«Wirklich oben bist du nie»
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«Wirklich oben bist du nie» Über die Erfahrungen vom Klettern mit Sehbehinderten

Interessen und Neigungen vorausgesetzt, entwickeln sich die Fähigkeiten der Menschen entlang den von Kultur und Gesellschaft geschaffenen Rahmenbedingungen. Wollen Sehbehinderte sich im Klettern üben, braucht es ein entsprechend angepasstes Umfeld, wie es der SAC mit seiner Aktion «Zeit für Behinderte» zu schaffen versucht.

Eine Sehbehinderung ist eine Einschränkung der visuellen Wahrnehmung. Da in der westlichen Kultur die menschliche Wahrnehmung zwischen 80 und 90% visuell gesteuert wird, versuchen auch Sehbehinderte, ihr Augenlicht nach Möglichkeit einzusetzen. Reicht die visuelle Wahrnehmung zur Erfassung einer (Problem-)Situation nicht aus, werden andere Sinneskanäle als Kompensation aktiviert. Dies sind beim Klettern hauptsächlich der Tast-, der Gleichgewichts- und der Hörsinn. Eine Sehbehinderung bedeutet grundsätzlich keine Einschränkung der geistigen Fähigkeiten, wenn Frühförderungs-massnahmen sowie therapeutische und pädagogische Interventionen gezielt stattfinden. Sehbehinderte lernen grundsätzlich gleich wie Nichtsehbehinderte1, nur muss die Vermittlung der Lerninhalte angepasst werden: in kleinen Gruppen unterrichten, die Dinge aus nächster Nähe betrachten, betasten und somit «begreifen» lassen.

Die Vertrauensbasis zwischen sehbehinderten und nichtsehbehinderten Kletterern festigt sich durch gegenseitige Akzeptanz und Offenheit: Bedenken und Ängste sollen - gegenseitig - thematisiert werden. Damit kann unnötiger Angst vorgebeugt werden. Wichtig ist die Kommunikation ( « Hörsinn » ): Der Sehbehinderte soll seinem Kletterpartner mitteilen, wie er die Situation visuell einschätzen kann. Vor dem Klettern sind Begriffe wie Stand, Umlenken, Halten usw. zu klären. Während des Kletterns müssen die Kommandos für die Kletternden klar formuliert und einheitlich sein. Gleichzeitig sollen auch die vorzunehmenden Aktionen mitgeteilt werden. Mit Sehbehinderten können all jene klettern, die sich der Verantwortung bewusst auf eine eingeschränkte Wahrnehmungswelt ihres Partners einlassen wollen.

Die meisten Lagerteilnehmer/innen waren geübte Sportkletterer, die ihr mitgebrachtes Wissen in die Praxis umsetzen konnten und bereit waren. Neues aufzunehmen. So war auch das Interesse vorhanden, mit den Simulationsbrillen zu klettern. Diese Brillen imitierten bei den Nichtsehbe-hinderten jene Sehbehinderung, mit denen ihre Kollegen leben müssen, also an Stelle von 100% Sehvermögen nur noch knapp 10%. Anderseits war es für die Sehbehinderten Motivation und Herausforderung, Gleiches oder Ähnliches zu «leisten» wie Nichtsehbehinderte.

Die Freude an den möglichen Bewegungen eröffnete ungeahnte Kräfte. So wurde je nach Können im Vorstieg und im Top-Rope geklettert, Ein-Seillängen-, Zwei-Seillängen- und Mehr-Seillängen-Routen. Beeindruckend waren die Fortschritte, gekrönt von der Leistung jenes sehbehinderten Jugendlichen, der im Vorstieg eine «6b-Route» und diese im zweiten Versuch «Rotpunkt» kletterte.

In diesem Erlebnislager wurden zwischen Gut- und Weniger-Gut-Sehenden bereichernde Begegnungen möglich und Freundschaften geschlossen, die vielleicht andauern.

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