Jungfrauregion – Eldorado der Bahnbauer
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Jungfrauregion – Eldorado der Bahnbauer Teil 2: Im Berner Oberland entwickelte sich ein heftiger Kampf um Gipfelbahnen

Sie ist und bleibt ein Jahrhundertwerk, die Zahnradbahn hinauf zum Jungfraujoch. Wären um die Wende zum 2O. Jahrhundert alle Bahnprojekte in der Region Lauterbrunnen/Grindelwald realisiert worden, wären nur wenige Gipfel und Pässe verschont geblieben.

Verrückt, spektakulär, triumphal – die Projekte einer Bahn auf den 4158 Meter hohen Gipfel der Jungfrau rangen den Befürwortern dieser gigantischen Idee höchste Bewunderung ab. « Es ist einleuchtend, dass die Bahn auf die Jungfrau für das Berner Oberland das würde, was der Eiffelturm für Paris geworden, ein technisches Wunder, das die Reisenden aus allen Ländern mächtig anlocken müsste », kommentierte « Der Bund»1 beeindruckt. Doch es gab andere, die erschraken, warnten und drohten: «Man verdirbt uns die Schweiz», hiess es etwa in den «Basler Nachrichten»2, und das «Oberländische Volksblatt»3 in Interlaken schrieb von «rücksichtslosem Kapitalismus».

Was müsste heute ausgeheckt werden, um mit dem Projekt Jungfraubahn des ausgehenden 19. Jahrhunderts gleichziehen zu können? Die konkreten Pläne machten jedenfalls vor 120 Jahren weltweit Schlagzeilen. Der beinahe bedingungslose Glaube an die Unfehlbarkeit der Technik schien selbst bei den politisch Verantwortlichen fest verankert zu sein. Man wollte der Welt zeigen, wozu Pioniergeist und Schweizer Ingenieurskunst fähig sind. In der Tat: Die Umsetzung der Vision, die detaillierte Bauplanung und die unerschütterliche Beharrlichkeit der Verantwortlichen bis zur Realisierung der höchsten Bahnstation Europas verdienen noch heute Respekt. Allerdings: Die allerletzte, die spektakulärste Etappe des gewaltigen Unternehmens Jungfraubahn, die Erschliessung bis zum Jungfraugipfel auf über 4100 Metern, blieb aus finanziellen Gründen eine Utopie.

 

Seilbahn, Zahnradbahn und ein Geschoss

Herbst 1889: Noch ist die Strecke für die Berner-Oberland-Bahn von Interlaken nach Lauterbrunnen und nach Grindelwald im Bau, als der verblüfften Öffentlichkeit innert kürzester Zeit eine ganze Reihe von Bahnen auf Pässe und Gipfel im Lauterbrunnental vorgestellt werden. So wurde auch eine Verbindung von Lauterbrunnen unter dem Breithorn hindurch nach Visp im Wallis konzessioniert.4 Grindelwald sollte via Grosse Scheidegg und Rosenlaui mit Meiringen im Haslital verbunden werden, eine weitere Bahn war von der Grossen Scheidegg auf die Schynige Platte geplant. Schon bald wurden auch Projekte für die Erschliessung Mürrens und Wengens vorgestellt. Am 16. Oktober 1889 reichte Maurice Koechlin, Ingenieur und Konstrukteur des Eiffelturms, sein Konzessionsgesuch ein: Die Berner-Oberland-Bahn ( BOB ) von Interlaken nach Lauterbrunnen sollte um 4,2 Kilometer bis nach Stechelberg verlängert werden. Von dort aus plante Koechlin eine elektrische Zahnradbahn, eventuell eine Drahtseilbahn in fünf Sektionen, meist in Tunneln und Galerien ( Gesamtlänge 5,46 km ), hinauf zur Bergstation auf den Jungfraugipfel. Ein Felsenhotel mit meteorologischem und astronomischem Observatorium hätte die wissenschaftliche Legitimation gebracht.5 Nur fünf Tage später, am 21. Oktober 1889, reichte Alexander Trautweiler, Ingenieur bei der Gotthard- und Brünigbahn und Mitglied der Sektion Gotthard des SAC, ein Projekt ein. Die BOB sollte bis nach Stegmatt um drei Kilometer verlängert werden. Von dort plante er den Bau einer Drahtseilbahn in vier Sektionen im Berginnern via Stellifluh–Schwarzmönch–Silberhorn über 6,5 Kilometer zur Bergstation mit einem Kulm-Hotel Jungfrau. Am 21. Juni 1890 schliesslich stellte Eduard Locher, der Erbauer der Pilatusbahn, ein Bahnprojekt vor, das jules-vernesche Züge aufweist. Sein Plan gipfelte in einer pneumatischen Bahn – eine in dieser Epoche viel diskutierte Technik – auf die Jungfrau: « In jeder der parallelen Röhren verkehrt ein zylindrischer Wagen von 20 m Länge und 50 Sitzplätzen. Mit Pressluft und einer Geschwindigkeit von ca. 25 km/h würden die Reisenden vom Tal direkt zum Gipfel befördert».6 Angesichts der Fahrzeit zum Gipfel von lediglich 15 Minuten könnte man hier auch von « Schiessen » reden. J. Weber, Direktor der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur, lobte das Projekt in den höchsten Tönen: « Je mehr ich Ihr Projekt verfolge und ver-arbeite, desto mehr komme ich zur Überzeugung, dass die Verwirklichung desselben den Bedingungen, welche an den Bau und Betrieb der genannten Bahn gestellt werden müssen, in einer Weise genügt, wie es wohl kein anderes System im Stande sein wird. »

 

Ausgangspunkt Kleine Scheidegg

Eine erste Entwicklung ergab sich, indem Koechlin seine Idee begrub und sich mit Locher zusammentat.7 Trautweiler kritisierte das Projekt der beiden, was den Bund aber nicht daran hinderte, Koechlin am 4. April 1891 eine Konzession zu erteilen, mit der Auflage, die gesundheitliche Unbedenklichkeit oberhalb von 3000 Metern nachzuweisen. Auch Trautweiler gab sein Projekt auf und schloss sich mit den beiden Konkurrenten zusammen. Waren die drei ersten Jungfrauprojekte noch von Lauterbrunnen ausgegangen, rückte danach die Kleine Scheidegg als Ausgangspunkt ins Zentrum. 1890 hatte der Bund auch die Wengernalpbahn hinauf zur Kleinen Scheidegg konzessioniert. Der Bieler Unternehmer Leo Heer-Bétrix stellte zusammen mit der Bernischen Gesellschaft für Specialbahnen Pümpin und Herzog die längste Zahnradbahnstrecke der Welt bis 1893 fertig. Sie transportierte im ersten Jahr 43 000 Fahrgäste, 1904 waren es schon 118 00O. Auch dieser Bau regte Verlängerungspläne an, unter anderem auf den Männlichen und das Lauberhorn.8 Am 2O. Dezember 1893 schliesslich stellte Adolf Guyer- Zeller von Bauma ZH sein Projekt vor. Der Industrielle – Bankier, Zürcher Eisenbahnkönig und begeisterter Bergwanderer obendrein – definierte die Kleine Scheidegg als Ausgangspunkt für die Jungfraubahn. Die erste Sektion der elektrischen Zahnradbahn war bis zur Station Eigergletscher geplant, anschliessend weiter im Tunnel durch Eiger und Mönch bis hinauf zur Jungfrau, wo ein Lift bis auf den Gipfel gebaut werden sollte. « Der Tunnel führt 106 m unter dem Jungfraujoch durch und schlängelt sich spiralenförmig um das oberste Massiv des Berges herum, um etwa 65 m unter der Schneespitze Halt zu machen. An dieser Stelle ist ein ca. 65 m hoher Aufzug geplant, welcher die Reiselustigen aller Nationen auf die höchste Warte der Jungfrau bringt.»9

 

Der Eiffelturm soll überboten werden

In der Schweizer Presse wurden die Jungfraubahn-Pläne von Beginn an kontrovers kommentiert. Bereits vier Tage nachdem Maurice Koechlin das Konzessionsgesuch eingereicht hatte, orientierte « Der Bund » seine Leserschaft in einem ausführlichen Frontartikel: « Wenn man an den unverhofften Erfolg der Rigibahn und der Pilatusbahn denkt, sowie an die bedeutende Zahl von Touristen, welche jeden Sommer auf die Spitze dieser Berge fahren, so kann man keinen Augenblick zweifeln an einem noch grösseren Erfolg der Eisenbahn auf die Spitze der Jungfrau ( 4167 m ). Es ist einleuchtend, dass die Bahn auf die Jungfrau für das Berner Oberland das würde, was der Eiffelturm für Paris geworden, ein technisches Wunder, das die Reisenden aus allen Ländern anlocken müsste.»10 Ein knappes Jahr vor den Eröffnungsfeierlichkeiten für die Talbahnen nach Lauterbrunnen und Grindelwald widmete das « Oberländische Volksblatt » aus Interlaken den eben bekannt gewordenen Jungfraubahn-Plänen die ganze Titelseite: « Kühn, alles bisherige Kühne weit übertreffend, ist der Plan. Gelingt er, dann hat der Menschengeist einen Triumph erfochten, an den zu glauben man noch vor zwanzig Jahren für eine gottlose Verrücktheit gehalten hätte. Die Jungfrau, ‹die ewig verschleierte›, ‹die Königin der Berge›, sie soll, wie eine deutsche Zeitung bereits zutreffend sagt, zur ‹Demoiselle› werden. Die frühere Bergsteigerei schützte und bildete freie Männer, die kommende Fahrerei wird abhängige arme Teufel produzieren. Die frühere liess den Ertrag Land und Leuten, die kommende stösst die Dividenden und Prozentchen in die Taschen der Geldherren, die weit weg wohnen; jetzt will der rücksichtslose Kapitalismus sein hartes Regiment vom Thal aus bis auf der Erde höchster Zinnen hinauf zwingen.»11

 

Die Angst weicht der Euphorie

Der « Oberländer » hatte mit den Spekulationsvorwürfen ein altes Argument aufgenommen ( vgl. « Die Alpen » 11/2011 ). Auch der Gemeinderat des Gletscherdorfs Grindelwald bezeichnete den bevorstehenden Bau der Wengernalpbahn in einem Protestschreiben an die Kantonsregierung als « Spekulationsbau »: Im Tal der Weissen Lütschine, in Lauterbrunnen, stimmte die Gemeindeversammlung dem Bau der Jungfraubahn nun aber euphorisch zu. Jahre vorher hatte man sowohl den Bau der Talbahn als auch die Wengernalpbahn-Pläne bekämpft, befürchtet wurden massive Verluste für die Führer und Träger, die Gäste nach Mürren und Wengen begleiteten. Zu reden gab die Bahn auch im SAC. Die Sektion Burgdorf verlangte, dass das Central Comité ( CC ) gegen den Bahnbau Stellung nehmen möge.12 Dieses argumentierte: « Wir fanden, es liege nicht im Interesse des S.A.C., Werke zu verhindern, welche die Berge zugänglicher machen, zumal die Naturschönheiten jener Gegend durch eine grösstenteils unterirdische Bahn nicht wesentlich verletzt würden. » Die Generalversammlung von Zofingen hat diese Ansicht gutgeheissen, ist im Jahrbuch nachzulesen.13 Nach einer verbissen geführten Leserbriefaktion sah sich das CC veranlasst, öffentlich Stellung zu nehmen. Es gehe nicht an, die Hoheit des Alpenraumes den Alpinisten vorzubehalten. « Abgesehen davon, dass uns keinerlei Rechtsmittel zu Gebote stehen, um eventuell die Ausführung der Bahn zu verhindern, finden wir: 1. dass eine solche Exklusivität dem Ansehen des Schweizer Alpenclubs nur schaden könnte; 2. dass von einer Verunstaltung des Berges nicht gesprochen werden kann; 3. dass noch Tausende von Gipfeln auf die altgewohnte Art bestiegen werden können; 4. dass es nur zu begrüssen ist, wenn der Schweizer Alpenclub in der Lösung der sich selbst gestellten Aufgabe, ‹den Besuch des schweizerischen Hochgebirges zu erleichtern› ( Art. 1 der Statuten ), durch Dritte in so wirksamer Weise unterstützt wird.»14

 

«Absolutes Desinteresse» beim Kanton Wallis

Weil sich die Kantonsgrenze Bern/Wallis über die Gipfel von Mönch und Jungfrau zieht und das Trassee der Jungfraubahn auch die Gemeinde Fieschertal VS berührt, lud der Bundesrat auch die Walliser Kantonsregierung zu den damals üblichen « konferenziellen Verhandlungen » nach Bern ein. Der Staatsrat zeigte sich jedoch desinteressiert: « Nous avons l' honneur de vous faire savoir, comme déjà nous penssions dû le dire lors de la présentation du projet Koechlin, que nous nous désinteressons absolument de ces projets plus qu' extraordinaires Anders sah es auf privater Seite aus: Eine Projektgruppe ersuchte 1907 um die Konzession für eine Zahnradbahn von Fiesch bis hinauf zum Märjelesee.. " " .Von dort sollte es mit Seilschleppbahnen weiter gehen bis zum Faulberg, an dessen Fuss heute die Konkordiahütte steht, und von dort dann hinauf aufs Jungfraujoch.16

 

Adolf Guyer-Zeller packt die Chance

Die Beerdigung der drei ersten Projekte sollte zum Durchbruch und zum Lebenswerk des dynamischen, eigenwilligen und kompromisslosen Bankiers und Unternehmers Adolf Guyer-Zeller führen. Geschickt band er einflussreiche Gruppen ein und gründete eine wissenschaftliche Kommission17, spielte mit den Emotionen und schwärmte in der Konzessionseingabe von 1893 an vaterländische Grundwerte appellierend: Bereits die Zwischenstation Jungfraujoch biete « für sich allein schon einen der grossartigsten Fernblicke des Schweizerlandes auf die zum Teil von ihr aus sichtbare herrliche Gletscher- und Gebirgswelt, die sich zwischen den Berner Alpen und dem Rhonetal ausdehnt, sodass Tausende dort oben – und wie viel mehr dereinst auf der Jungfrauspitzedie Gottfried Keller'schen Worte begeistert ausrufen werden: ‹Trinkt, oh Augen, was die Wimper hält, / Von dem goldnen Überfluss der Welt!›»18 Guyer-Zeller versuchte aber auch von Beginn an, sich mögliche Konkurrenz vom Leibe zu halten, so bekämpfte er die beiden Ingenieure der Berner-Oberland-Bahn, Hans Studer und Emil Stub, die 1892 eine Konzession für eine Bahn auf den Eigergipfel beantragt hatten.19 Auch gegen das Projekt des Topografen und SAC-Ehrenmitglieds Xaver Imfeld und seines Partners M. Stocker aus Luzern, das Lauberhorn von der Kleinen Scheidegg aus zu erschliessen, wehrten sich Guyer-Zeller und seine Jungfraubahnen. In zwei weiteren Fällen versuchten die Jungfraubahnen, sich eine Art Gebietsmonopol zu sichern. Als die Bahn die Station Eismeer erreichte, beantragten sie den Bau einer eigenen Standseilbahn auf den Eigergipfel, verzichteten aber auf die Durchführung des Konzessionsverfahrens. Auf das Projekt einer Bahn von Fiesch her reagierten die Bahnbauer mit der Reaktivierung alter Pläne einer Schlittenverbindung hinab nach Fiesch im Wallis. Sie erwarben dazu sogar ein Rudel Polarhunde und richteten sie zur Postbeförderung ab. Später wurden die Hunde zur Beförderung von Touristen eingesetzt, bis sie 2009 ausgebellt hatten und ihre Basis am Eigergletscher für immer verlassen mussten.

 

Eröffnung am 1. August 1912

16 Jahre und fünf Tage nach dem ersten Spatenstich fand am 1. August 1912 auf der höchstgelegenen Bahnstation Europas ( 3454 m ü. M. ) die feierliche Eröffnung statt, statt der budgetierten 7,5 Millionen Franken kostete die Bahn 16 Millionen. Finanziert wurde der Bau zum grössten Teil aus dem Privatvermögen Guyer-Zellers. Wie sich später herausstellte, erlitt der Bankier und Unternehmer in seinen letzten drei Lebensjahren « schwere Vermögenseinbussen. Das Jungfraubahn-Unternehmen erforderte von Monat zu Monat gewaltige Summen; eine Finanzierung kam jedoch nicht zustande. » Sein Schwiegersohn, Professor Ludwig Rudolf von Salis, hielt als scheidender Verwaltungsratspräsident ( 1904–1929 ) in seinen Aufzeichnungen fest: « Trotzdem gab er ( Guyer-Zeller ) nicht zu, dass er der Schwierigkeiten nicht leicht Herr würde, und noch viel weniger, dass ihm die Finanzierung unmöglich geworden sei.»20 Schon 1905 hatten Kosten und Terminüberschreitungen eine Umplanung nötig gemacht, der Plan, die Bahn bis zum Gipfel zu führen, wurde fallen gelassen. Guyer-Zeller erlebte dies und auch die Eröffnung nicht mehr, er starb am 3. April 1899 in Zürich. Die Jungfrau aber, sie ist jungfräulich geblieben.

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Krebs et al., Jungfraujoch Top of Europe, AS-Verlag, Zürich 2011

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