Stürmisches Finale der Orion-Tour
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Stürmisches Finale der Orion-Tour Andreas Vogel: Meine Durchquerung der Sahara

Der Abenteurer Andrea Vogel durchquerte dieses Jahr bei seinem Projekt «Orion-Tour» die Sahara und stieg zum Schluss in Marokko auf den Jebel Toubkal – eine Bergtour mit vielen Aus-, Ein- und Rückblicken.

Im Mittelalter führte einer der wichtigsten Gold- und Salzkarawanenwege vom sagenumwobenen Timbuktu in Mali nach Marrakesch in Marokko mitten durch die grösste Wüste der Welt, die Sahara. Anfang 2008 nehme ich diese 3000 Kilometer lange Strecke für mein Projekt Orion-Tour unter die Füsse. Ich will sie mit eigener Muskelkraft bewältigen. Jetzt, rund drei Monate später, steige ich von Imlil am Südfuss des Hohen Atlas Richtung Neltnerhütte, um am nächsten Tag noch den 4167 Meter hohen Jebel Toubkal, den höchsten Berg Nordafrikas, zu besteigen. Als Schweizer Bergler sehe ich den Gipfel nach meiner harten Wüstendurchquerung als reinen Abwechslung bringenden, leichten Pflichtberg an.

 

Am Lac Ifni treffe ich in einer kargen Steinöde auf die letzten Geisshirten mit ihrer Herde. Der eine von ihnen zeigt zum Himmel und meint, ich solle umkehren. Bald werde Regen fallen. Ich beruhige ihn und erwidere, dies sei mir bewusst. Für die 2000 Meter hoch durch die Schlucht und über den Pass zur Hütte existiert ja ein kleiner Weg. Obschon es bereits April ist, liegt noch viel Lawinenschnee. Fast senkrechte, hohe Felswände umgeben mich. Auf 3300 Metern ist nichts mehr von einer Spur, geschweige denn von einem Weg zu erkennen. Ich sehe zwei Möglichkeiten für den weiteren Aufstieg. Nach drei Stunden Steigerei und Kletterei in exponiertem, abschüssigem Gelände stehe ich hoch oben auf einer Gratscharte, hinter der eine Felswand senkrecht abfällt. Hier gibt es kein Weiterkommen. Ich habe die falsche Variante gewählt. Am Schluss werden aus den von mir prognostizierten sechs Stunden Begehungszeit bis zur Hütte neun Stunden Gehen in Graupelschauer unter fortwährendem Suchen der Route. So vermag der «harmlose» afrikanische Berg mich schon am ersten Tag ein wenig aus der Reserve zu locken.

Mohamad Ahansal, der Sieger vom Marathon des Sables 2008, dem härtesten Marathon der Welt, möchte mich auf den höchsten Berg Marokkos begleiten. Er steigt von Marrakesch kommend über die Nordseite zur Neltnerhütte hoch. In der Hütte erzählen Mohamad und ich uns gegenseitig aus dem Leben. «Schon über 300 Mal stand ich auf dem Gipfel des Jebel Toubkal», erwähnt Mohamad beiläufig. Am nächsten Tag tobt ein Sturm am Toubkal, wie ich ihn erst einmal an einem Berg erlebt habe und wie er Mohamad am Toubkal noch nie begegnet ist. Er verunmöglicht jede Gipfelbesteigung. Uns bleibt nichts anderes übrig, als zum Bergdorf Agoum auf 1900 Meter hinunterzusteigen. Leider kann Mohamad kein besseres Wetter abwarten. Bereits steht für ihn ein weiterer Marathon vor der Tür.

 

Trotz zweifelhaftem Wetter steige ich am selben Abend nochmals alleine die 1300 Meter zur Neltnerhütte hoch. Ich hoffe, dass das Wetter über Nacht doch noch besser wird und ich am nächsten Tag den Gipfel angehen kann. Im Schneesturm während des Hüttenanstiegs kehre ich gedanklich in die Wüste zurück: Gehen, und wieder gehen, und immer gehen. Ich empfinde die Umgebung als grosszügig, andererseits verlangt sie auch viel von mir. Zügig schreite ich in der Hitze voran. Umkehren ist keine Option mehr. Stehen bleiben wäre das Aus. Wie jedes Lebewesen habe ich nur ein Ziel: überleben. Meine Füsse tragen mich durch die Zeit in der Sahara, und mein Geist zieht mit den Wolken über mir. Was sind eigentlich Distanzen, die Zahl der gemachten Kilometer? Sie mögen beeindrucken, berühren oder bewegen tun sie aber in den wenigsten Fällen.

Nach der Nacht in der Neltnerhütte reisst es auf: Traumwetter, kein Wind, kaum Wolken. Nach knapp zwei Stunden Aufstieg sitze ich in grosser Einsamkeit und Ruhe zufrieden eine Stunde lang alleine auf Jebel Toubkal. Bei –7,5 °C schiesse ich um 8.15 Uhr zwei Gipfelfotos.

Mein Blick schweift Richtung Süden, Richtung Sahara. Bilder tauchen vor meinem inneren Auge auf: riesige Sanddünen, quälender Durst, die trottenden Kamele, gefährliche Tiere. Aber auch an das grösste Geschenk der Wüste erinnere ich mich: Ihre Leere liess mich Tage der Fülle erleben. Dies im Gegensatz zum üblichen Nonstop-Programm unserer Zivilisation.

 

Vom Jebel Toubkal sind es nur noch 70 Kilometer bis zum Ziel der Orion- Reiseinformationen Jebel Toubkal Anreise Aufstieg von der Nordseite: von Marrakesch über Asni zum Ausgangspunkt Imlil (Route von Imlil nach Aroumd 1900 m): 45 Minuten; von dort bis zur Neltnerhütte (3200 m): 4 Stunden. Von der Neltnerhütte bis zum Gipfel: 3 Stunden. Route ist nicht schwierig; man sollte aber zwei Tage einberechnen. (Der Aufstieg von der Südseite her ist wilder und führt vom Ausgangspunkt Imlil [nicht dasselbe Imlil wie auf der Nordseite!] über den Pass Tizin- Ouanoums [3664 m] zur Neltnerhütte. Dauer: 6 Stunden) Karte vor Ort erhältlich. Aus einem 4000er entsprechende rüstung Hochtourenausrüstung Tour in Marrakesch. Mit dem Velo fahre ich darum bereits einen Tag nach der Gipfelbesteigung gegen Abend bei 32 °C im Zentrum der Königsstadt Marrakesch ein – innert bloss 24 Stunden ein Temperaturunterschied von 40 °C. Trotz allen Extremen habe ich es geschafft! Ich verspüre Erleichterung und Müdigkeit – aber bereits auch etwas Wehmut. Denn Ankommen heisst auch einen Traum verlieren. Ein Traum ist ausgeträumt, wobei die Sehnsucht neue erzeugt. Doch zum Träumen bleibt wenig Zeit. Mein Begleiter Guido fährt herbei. Schnell noch auf dem Parkplatz den Kopf waschen, denn ich bin beim Schweizer Botschafter eingeladen. Am Tag danach noch mehr Ehre: Herr Mou- Zum Abschluss erklomm Andrea Vogel auf der Orion-Tour noch den Jebel Toubkal ( 4167 m ) in Marokko. Foto: Andrea Vogel mir Houssaini Chraidi, der allerengste Vertraute des Königs und Wali von Marrakesch, empfängt mich. Anstelle der vorgesehenen 15 Minuten diskutiert er beinahe eine Stunde lang mit uns über die Orion-Tour. Als Nordafrikaner, der die Wüste kennt, kann er genau abschätzen, was es nur schon rein körperlich heisst, diese Strapazen hinter sich gebracht zu haben.

Nochmals blicke ich zurück auf mein Unternehmen, das mich kurz vor Schluss auch auf den Jebel Toubkal führte. Auch er hat mir Grenzen aufgezeigt. Auf meiner Expedition von Timbuktu nach Marrakesch bin ich aber noch vielen anderen Grenzen begegnet: Grenzen der Politik, der Sprache, der Natur, der Kraft. Sie lehren uns Respekt und Demut, denn sie stehen häufig nicht in unserer Macht. a Beatrice Keck/Andrea Vogel, St. Niklausen

Die Orion-Tour

Auf der Orion-Tour durchquerte der Schweizer Multisportler, Expeditionsleiter und Fotograf Andrea Vogel als erster Europäer seit 150 Jahren die Sahara entlang der legendären Salz- und Sklaven-karawanenroute. Die Tour, die unter dem Patronat der Schweizerischen Unesco- Kommission steht, führte von einem Weltkulturerbe, Timbuktu, über den Hitzepol der Erde, durch das Erg Chech, eines der grössten Sand-meere, und über den Jebel Toubkal zum anderen Weltkultur erbe Marra kesch. Der Name der Tour stammt vom Sternbild Orion, das auch « Amanar », der Karawanenführer, genannt wird. Weitere Informationen unter: www.andreavogel.ch Auf der Orion-Tour durchquerte Andrea Vogel auch den Süden Algeriens.

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