Schaufel ist nicht gleich Schaufel
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Schaufel ist nicht gleich Schaufel Anforderungen an Lawinenschaufeln

Die Lawinenschaufel gehört zu Recht zur Notfallausrüstung beim Bergsport im Winter. Doch nicht jede Lawinenschaufel verdient ihren Namen, wie ein Produkttest zeigte. Wir stellen die Anforderungen an das wichtige Rettungsgerät vor.

Ein Schneebrett geht nieder, reisst einen Bergsteiger mit und begräbt ihn unter sich. Sein Kollege findet dank einem modernen Lawinenverschüttetensuchgerät schnell die Stelle, wo der Verschüttete im Schnee begraben ist. Die Feinsuche mit der Sonde gibt einen weiteren entscheidenden Hinweis. Schnell greift der Retter zur Lawinenschaufel und beginnt, im kompakten Lawinenschnee kräftig zu graben. Doch dann dies: Das Schaufelblatt bricht, ein effizientes Graben ist nicht mehr möglich. Die verzweifelten Versuche mit dem defekten Material können nicht verhindern, dass wertvolle Zeit verstreicht und die Überlebenschancen des Verschütteten rapide sinken.

Dieses Szenario mag unwahrscheinlich klingen, doch ist es das auch? Lesen Wintersportler den Lawinenschaufeltest, den der Schweizer Lawinenrettungsspezialist Manuel Genswein zusammen mit seiner norwegischen Kollegin Ragnhild Eide unter dem Patronat des Österreichischen Alpenvereins in der Zeitschrift «bergundsteigen» ( Ausgabe 4/08 ) mit dem makaberen Titel «Zwischen Himmel und Hölle» publizierte, könnte ihnen bei gewissen Schaufeln angst und bange werden. Bei einigen Produkten kam es zu schwerwiegenden Versagen, als sie beim systematischen Schaufeln im sogenannten V-System ( vgl. ALPEN 3/2008 ) eingesetzt wurden. Bewertet wurden Kriterien wie Ergonomie, Effizienz beim Schaufeln, Langlebigkeit und Anwendungssicherheit. Aufgrund der Testresultate wurden die Produkte in die Kategorien «höllisch», «strandtauglich» und «bergtauglich» eingeteilt.

Genswein taxiert einen Schaufeltyp als «höllisch», weil dieser die Ausrüstung der Retter beschädigte, und sechs andere Schaufeln als «strandtauglich», weil sie nach kurzem Gebrauch ersetzt werden mussten. Immerhin stuft Genswein vier von elf getesteten Lawinenschaufeltypen als «bergtauglich» ein. Den «Schaufelhimmel» gibt es laut Genswein nicht. Auf diese Ergebnisse reagierten die Schaufelhersteller mehr oder weniger heftig. Auf der Website von «bergundsteigen» beriefen sich einige auf eigene Tests, die zu anderen Ergebnissen geführt hätten, andere stellten die Methodik des Tests infrage. Wie weit die geringe Anzahl von drei Stück pro Typ und die möglicherweise ungleichen Belastungen der Schaufeln das Ergebnis des Tests beeinflussten, lässt sich jedenfalls ohne weitere Untersuchungen nicht beantworten.

Wie dem auch sei: Dass Lawinenschaufeln versagen können, beruhigt nicht – denn die Überlebenszeit Verschütteter sinkt nach knapp 20 Minuten rapide. Bis dahin liegt die Überlebenswahrscheinlichkeit gemäss einer Studie aus dem Jahre 2007, die in der Zeitschrift «Notfall+Rettungsmedizin» veröffentlicht wurde, bei 90%. Wie wichtig eine funktionstüchtige Lawinenschaufel ist, zeigte im Jahr 2002 auch ein Feldversuch, den der französische Bergführer und Lawinenspezialist Dominique Stumpert durchgeführt hat: Die Rettung ohne Schaufel, aber mit LVS und Sonde dauerte im Schnitt 50 Minuten. Die Lage scheint ernst zu sein: Schaufeln brechen, obwohl man für eine effiziente Rettung zwingend auf sie angewiesen ist. Doch da drängt sich die Frage auf, wie viele Wintersportler und Wintersportlerinnen wegen gebrochener Schaufeln tatsächlich zu Schaden gekommen sind. Ueli Mosimann, der beim SAC die Bergunfallstatistik betreut, relativiert und beruhigt. «In den letzten Jahren ist kein Fall dokumentiert, bei dem ein Schaufelversagen im Ernstfall zu Problemen geführt hat», sagt der Experte. Er weist aber auch darauf hin, dass das Ausschaufeln eines Verschütteten oft mehr Zeit braucht als die Ortung selbst. «Daran sind aber nicht allein schlechte Schaufeln oder eine falsche Taktik beim Schaufeln schuld. Nicht selten ist es die Beschaffenheit des Lawinenkegels, die effizientes Ausgraben verhindert», erklärt Mosimann. Steine, Äste oder flach gelegtes Buschwerk führten in den Lawinenkegeln zu einer Schneekonsistenz, die mit armiertem Beton vergleichbar ist. In einem Fall hätten die Retter darum sogar eine Kettensäge eingesetzt, um den Verschütteten zu bergen. Mosimann kommt daher zum Schluss: «Wirklich gute Schaufeln, die auch bei diesen schwierigen Bedingungen gut funktionieren, sind schlichtweg zu schwer und zu unhandlich, um sie im Rucksack mitzunehmen.»

Ist die Diskussion um eine mögliche Verzögerung durch ungeeignete Schaufeln also unnötig? Nein, sagt Bruno Hasler, Leiter Ausbildung beim SAC. Es sei unmöglich, zu sagen, wie viele Lawinenopfer überlebt hätten, wenn sie beispielsweise fünf Minuten früher freigelegt worden wären. «Mit guten Schaufeln ist ein Zeitgewinn von fünf Minuten durchaus realistisch», sagt Hasler. Da die Kosten für die Schaufeln im Vergleich zu anderen Bergausrüstungsgegenständen relativ gering sind, empfiehlt Hasler, hier nicht zu sparen und sich nicht mit vielleicht noch vorhandenen «Museums-stücken» zufriedenzugeben.

 

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