahnmitarbeiter etwas wissen. Und dann ist da auch noch die Routine, die es einzuhalten gilt. «Ich stehe um halb sechs auf», sagt Felix Seiler, «um halb sieben steht die erste Wetterbeobachtung in der Sphinx an, die gut 100 Meter oberhalb der Station steht. Hat es geschneit – und Schnee gibt es hier reichlich–, gilt es zuerst, das Dach und die Plattform für die Experimente auf der Sphinx freizuschaufeln.» – «Letzten Sommer hatten wir allerdings kaum Schnee, in der Nacht sind die Temperaturen selten unter den Nullpunkt gesunken. Das Joch war praktisch aper», so Susanne Seiler, «es war ein trauriger Anblick.» Im «Wätterstibli», einen Stock tiefer – es erinnert stark an die Brücke eines Ozeandampfers –, beobachten Seilers das aktuelle Wetter. Jetzt um halb eins liegt die Sphinx knapp unterhalb der Wolken. Weisse Fetzen ziehen vorbei. Eben war der Thunersee noch zu sehen, schon ist er wieder verschwunden. Auch das Niederhorn und das Eggishorn im Süden waren zu erkennen. Bei optimaler Sicht sehen Seilers die 160 Kilometer entfernten Vogesen. Während des viertelstündigen Beobachtungszeitraums sinkt die Sicht aber gegen null. «Melden wir Nebel», entscheidet Susanne Seiler. Auch den Luftdruck und die Temperatur erfassen die beiden. Jetzt sind es minus sieben Grad bei 653 Hektopascal Druck. Das entspricht ungefähr zwei Dritteln des Drucks auf Meereshöhe. Kein Wunder, brummt da manchen der Schädel. «Es dauert ein bis zwei Tage, bis wir uns jeweils akklimatisiert haben», erzählt Susanne Seiler. Sie empfehle den Forschenden, es ruhig angehen zu lassen. Doch nicht alle würden sich daran halten. Zum einen, weil diese manchmal ein sehr gedrängtes Programm hätten, zum anderen, weil sie dem guten Rat keinen Glauben schenkten. Die Sphinx ist nicht nur Wetterstation. Hier laufen verschiedenste Experimente; die Liste der beteiligten Institute ist lang und liest sich wie ein «Who's who» der Atmosphärenforschung. Im Rahmen des Nationalen Beobachtungsnetzes für Luftfremdstoffe (NABEL) wird etwa erhoben, welche Schadstoffe sich hier oben noch finden. Ergebnis bislang: praktisch keine; lediglich die sogenannte «Hintergrundbelastung» verschmutzt die Luft. Anschaulich zeigen dies vier runde Filter auf einem Tisch. Nach 24 Stunden ist der Filter in Bern brandschwarz, während der vom Joch jungfräulich weiss bleibt. «Das merke ich auch beim Putzen», erzählt Susanne Seiler, «der Staub ist anders als nahe der Stadt.»

Eng gedrängt sind in der Station Experimentiereinrichtungen eingebaut. Spuren von fluor- und chlorhaltigen Gasen, welche die Ozonschicht zerstören, und Konzentrationen von Treibhausgasen wie Kohlenstoffdioxid und Methan werden laufend gemessen. Auch für kosmische Strahlung steht eine Messanlage bereit. Das 76-Zentimeter-Teleskop, das bis 1998 eifrig von Astronomen benutzt wurde, wird heute unter anderem als Teil eines LIDAR – eines lasergestützten Radarsystems – ebenfalls von Umweltwissenschaftlern für Untersuchungen der Erdatmosphäre eingesetzt. Die Seilers wechseln Filter, lesen Daten ab oder müssen schnell reagieren, wenn ein Alarm losgeht, weil eines der Geräte defekt ist. Aber auch Profanes gehört zum Job des Betriebswartspaars. Seilers sind Hoteliers, Reinigungspersonal, Betriebshandwerker und Materialwarte in einem, nur für die Forscher kochen müssen sie nicht. In einer grossen Kaverne am Fuss der Forschungsstation etwa stehen Motorsägen, mit denen gegen die Vergletscherung der Station gekämpft wird. In der Nährzone der Gletscher wird Neuschnee mit der Zeit zu Eis. « Bergführer sägen jeweils das frische Eis vom Dach der Station », erklärt Felix Seiler. Dennoch ist die Klimaerwärmung an jeder Ecke zu sehen. Seit jeher. Schon die Erbauer des massiven Bauwerks dachten an den Permafrost. Zwischen Fels und Stationsmauern etwa ist ein rund einen Meter breiter Zwischenraum. «Er soll verhindern, dass das Gebäude den Fels erwärmt», so Felix Seiler, «wir nutzen den Zwischenraum als Kühlschrank, es wird nie wärmer als zwei bis vier Grad.» Von der Sorge um die Stabilität des gefrorenen Felsens zeugen aber auch zahlreiche alte und neue Felsanker, und in den Gängen hängen Bleche an den Decken. «Hier hat es im Sommer 2009 laufend getropft», sagt Seiler. Zurück in der Wohnung der Forschungsstation bleibt den Seilers Zeit für ein Zvieri. Sie teilen sich die 2-Zimmer-Wohnung mit dem hauptamtlichen Betriebsleiterehepaar. Je nachdem sitzen die beiden auch mal für einen Schwatz mit dem einen oder anderen Wissenschaftler zusammen. «Aber es kann vorkommen, dass 20 Personen in der Station sind. Dann wird es eng, und wir sind froh, können wir uns zurückziehen », sagt Felix Seiler, «auch wir wollen schliesslich einmal Feierabend.» Zudem verfügen die beiden über ein eigenes, separates Zimmer. «Dort können wir auch unsere Kleider lassen», erzählt Susanne Seiler. Die Rollkoffer und Rucksäcke, die sie jeweils nach oben mitnehmen, sind mit Lebensmitteln gefüllt. Der nächste Laden ist in Wengen, die Fahrt dorthin dauert eineinhalb Stunden. Ständig werden sie beobachtet «von unseren Haustieren», wie Susanne Seiler die zutraulichen Bergdohlen nennt. «Die Vögel sehen, wenn wir in der Küche sitzen.» Ob es nicht zu viel werde, wenn man tagein, tagaus so nahe aufeinander lebt, fragen wir die Seilers noch. «Nein, es kann vorkommen, dass ich Susanne anrufe, wenn ich sie zwei Stunden lang nicht gesehen habe», sagt Felix Seiler.

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