Bergnotfälle Schweiz 2006. Allgemeine Zunahme und mehr Bergtote
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Bergnotfälle Schweiz 2006. Allgemeine Zunahme und mehr Bergtote

Ein schneereicher und langer Winter, eine Hitzeperiode im Juli gefolgt von massiven Schneefällen in den Hochalpen im August und schliesslich wiederum sehr warme Temperaturen im Herbst und Frühwinter: Die Bergsteiger hatten sich 2006 auf sehr unterschiedliche Bedingungen einzustellen. Demzufolge waren auch die Ursachen sehr vielschichtig, die zu Notfallsituationen 1 führten.

In den Schweizer Alpen und im Jura wurden 2006 insgesamt 2050 Personen evakuiert, gerettet oder geborgen. 2 In dieser Bilanz sind nun auch die Interventionen aus dem Unterwallis ( Maison du sauvetage ) vollständig enthalten. Dadurch sind nicht alle Zahlen von 2006 direkt mit jenen des Vorjahres vergleichbar. Für die Sommersportarten gilt: Ein direkter Vergleich mit dem Vorjahr ist möglich, da die Unterwalliser Notfälle seit Juli 2005 mitgerechnet sind. Bei den Wintersportarten ist ein differenzierterer Blick nötig. Die Statistik über die Todesfälle wiederum ist direkt vergleichbar, da hier immer schon alle Zahlen aus der gesamten Schweiz verfügbar waren.

Zunahme der Bergnotfälle 3

Zieht man probehalber die Zahlen aus dem Unterwallis ab, zeigt sich, dass die Notfälle in der übrigen Schweiz im Vergleich zum Jahr 2005 um 6% zugenommen haben. Insgesamt sind die Notfallzahlen praktisch in allen Bergsportarten gestiegen, dies am deutlichsten bei Variantenabfahrten ( +41% ) und bei Skitouren ( +40% ). Da sich Erstere vor allem in den grossen Skigebieten ausserhalb des Unterwallis ereigneten, ist ein direkter Vergleich mit dem Vorjahr möglich. Anders bei den Skitouren: Hier sind die Werte noch nicht direkt vergleichbar, weil die entsprechenden Informationen der Vorjahre aus dem Unterwallis noch nicht zur Verfügung standen.

Ein Vergleich der Ursachen zeigt, dass besonders Notfälle als Folge von Blockierungen stark zugenommen haben. Dazu beigetragen haben sicher die ungünstigen Wetterbedingungen und Verhältnisse nach dem Wintereinbruch im August.

Tödliche Unfälle etwa auf Stand 2003

Von den insgesamt 151 verstorbenen Personen sind 37 einem Krankheitsfall erlegen. Bei tödlichen Unfällen beim Bergsport im engeren Sinn 4 haben im Berichtsjahr 2006 bei 94 Ereignissen insgesamt 104 Berggänger ihr Leben verloren. Dies entspricht im Vergleich zum Vorjahr einer Zunahme von 8%. Diese Entwicklung ist auf das Geschehen beim Bergwandern ( +25% ) und im Besonderen auf die Unfälle beim Variantenabfahren zurückzuführen. Hier hat sich die Zahl der tödlich verunfallten Personen mit 20 Betroffenen mehr als verdreifacht. Mit 14 Personen oder 13% ist der Anteil der tödlich verunglückten Frauen tiefer als im Vorjahr, hingegen verunfallten mehr Ausländer. Mit insgesamt 48 Personen entspricht dies einem Anteil von 46% aller tödlich verunfallten Berggänger. Der prozentuale Anteil der tödlich verunfallten SAC-Mitglieder ist mit 14 betroffenen Personen im Jahresvergleich etwas tiefer ( vgl. dazu Tab. 1–4, S. 30 ff. ).

Hochtouren: sehr viele Blockierungen

Die Hochtourensaison 2006 begann vielversprechend. Bereits Anfang Juli herrschten allgemein günstige Tourenbedingungen. Die Sommerhitze führte aber rasch zu einer starken Ausaperung. Dadurch wurde die Begehbarkeit der Gletscher erschwert, und die Steinschlaggefahr stieg vielerorts an. Ende Juli leitete 1 Zusätzliche Auswertungen rund um das Bergnotfallgeschehen in den Schweizer Alpen und im Jura finden sich auf der SAC-Internetseite www.sac-cas.ch/rettung/statistiken. 2 Dieser Bericht basiert auf der Auswertung aller bekannt gewordenen Bergnotfälle in der Schweiz.

3 Der Begriff « Bergnotfall » umfasst alle Vor- kommnisse, bei denen Berggänger die Hilfe der Bergrettungsdienste beanspruchen. Dies betrifft auch Erkrankungen und Evakuationen von unverletzten Personen. « Bergunfälle » – als Untermenge der Notfälle – sind Ereignisse, die der allgemeinen Definition eines Unfalls entsprechen.

4 Diese Statistik erfasst nur Notfälle in den Spiel- arten des klassischen Bergsteigens. Nicht berücksichtigt sind somit auch Todesfälle beim Delta- und Gleitschirmfliegen, beim Base Jumping und Mountainbikefahren. So bleiben die Zahlen mit denjenigen früherer Jahre vergleichbar.

eine markante Gewitterfront einen abrupten Wetterwechsel ein. In der Folge wurden die Hochalpen zum Teil massiv eingeschneit. Abgesehen von einzelnen schönen Tagen hielt diese nasskalte Wetterlage den ganzen August hindurch an, am Monatsende schneite es im Norden sogar bis zur Waldgrenze hinunter. Diese Voraussetzungen schränkten die Aktivitäten im Hochtourenbereich stark ein. Trotzdem war die Zahl der von einer Notfallsituation betroffenen Alpinisten mit insgesamt 399 beteiligten Personen deutlich höher als im Vorjahr. Wiederum waren Blockierungen mit 179 involvierten Alpinisten weitaus die häufigste Notfallursache.. " " .Viele wurden vom Wetterwechsel Ende Juli überrascht oder unterschätzten die schwierigen Bedingungen. Schwierige Rettung von Eingeschneiten Überrascht wurden so zwei Alpinisten, die Anfang August die Jungfrau über den Rottalgrat besteigen wollten. Diese Route war durch die Gewitter der Vortage bereits vereist und heikel geworden, und die Wetterprognosen kündigten für die nächsten Tage Niederschläge mit Schnee bis 2200 m an. Am Tourentag, dem 2. August, kamen die beiden wegen der bereits ungünstigen Verhältnisse nur langsam voran. Um 18 Uhr entschlossen sie sich auf einer Höhe von 3600 m für ein Biwak. Während der Nacht erreichte die angekündigte Schlechtwetterfront die Berner Alpen, und am nächsten Morgen lag bereits eine Neuschneedecke von 20 bis 30 cm. Unter diesen Voraussetzungen gab es für die beiden Alpinisten weder ein Vor noch Zurück; sie alarmierten die Bergrettung. Die anhaltend schlechten Wetterbedingungen liessen aber eine rasche Rettung mittels Helikopter nicht zu. Im Gebiet lagen unterdessen 50 cm Neuschnee. Da die beiden Bergsteiger gut ausgerüstet waren, wurde mit ihnen vereinbart, am Biwakplatz auszuharren, bis eine kurze Aufhellung eine schnelle Flugrettung ermöglichen würde. Am Tag nach der zweiten Biwaknacht scheiterte aber die Rettung aus der Luft erneut an den sich rasch wieder verschlechternden Sichtbedingungen. Nach der dritten Biwaknacht entschloss sich die Rettungseinsatzleitung zu einer terrestrischen Aktion. Die extrem schwierigen und gefährlichen Verhältnisse forderten dem 13-köpfigen Team alles ab. Es gelang jedoch, die beiden Berggänger in einer zweitägigen Aktion zu erreichen und wohlbehalten zurück zur Rottalhütte zu bringen.

Sturz als häufigste Todesursache Die Zahl der tödlich verunfallten Hochtourengänger ist mit insgesamt 21 Personen tiefer als 2005. Davon waren 17 Personen oder 77% ausländische Alpinisten betroffen. 13 Personen starben durch Sturz/Absturz. Dazu zählen drei Mitreissunfälle mit insgesamt fünf Todesopfern. Ebenso stürzten fünf Personen tödlich ab, die jeweils mit anderen unangeseilt unterwegs waren. Des Weiteren starben drei Bergsteiger infolge Blockierung oder Verirren bei schlechten Wetterbedingungen, und zwei Personen verloren bei einem Spaltensturz das Leben. Durch losbrechende Felsmassen starben drei Alpinisten. Am Piz Paradisin verunfallte ein Mitglied einer Viererseilschaft. Ein Felsblock, an dem sich der Alpinist festgehalten hatte, löste sich und durch-trennte das verbindende Seil. Bei einem anderen Unfall am Obergabelhorn löste sich eine ganze Felskanzel, auf welcher der Kunde auf seinen abkletternden Bergführer wartete. Dadurch wurde die Seilschaft in die Tiefe gerissen.

Klettertouren: deutlich weniger Notfälle

Erfahrungsgemäss ist die Zahl der Notfälle beim Klettern im Fels deutlich tiefer als bei den anderen klassischen Bergsportarten. Dadurch beeinflussen schon ein paar Ereignisse mehr oder weniger die Zahlenwerte stark. So ist im Berichtsjahr 2006 die Bilanz mit insgesamt 98 betroffenen Personen deutlich tiefer als im Vorjahr, in welchem gegenüber 2004 ein Der Wintereinbruch in den Hochalpen im August verursachte zahlreiche Blockierungssituationen. Unter schwierigsten Bedingungen arbeitet sich die Rettungsmannschaft am Rottalgrat der Jungfrau zu zwei Alpinisten empor.

Fotos: Mar tin Schürmann starker Anstieg registriert werden musste. Durch Sturz oder Absturz verunfallten 44 Kletterer. Mit 36 betroffenen Personen waren Blockierungen wiederum zahlreich. Dabei sind auch alle Seilpartner von verunfallten Personen mitgerechnet, die alleine den Abstieg nicht mehr fortsetzen konnten. Nicht selten führten auch missglückte Abseilmanöver zu einer ausweglosen Situation. Ein nicht seltenes Malheur passierte einigen, als deren Seile beim Auswerfen hinunterfielen – sie hatten die Seile aufgrund eines Missverständnisses zuvor nicht verknüpft. Bei zwei derartigen Fällen entschärften die Rettungskräfte die Situation auf pragmatische Weise: Im ersten Fall konnte der an der Seilwinde des Helikopters hängende Retter die weiter unten hängen gebliebenen Seile auffischen und den Kletterern wieder zuwerfen. Beim zweiten Ereignis wurde der Retter am obersten Stand abgesetzt. Dieser seilte sich zu den Blockierten ab und setze mit diesen die Abseilmanöver bis zum Wandfuss fort.

Unterschätzte alpine Klettertouren Die meisten der häufig begangenen Klettertouren in den Schweizer Alpen und im Jura sind heute fast vollständig mit Bohrhaken ausgerüstet. Es ist weitgehend unbestritten, dass dadurch die Sicherheit wesentlich erhöht wurde. Es darf aber nicht übersehen werden, dass auch « sanierte » Routen nach wie vor ernsthafte Unternehmungen sein können, die eine sorgfältige Planung und Erfahrung im alpinen Gelände erfordern. Dass dies offensichtlich unterschätzt wird, zeigt die Aufschlüsselung nach Gelände 5, in dem sich ein Kletternotfall ereignete: 14 Personen verunfallten in Klettergärten, 22 in kürzeren, zugänglichen und gut abgesicherten Routen, 13 in nicht abgesichertem alpinem Gelände und der grösste Anteil, nämlich 49 Personen, in langen abgesicherten, aber anspruchsvollen Touren im alpinen Gelände. Keine tödlichen Abseilunfälle Im Gegensatz zum Vorjahr, in dem allein durch Abseilunfälle fünf Kletterer ihr Leben verloren, ist im Berichtsjahr 2006 kein einziger tödlicher Unfall beim Abseilen bekannt geworden. Von den insgesamt vier Todesopfern starb ein Kletterer durch Sturz im Vorstieg auf einer Route am Mäntliser. Ein Alleingänger stürzte im oberen Teil der Piz-Badile-Nordkante ab, ein weiterer an den Sommêtres im Jura und der dritte Kletterer beim Zustieg zum Rot Turm im Alpstein.

Ski- und Snowboardtouren

Bereits zu Jahresbeginn lag in den Schweizer Alpen bis in tiefere Lagen eine eher überdurchschnittliche Schneedecke. Tabelle 1: Identität der tödlich Verunfallten 2005 2006 2006 Anzahl Opfer 96 104 100 Männer 80 90 87 Frauen 16 14 13 Schweizer 53 56 54 Ausländer 43 48 46 SAC-Mitglieder 13 14 13 Alterstufen: bis 10 Jahre 1 1 1 bis 20 Jahre 4 7 7 bis 30 Jahre 16 17 16 bis 40 Jahre 16 16 15 bis 50 Jahre 17 17 16 bis 60 Jahre 12 10 10 bis 70 Jahre 17 15 14 über 70 Jahre 13 19 19 unbekannt 0 2 2 Tabelle 3: Gelände bei tödlichen Bergunfällen 2005 2006 2006 Bergweg 9 24 23 Gras/Geröll 22 15 14 Felsen 22 19 18 Schnee/Firn/Eis 30 37 36 Gletscher 10 7 7 Anderes Gelände 322 Hochalpen 38 39 38 Voralpen 58 64 61 Jura 0 1 1 Schlucht = 1, Bergbach = 2 Tabelle 2: Tätigkeit bei tödlichen Bergunfällen 2005 2006 2006 Bergwandern 32 40 38 Hochtouren 24 21 20 Klettern 7 4 4 Skitouren 17 12 12 Variantenfahren 6 19 18 Anderes 1088 Organisierte Touren 3 11 10 Private Touren 63 60 58 Alleingänger 30 33 32 Jagd = 5, Schneeschuhläufer = 2, Canyoning = 1 5 Konkrete Beispiele: Klettergarten: Oberbuch-sitenplatte ( Jura ); kürzere und gut abgesicherte Routen: Ponte Brolla ( Tessin ); lange, nicht abgesichertes Gelände: Vanil de l' Arpille ( Freiburger Voralpen ); anspruchsvolle abgesicherte Routen: Graue Wand ( Urner Alpen ) Beim Sturz in eine Gletscherspalte blieb der Verunfallte kopfüber in ca. sechs Metern Tiefe an den verkeilten Ski hängen. Das Sicherungsmaterial befand sich im Rucksack. So musste dem Verunfallten in der Spalte zuerst ein Anseilgurt angezogen werden.

Während der Hochwinterphase war das Wetter – unterbrochen von zwei markanten Föhnphasen und kürzeren Niederschlagsperioden – häufig hochdruckbe-stimmt. Im März erfolgte ein markanter Wintereinbruch, der in den Alpen kurzzeitig zu einer heiklen Lawinensituation führte. Nach günstigen Tourenbedingungen um die Monatsmitte folgten in den Alpen weitere Schneefälle. Auch im April und Mai gab es in den höheren Lagen immer wieder Neuschnee, dazwischen konnten immer wieder beste Verhältnisse auf den nun sehr gut eingeschneiten Gletschern angetroffen werden – insgesamt ergab dies eine sehr lange Skitourensaison.

Viel mehr Notfälle aufgrund langer Saison Insgesamt waren 223 Personen von einem Notfall betroffen. Im Vergleich zum Vorjahr entspricht dies einer Zunahme von 40%. Diese Entwicklung ist primär vor dem Hintergrund der sehr langen Saison zu sehen, welche sich aber nicht in der Zahl der tödlich verunfallten Tourenfahrer widerspiegelt ( Tab. 2 ). Die häufigste Notfallursache waren Sturzunfälle. Dabei handelte es sich mehrheitlich um klassische Skiverletzungen ohne Lebensgefahr, die eine ärztliche Behandlung oder eine Hospitalisation erforderten. Markant höher als im Vorjahr war die Zahl der blockierten Personen, die aus einer Notlage befreit werden mussten. Daran beteiligt waren mehrmals auch grössere Gruppen nach einem Lawinen- oder Spaltensturzereignis. Ebenso zahlreich waren Notfälle als Folge einer Erkrankung. Bei solchen Ereignissen starben fünf Skitourengänger, zumeist an den Folgen eines akuten Herz-Kreislauf-Versagens. Blitzschlag Zu Saisonbeginn im Juli waren die Verhältnisse auf Hochtouren gut. Die grosse Erwärmung sorgte aber rasch für eine starke Ausaperung.

Foto: Fr ed Ny degger Tabelle 4: Ursachen von tödlichen Bergunfällen 2005 2006 2006 Sturz 56 66 63 Spalteneinbruch 7 4 4 Wechtenabbruch 0 2 2 Steinschlag 1 1 1 Eisschlag 0 0 0 Blitzschlag 0 0 0 Lawine 24 22 21 Blockierung/Er- schöpfung/Verirren 3 4 4 Andere Ursache 555 Felsabbruch = 3, ertrunken = 1, Schlammlawine = 1 Foto: Marco Salis Interessant ist ein Blick auf das Notfallgeschehen bei Spaltensturzunfällen. Von einem solchen Ereignis waren insgesamt 13 Skibergsteiger betroffen, von denen elf Personen gerettet werden konnten. Bei einer dieser Rettungen war auch viel Glück im Spiel: Eine Zweierpartie stieg über den spaltenreichen « Buuch » Richtung Bernina. Anseilgürtel und Seil befanden sich im Rucksack. Auf ca. 3600 m stürzte der vorausgehende Partner in eine Spalte und blieb nur dank der verklemmten Ski kopfüber in der Bindung hängen. Weniger tödliche Unfälle Ähnlich wie bei den Hochtouren ist auch im Skitourenbereich, trotz einer Zunahme der Notfälle, die Zahl der tödlich verunfallten Personen mit insgesamt zwölf Betroffenen tiefer als im Vorjahr. Fünf Skitourenfahrer kamen bei Lawinenunfällen ums Leben, davon zwei Beteiligte bei Gefahrenstufe 2 und drei Betroffene bei Gefahrenstufe 3 des Lawinenbulletins. Fünf weitere Skitourenfahrer starben durch Sturzunfälle, vier davon zu Fuss im Abstieg und eine Person während der Abfahrt. Die weiteren zwei Opfer starben an den Folgen eines Spaltensturzes. Im ersten Fall war der Betroffene nicht angeseilt. Beim zweiten Ereignis stürzten beide Teilnehmer einer Zweierseilschaft zu Fuss in eine Spalte, wobei ein Betrof-fener tödlich verletzt wurde.

Variantenabfahrten

Beim Ski- und Snowboardfahren abseits von gesicherten Pisten ( auf Neudeutsch heute « Freeriden » genannt ) haben sich die Akteure – ähnlich wie beim Tourengehen – vor allem mit den Schneeverhältnissen auseinanderzusetzen. Dementsprechend entwickelten sich in der Regel die Notfallzahlen in beiden Disziplinen ähnlich. In den vergangenen zwei Jahren sind jedoch die Notfälle im Variantenbereich ungleich viel stärker angestiegen. 2006 beträgt diese Zunahme mit insgesamt 202 involvierten Personen verglichen zum Vorjahr 42%. Da sich die meisten Notfälle in den grossen Skigebieten ausserhalb des Unterwallis ereigneten, sind die Zahlen direkt vergleichbar. Wiederum waren Skifahrer mit 153 Beteiligten wesentlich zahlreicher betroffen. Am häufigsten waren Sturzunfälle ( 51 Skifahrer und 19 Snowboar- Von diesem Schneebrett wurden fünf von sechs Teilnehmern einer Schneeschuhläufergruppe erfasst. Trotz rascher und erfolgreicher LVS-Suche verstarb eine Person an den Unfallfolgen.

Foto: Jürg Schweizer, SLF Ein schneereicher Winter ermöglichte eine lange Skitourensaison.

Foto: Ueli Mosimann der ). Fast ebenso zahlreich waren Notfälle als Folge einer Lawinenverschüttung ( 52 Skifahrer und 10 Snowboarder ).

Massiver Anstieg tödlicher Unfälle Mit insgesamt 20 Betroffenen hat sich die Zahl der tödlich verunfallten Personen in diesem Bereich im Jahresvergleich mehr als verdreifacht. Diese – im Gegensatz zu der bei den Skitouren – sehr ungünstige Entwicklung lässt sich kaum nur auf den schneereichen Winter und auf heikle Lawinensituationen zurückführen. Einerseits darf man nicht übersehen, dass sich das « Freeriden » in einer starken Boomphase befindet, andererseits muss vermutet werden, dass viele Variantenfahrer – trotz den aktuellen und sehr gut gestalteten Informations-kampagnen – immer noch zu wenig über die spezifischen Gefahren informiert sind, diese nach wie vor ignorieren oder die Informationen schlicht nicht verstehen: Rund zwei Drittel oder 14 Tote waren ausländische Staatsbürger.

Bergwandern

Insgesamt 842 Personen waren in einen Notfall beim Bergwandern involviert. Dies entspricht im Jahresvergleich einer Zunahme von 6% oder rund 41% aller Bergnotfälle im Berichtsjahr 2006. Die häufigste Notfallursache waren Stürze, meistens ohne lebensgefährliche Verletzungen, die aber doch eine Hospitalisation erforderten. Am zweithäufigsten waren Personen blockiert, oder sie verirrten sich.

Zahlreicher als im Vorjahr waren Notfälle als Folge einer Erkrankung. Im Berichtsjahr mussten deswegen 158 betroffene Wanderer die Bergrettung beanspruchen. Davon konnten 27 Personen, häufig als Folge eines Herz-Kreislauf-Problems, nur noch tot geborgen werden. Mit einer Ausnahme waren diese über 60 Jahre alt.

Todesopfer vor allem Schweizer Von den insgesamt 40 verunglückten Wanderern waren 31 Personen oder gut 77% Schweizer. Am häufigsten mit 34 Betroffenen ereigneten sich solche Unfälle durch Sturz oder Absturz. Davon stürzten 21 Beteiligte auf einem Bergweg und 13 Personen im weglosen Gelände ab. Von diesen befanden sich sieben Bergwanderer auf einer alpintechnisch anspruchsvollen Tour ab Schwierigkeitsgrad T4 der Bergwanderskala. Zwei Personen stürzten beim Pilzsuchen tödlich ab, eine Bergwandererin wurde von einer Schlammlawine mitgerissen, und eine weitere Person stürzte in einen Bergbach und ertrank.

Andere Bergsportarten 6

Von den in dieser Rubrik erfassten Tätigkeiten waren – wie bereits in den Vorjahren – wiederum Notfallsituationen beim Mountainbiking mit 59 Beteiligten am zahlreichsten. Meistens handelte es sich um Sturzunfälle, deren Folgen eine Hospitalisation erforderte. Zwei Personen kamen durch akutes Kreislaufversagen ums Leben, und ein Biker starb an den Folgen einer Kollision.

Deutlich weniger zahlreich waren hingegen Notfälle bei der Begehung von Klettersteigen. Von den insgesamt 29 Beteiligten mussten 20 blockierte Personen wegen Erschöpfung oder Überforderung gerettet werden. Fünf Personen erlitten einen Sturzunfall und zwei Betroffene verletzten sich durch unsachgemässe Handhabung an einer Tyrolienne. Der « Boom » beim Schneeschuhlaufen widerspiegelt sich auch im Notfallgeschehen. Mit insgesamt 33 Personen hat deren Zahl im Jahresvergleich um 43% zugenommen. Durch Sturz/Absturz verletzten sich elf Personen. Ebenso waren elf Schneeschuhläufer von einem Lawinenunfall betroffen. Hier konnten zwei Beteiligte nur noch tot geborgen werden.

Fazit

Führten die zeitweise ungünstigen Verhältnisse zu einem Anstieg der Unfälle, spielte das Auftauen des Permafrosts eine Rolle, oder ist es schlicht die immer grössere Zahl von Berggängern, welche die Bilanz der Notfälle beeinflussen? Vor dem Hintergrund der breit gefächerten Aktivitäten beim Bergsport lassen sich solche Fragen nicht pauschal beantworten. Sicher ist, dass die aktuelle Erwärmung vor allem im hochalpinen Gelände die sichere Begehbarkeit vieler Routen erschwert. Vielerorts entschärften partiell neu angelegte Zugänge und zusätzliche Sicherungsmassnahmen die Gefahren. Dies entlässt jedoch die Alpinisten nicht aus der Verantwortung, sich über die Verhältnisse zu informieren und die vermehrt auftretenden Wetter-extreme bereits bei der Tourenplanung aufmerksam und sorgfältig zu berück-sichtigen. a Ueli Mosimann, Arbeitsgruppe Notfallstatistik SAC 6 Unter dieser Rubrik werden die Ereignisse weiterer Aktivitäten aufgeführt, die wesentliche Elemente einer bergsportlichen Tätigkeit erfüllen ( aus eigener Muskelkraft und Verantwortung unterwegs ), aber nicht den klassischen Bergsportarten zuzuordnen sind.

« Besser zu zweit »: Im anspruchsvollen Alpinwandergelände kann es sogar sinnvoll sein, schwächere Teilnehmer an heiklen Abschnitten anzuseilen.

Foto: Ueli Mosimann

Erste Resultate der Höhenforschung am Muztagh Ata

Höhenbergsteigen geht an die Substanz

Höhenbergsteigen ist für den menschlichen Körper eine Tortur: Dies bestätigen die Forschungsergebnisse der Schweizer Muztagh-Ata-Expedition vom Sommer 2005. Darüber hinaus haben die Mediziner aber wichtige Detailerkenntnisse über die Höhenanpassung im Körper gewonnen. Für die Alpinisten heisst es weiterhin: Nur mit guter Akklimatisation lassen sich die gesundheitlichen Gefahren reduzieren.

Rund die Hälfte jener Expeditionsteilnehmer, die im Sommer 2005 den Gipfel des- 7536 Meter hohen Muztagh Ata erreicht hatten, litt bereits- auf 6800 Metern unter ersten Anzeichen einer Hirn-s-chwellung. Obwohl messbar, hat es- kaum einer von ihnen gespürt. Denn bei keinem der Probanden war im letzten Höhenlager vor dem Gipfelsturm eine relevante Funktions-s-törung des- Hirns- festgestellt worden. Laut der medizinischen Expeditionsleitung 1 bestätigt dies- einmal mehr, das-s- Höhenbergsteigen für den Organis-mus- eine grosse Belastung darstellt und bei Nichtbeachten der gängigen Regeln sehr gefährlich sein kann.

Erstmals grosse Probandengruppe

Das-s- sich eine gute Akklimatisation und ein mas-s-volles- Aufstiegstempo – nicht mehr als- 300 Höhenmeter pro Tag – in grosser Höhe positiv auf die körperliche Leistungsfähigkeit auswirken, ist landläufig bekannt. Während der Muztagh-Ata-Expedition 2 konnte die Wirkung eines- verantwortungsvollen Aufs-tiegs--profils- aber zum ersten Mal an einem grossen Kollektiv gemessen werden. « Wir haben die 34 Probanden in zwei unterschiedlich rasch aufsteigende Gruppen eingeteilt und konnten so die Symptome der Höhenkrankheit sowie die körperliche Leistungsfähigkeit zwischen den beiden Gruppen differenziert vergleichen », erklärt Prof. Konrad Bloch vom Zürcher Universitätsspital.

Geringerer Sauerstoffverbrauch

Alle Probanden trugen während des- gesamten Aufs-tieges- ein s-pezielles- Mes-s-- T-Shirt. Die daraus- gewonnen Daten zeigen klar, das-s- jene Probanden, welche einige Tage mehr für die Akklimatisation zur Verfügung hatten, weniger unter Kopfschmerzen, Schlafs-törungen, Übelkeit und Erschöpfung gelitten haben als- jene, die schneller aufgestiegen sind. Trotzdem hat sich aber bei den Leis--tungs-tes-ts- auf dem Fahrradergometer bei den Bes-s-erakklimatis-ierten keine Steigerung der maximalen Leistungsfähigkeit gezeigt. « Bei guter Akklimatisation verbraucht der Körper bei mittlerer Leistung offensichtlich deutlich weniger 1 Weitere Informationen zur MuztaghAtaExpedition 2005 unter www.swiss-exped.ch 2 Siehe auch ALPEN 9/2005 Die Reise zum Basislager auf ca. 4500 m dauerte rund fünf Tage und führte von Islamabad über den abenteuerlichen Karako-rum-Highway. Die Expedition überwand dabei bereits etwa 3800 Höhenmeter.

Foto: Matthias Gutmann Foto: Tommy Dättwyler Sauerstoff, der Wirkungsgrad des- Kör-pers- nimmt zu », fasst Konrad Bloch zusammen. Akklimatisation heisst also, das-s- der Körper fortlaufend « lernt », mit weniger Sauerstoff zu haushalten – aber dazu braucht er genügend Zeit.

Auge als Fenster zum Hirn

Mit grossem Aufwand und viel Akribie wurden am Muztagh Ata auch die Augen der Probanden untersucht. Das- Auge gilt in der Medizin allgemein als- « Fenster zum Hirn ». Bereits- beim ersten Aufstieg in Höhen über 4000 Metern hat sich bei allen Probanden die Durchblutung der Netzhaut in den Augen deutlich verstärkt; diese reduzierte sich aber wieder mit zunehmender Akklimatisation. Weil die Netz-hautdurchblutung direkt mit der Durchblutung des- Hirns- verbunden ist, lassen auch diese Resultate Rückschlüsse auf die höhenbedingten Veränderungen im Hirn ( z.. " " .B. beginnendes- Höhen-Hirn-ödem ) zu. Deutlich zugenommen haben in grossen Muztagh-Ata-Höhen auch Entzündungen des- Sehnervs-. Für die For-s-cherin und Augenärztin Martina Bösch steht damit fest, das-s- das- Auge als- guter Indikator für höhenbedingte Veränderungen des- Hirns- dient, weil sich im Auge Veränderungen und Erkrankungen zuerst manifestieren. Eine gute Selbs-t-überwachung am Berg lohnt sich also. « Wer beim Höhenbergsteigen Sorge zu sich tragen will, tut gut daran, sich selber rücksichtsvoll zu beobachten und auf die Signale des- Körpers- und bes-onders- auch der Augen zu achten », so das- Fazit von Bösch, « sobald Probleme auftauchen, heisst es-: sofort absteigen. » Lager I der Schweizer Muztagh-Ata-Expedition auf rund 5300 m: atemberaubende Aussicht in den Gletscherflanken des Muztagh Ata Majestätisch ragt der Muztagh Ata, auch « Vater der Eisriesen » genannt, aus der wüstenartigen Steppe bei Subash in Westchina. Hier beginnt der Aufstieg ins rund 700 Meter höher gelegene Basislager. Foto: Tommy Dättwyler

In dünner Luft leiden die Nieren

Steigen Bergsteiger und Trekkingteilneh-mer in grosse Höhen auf, leiden aber nicht nur Hirn, Lunge und Augen. Der Sauerstoffmangel wirkt sich auch auf die Nierenfunktion aus-. Die beiden Mediziner Andreas- Huber und Jacqueline Pichler vom Kantonsspital Aarau fanden her-aus-, das-s- der menschliche Körper das- auf 5000 Metern Höhe bereits- um 50% reduzierte Sauerstoffangebot nicht ohne weiteres- wegs-teckt. « Wir haben entdeckt, das-s- am Berg bei einzelnen Probanden die Nierenfunktion um bis- zu 35% eingeschränkt war », erklärt Jacqueline Pichler. Es- drohen also bei einem längeren Aufenthalt in grosser Höhe Vergiftungs--ers-cheinungen, weil die Nierenfunktion und damit die Entgiftung des- Körpers- nicht mehr vollständig funktioniert. « Es- sieht ganz so aus-, das-s- bei längerer Höhen-expedition in den Nieren eine Gefäs-s--krankheit ausbricht », fasst Andreas- Huber die Analyse von über 3500 Blutproben zusammen. Die Forschungsresultate zeigen nach Huber, das-s- die Aufstiegsgeschwindigkeit somit auch bei der Nierenfunktion eine wichtige Rolle spielt. « Je schneller der Aufstieg, desto schneller und heftiger fällt auch die Nierenfunktion zusammen. »

Blutgerinnung wie bei Wunden

Die Auswertung der Bluttes-ts- hat noch eine weitere Erkenntnis- gebracht: Die Aarauer Forscher haben deutliche Zeichen dafür entdeckt, das-s- sich in grosser Höhe die Blutgerinnung selbstständig aktiviert. Dabei handelt es- sich um einen Schutzmechanis-mus-, der normalerweise nur bei schweren Verletzungen angeregt wird. « Der Körper reagiert in der Höhe ohne offensichtlichen Grund, als- sei er mit einer offenen Wunde konfrontiert », fasst Jacqueline Pichler zusammen. In grosser Höhe werde das- Blut also nicht nur wegen der verstärkten Produktion von roten Blutkörperchen für die verbesserte Sauerstoffaufnahme dicker.

Herz als Einziges nicht betroffen

Während also viele Organe durch grosse Höhen in Mitleidenschaft gezogen werden, scheint das- Herz relativ unberührt. Die Forscher haben nämlich weder bei den Herzhormonen noch bei den Ent-zündungs-indikatoren am Berg signifikante Veränderungen festgestellt. Sie folgern daraus-, das-s- die Höhe primär keine Entzündungen auslöst und das-s- bei gesunden und gut trainierten Alpinisten das- Herz dem « Höhens-tres-s- » gut standhält.

Zeit ist einer der wichtigsten Faktoren

Sämtliche Forschungsresultate der Muztagh-Ata-Expedition zeigen, das-s- der Körper in Höhen über 4000 Meter ungeachtet der körperlichen Leistungsfähigkeit sehr stark beansprucht wird. Entsprechend wichtig ist es-, genügend Zeit für eine gute Akklimatisation, massvolle Tagesetappen und Ruhetage einzuplanen. So können die eigenen Ressourcen geschont und das- Risiko zu erkranken reduziert werden. Höhenbergsteigen und Trekkings- in grossen Höhen sind eine « langsame Disziplin ». Expeditionsleitung, Forscher und Probanden sind sich einig: « Nur wer sich der Langsamkeit hingibt, wird sich an der Natur und der eigenen Leistung am Berg freuen können .» a Tommy Dätwyler, Kölliken Fotos: Tommy Dättwyler Stundenlange Laborarbeit unter schwierigen Bedingungen: Die beiden Ärzte Otto Schoch und Konrad Bloch bei ihrer Arbeit in einem der Forschungszelte. Tausende von Datensätzen müssen abgelesen und gespeichert werden. Lungenvolumentest in grosser Höhe: Proban-din Claudia Vernier gibt im Lager II auf rund 6000 m alles.

Velofahren bis zum Umfallen: Leistungstest auf dem Ergome-ter im Lager II

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