Sicher in der «Todeszone»: Das Höhenbergsteigen ist besser als sein Ruf
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Sicher in der «Todeszone»: Das Höhenbergsteigen ist besser als sein Ruf

Das Höhenbergsteigen ist besser als sein Ruf

Seis das Matterhorn oder das « Dach der Welt »: Dramen an hohen Bergen werden medial ausgeschlachtet. Doch die Statistik zeigt das Gegenteil.

Wieder ist die Saison am Mount Everest vorbei. Mit neuen Rekorden. Gerade mal 13 Jahre alt war der Jüngste, ein Kalifornier, der Ende Mai auf dem Mount Everest stand. Er wird für lange Zeit der Jüngste bleiben, denn nach den nepalesischen haben auch die chinesischen Behörden das Schutzalter für die Besteigung des höchsten Bergs der Welt auf 16 Jahre angehoben. Der bisher Älteste stand zwei Jahre vorher mit knapp 77 Jahren auf dem Gipfel der Gipfel. 458 « summiteers », wie die Gipfelstürmer genannt werden, zählt die Himalayan Database von Elizabeth Hawley für die Saison 2009.1 Mehr und mehr Bergsteigerinnen und Bergsteiger wollen auf den höchsten Punkt der Erde. Dieser Trend hält sich seit den 1980er-Jahren. Es sind teils erfahrene Alpinisten, aber auch weniger geübte, die sich auf den Gipfel hangeln. Der Khumbu-Eisfall ist entschärft, der Hillary Step wurde nach der Erstbegehung mit Fixseilen ausgerüstet, wie in den Alpen wurden einige gefährliche Stellen mit Bohrhaken versehen. Geschwindigkeit ist in diesen Höhen wichtig, und nichts schlimmer, als im Stau stecken zu bleiben. Höhenbergsteigen am Mount Everest ist zwar immer noch primär eine Frage der alpinistischen Kompetenz, wer aber will, der kann sich den Gipfel auch kaufen. Das hat auch sein Gutes. Für das Entwicklungsland Nepal und seine Sherpas ist der Berg- und Trekkingtourismus eminent wichtig. Der Dienstleistungssektor erbringt im Entwicklungsland mit einem Pro-Kopf-Einkommen von unter 300 Dollar pro Jahr mittlerweile knapp die Hälfte des Volkseinkommens. Damit rückt auch das Image der 8000er ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Nicht zuletzt darum trugen Sherpas letzten Sommer medial aufwendig inszeniert die Leichen verstorbener Alpinisten, aber auch knapp zwei Tonnen Abfall vom Berg. Wie wichtig das Image der Berge mittlerweile ist, zeigt der Sponsor der Aktion. Es war die Nepal Investment Bank.2 Ein Schmuddelimage ist nicht gut fürs Geschäft. Gruslige Schlagzeilen In der medialen Öffentlichkeit wird der Rummel am Everest zunehmend mit kritischen Augen betrachtet. Neu ist das aber keineswegs. Schon 1973 beklagte G. O. Dyhrenfurth in der Himalayachronik in « Die Alpen»,3 dass « den berühmtesten Bergen der Welt eine Vermassung und Überfüllung droht », wobei er den Mount Everest im selben Atemzug erwähnte wie den Montblanc und das Matterhorn. Heute steigt die öffentliche Erregung immer dann, wenn dramatische Unfälle passieren. Die Medien fragen: « Was soll das ?» – « Was machen die Massen in der Todeszone ?» und beklagen die « gefährliche Kommerzialisierung des Höhenbergsteigens » und die « Zustände » in den Lagern. Wie schief das Bild ist, zeigt ein Bericht des Nepal Info:4 Das Basislager gleiche einem Festzelt, wo Bergsteiger « Bier in sich hineinschütten ». Auch werde gestohlen, was nicht niet- und nagelfest sei. Kari Kobler, der seit 25 Jahren Expeditionen in die Region organisiert, sagt dagegen: « In den Zelten kann man das Material ohne Probleme liegen lassen. » Wenn etwas verschwinde, « sind das häufig kleine Racheakte gegen bekannte in- und ausländische Grössen ». Sicher, das Dach der Welt stand schon immer im Scheinwerferlicht, aber im Zentrum der Geschichten stehen nicht mehr nur die Entdecker und Extrembergsteiger. Heute sind es meist Teilnehmer kommerzieller Expeditionen, und die Berichte drehen sich weniger um Erfolge als um dramatische Todesfälle. Erstmals geschah dies im Mai 1996, als mehrere kommerzielle Expeditionen mit rund drei Dutzend Bergsteigern von einem Wetterumschwung überrascht wurden. Neun Menschen kamen wenig unterhalb des Everestgipfels ums Leben. Das Buch « In eisige Höhen » von Jon Krakauer5 wurde zum Everestbestseller. Eine Kommerzmafia? 2006 dann geschah ein weiterer Skandal. Der Brite David Sharp – er war allein, ohne jegliche Unterstützung, mit einem Permit von Asian Trekking unterwegs – lag im Sterben. Die Gipfelstürmer seien an ihm vorbeigegangen, ohne Hilfe zu leisten, hiess es. Es war ein krasser Verstoss gegen den Bergsteigerkodex, der gebietet, Hilfe zu leisten. Das vorläufig letzte Beispiel: « Der Himalaya fordert erneut zwei Todesopfer », titelte die deutsche « Welt » im August 2008. Und die renommierte « Süddeutsche Zeitung » ( SZ ) zog unter dem Titel « Die Achttausender-Mafia » über die Kommerzialisierung des Alpinismus im Himalaya her. Die Bergsteigerlegende Hans Kammerlander etwa sagte der SZ, die Expeditionen der kommerziellen Anbieter seien « zum Teil völlig nachlässig organisiert », das sei eine « Mafia ». Gegen einige Anbieter müsse strafrechtlich vorgegangen werden, « da werden die total Erschöpften einfach liegen gelassen ». Kari Kobler sagt: « Das ist ein Rundumschlag. Wenn Kammerlander nicht den Mut hat, Namen zu nennen, sollte er es bleiben lassen. » Er stelle die an den Pranger, die mit viel Energie und grosser Verantwortung hinter den Expeditionsbergsteigern stehen. Kammerlander solle zuerst vor der eigenen Türe kehren. Kobler räumt aber ein: « Sicher gibt es schwarze Schafe, so wie überall », und es gelte, zu prüfen, wem man vertraut. « Wer nicht in Schwierigkeiten geraten will, muss den Anbieter genau auswählen. » Aber das werde auch in den Alpen nicht anders gemacht: « Man sucht sich ja seinen Bergführer auch aus », sagt er. Auch auf seinen Expeditionen sei es schon zu Unfällen mit tödlichem Ausgang gekommen. « Es hat nie jemand behauptet, dass Höhenbergsteigen nicht erhöhte Risiken mit sich bringt. » Unfälle seien meist auf Herzversagen oder den Nichtgebrauch von Sauerstoff zurückzuführen, wie im Film des Schweizer Fernsehens « Die wahren Helden vom Everest » deutlich gezeigt wurde. Die nackten Zahlen Erhöhte Risiken? Sicher. Bergsteigen ist – auch in geringeren Höhen – ein Sport, der Risiken birgt. Ein Blick in die Statistik ( vgl. Grafik ) zeigt jedoch, dass eine Expedition zum Everest – sofern sie professionell vorbereitet ist – heute relativ sicher ist. Von 1953, dem Jahr der Erstbesteigung durch Edmund Hillary und Sherpa Tensing Norgay, bis ins Jahr 2000 wollten laut der Himalayan Database 5308 Expeditionsteilnehmer und 4242 Träger auf den Everest. Tatsächlich oben standen 871 Personen, mit dabei waren 443 Sherpas. Den Tod fanden 99 Expeditionsteilnehmer. Bei den Trägern bezahlten 61 den Gipfelgang mit dem Leben. In den acht Jahren von 2001 bis 2009 waren es schon 3436 Expeditionsteilnehmer, die hinaufwollten, dabei waren 3038 Träger. Tatsächlich auf dem Gipfel standen 1677 Personen, doppelt so viele wie in den 50 Jahren vor der Jahrtausendwende, sie wurden von 1583 Trägern begleitet. Den Tod fanden 40 Personen, davon 9 Träger – halb so viele. Die Statistik belegt aber auch den Run auf den Everest. Und der ist ungebrochen. Daran ändert auch nichts, dass diese Gipfelsieger verhöhnt werden. Reinhold Messner: « Als ein Nichts – als eine Krankheit kommen einige oben an – und die meisten auch wieder zurück.»6 Die Himalayan Database zeigt auch, dass die Touristen von deutlich mehr Trägern begleitet oder eben – wie ein paar wenige, bei denen das finanzielle Potenzial die alpinistische Kompetenz ersetzt – mittels der legendären « Mehlsacktechnik»7 hinaufgeschleppt werden. Die Chancen auf eine sichere Rückkehr vom Everestgipfel sind heute jedenfalls grösser denn je, nicht zuletzt dank den kommerziellen Anbietern. Im Jahr 2008, als die Region wegen schwerer Unglücke im Fokus der Medien stand, versuchten 613 Personen, den Gipfel zu erklimmen, und 423 erreichten ihn auch, wobei es im Abstieg einen Todesfall gab. 2009 standen 229 Personen auf dem Gipfel, und alle ausser zweien, die ebenfalls auf den Flaschensauerstoff verzichteten, kehrten zurück. Ist das Everestpatent nötig? Dass vor allem schlecht vorbereitete Everesttouristen in Schwierigkeiten geraten und dabei auch Dritte in Gefahr bringen, ist ein ungelöstes Problem. Ungeachtet des verhältnismässig kleinen Risikos muss etwas geschehen, findet Expeditionsveranstalter Kari Kobler: « Ich rege seit Jahren ein Besteigungspermit, verbunden mit einem Patent, für den Everest an. » Er habe diese Idee dieses Jahr bei einem Treffen mit Vertretern des nepalesischen Tourismusministeriums vorgebracht. Dieser « Führerschein », ähnlich einem Taucherpatent, müsste sowohl für Expeditionsleiter als auch für Everestaspiranten gelten. Etwa indem diese, bevor sie ein Permit für den Everest erhalten, auf einem anderen 8000er gestanden sein müssten. Auf die Frage, wie realistisch ein solches Everestpatent sei, bleibt Kobler aber zurückhaltend. Denn für die nepalesischen Behörden sei der Expeditionstourismus vor allem eine Frage des Geldes. Immerhin, so Kobler, würden mit dem Patent zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Die Erträge würden zusätzliches Geld in die Kassen des Entwicklungslandes bringen. Und dank dem Everestbesteigungspermit « würde die Sicherheit an hohen Bergen steigen », ist Kobler überzeugt. 1 Elizabeth « Liz » Ann Hawley9. November 1923 in Chicago ) ist eine US-amerikanische Journalistin und Chronistin von Himalayaexpeditionen. In Hawleys Himalayan Database sind mehr als 4000 Expeditionen und 36 000 Bergsteiger verzeichnet. Sie ist eine Unterstützerin des von Edmund Hillary gegründeten Himalayan Trust, der die Wirtschaft in Solukhumbu fördert und die Lebensbedingungen der Menschen dort verbessert. Hawley ist Honorarkonsulin von Neuseeland in Nepal. 2 The Himalayan Times Online, 16.5.2010. 3 « Die Alpen », Jahrbuch des SAC 1973, S. 22O. 4 Lutz Schottenhammer in: Nepal Info 102/103, Köln 2010. 5 Jon Krakauer, In eisige Höhen, Piper, München 2010, 1O. Aufl. 6 Reinhold Messner, Mount Everest, BLV Verlagsgesellschaft, München 2003. 7 Emil Zopfi, Christian Klucker – Erinnerungen eines Bergführers, AS Verlag,. " " .Zürich 2010.

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