Spektakel im Tatort
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Spektakel im Tatort Eisklettern im St. Galler Oberland

Im noch kaum bekannten Eisklettergebiet Zanai am Eingang zum Taminatal ob Bad Ragaz wird es fast kriminell. Ein Erstbegeher erzählt.

«Wenn du über fünfzig senkrechte Eissäulen geklettert bist, wird es langsam langweilig», begründete Robert Jasper seine Idee für die extreme Mixedroute «Flying Circus». Bei unseren bisherigen Eissäulen haben der Konstanzer Stefan Indra – mittlerweile Bergführer – und ich nicht so genau mitgezählt; es werden ein paar weniger als fünfzig gewesen sein. Doch unsere Motivation für Tatort war ähnlich, auch wenn die Route hinsichtlich Schwierigkeit in keiner Weise mit Flying Circus verglichen werden kann. Tatort befindet sich im Zanaigebiet, das unter Eiskletterern noch kaum bekannt ist. Doch oberhalb der Brücke zwischen Valens und Vasön (SG) im Müli- und Zanaitobel gibt es inzwischen mehrere Eisklettereien ab WI4.

Das erste Mal sahen wir die Eiszapfenreihe, die sich schräg durch eine riesige Überhangzone zieht, im Februar 2008 und urteilten: «Für Normalsterbliche unmöglich!» Am 9.Januar 2009 durchstiegen wir den breiten, gut 120 Meter hohen Eisfall links daneben. Der Blick vom Einstieg in die weit überhängenden Felsen rechts liess uns, vor allem wegen der Felsquerung und wegen des Eisüberhangs kurz vor dem Ausstieg, das Blut in den Adern gefrieren. Doch die Idee blieb in unseren Köpfen und Herzen.

Wir nannten den durchstiegenen Eisfall Ein Fall für zwei. Der kurze Wasserfall unterhalb, den wir bereits 2008 erstbegangen hatten, bekam den Namen Der Alte. Das wilde Gebilde aber, von dem wir nicht wussten, ob wir dort etwas zu suchen hatten, sollte Tatort heissen.

Am 2.Februar 2009 war es dann so weit. Ich stieg die erste Seillänge im Fall für zwei vor, danach führte Stefan bis kurz vor dem Ausstieg weiter. Ich folgte ihm die letzten 20 Meter nicht mehr, sondern pendelte in eine Nische hinüber. Jetzt wurde es wirklich ernst. In brüchigem Schiefer meine Freikletterambitionen bald begrabend, gelang es mir nach einer wackeligen 20-Meter-Querung überraschenderweise, einen Stand einzurichten. Um ihn zu verstärken, schlug ich schweren Herzens eine Eisschraube in ein abwärts gerichtetes Loch in kompaktem Fels. Das Loch – weit und breit das einzige – war auf Bruchteile von Millimetern genau dafür dimensioniert.

Später konnte ich die Schraube wieder entnehmen, erstaunlicherweise war sie unbeschädigt! Mit einem komplizierten Seilmanöver gelang es mir, Stefan als Nachsteiger von vorne und hinten gleichzeitig zu sichern.

Nachdem ich ihn anschliessend 15 Meter schräg hinabgelassen hatte, kletterte er weiter, zuerst in senkrechtem, noch dünnem Eis, das schnell dicker wurde. Bald hingen wir beide im eigentlichen Herzstück von Tatort. Andächtig blickten wir ins Bodenlose. Flink kletterte Stefan bis zur Nische vor dem Schlussüberhang und räumte mit störenden Eiszapfen auf. Sie flogen bis zu viereinhalb Sekunden durch die Luft. 150 Meter überhängendes Gelände befanden sich unter unseren Steigeisen.

Ich führte noch über die dünne Eiskruste, die sich auf dem Tatort-Bach gebildet hatte zum Ausstieg. An einem Baum gesichert folgte Stefan und sang die «Tatort»-Melodie. Eine der spektakulärsten Eislinien des Kantons war durchstiegen.

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