Wo Männerherzen höherschlagen
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Wo Männerherzen höherschlagen Homosexuelle am Berg

Am Berg ist man schnell per Du, in der Anstrengung rasch ein Team. Doch was, wenn die Männer mehr als nur Freundschaft verbindet?

Ein Berg wie mancher andere ist der Widderfeld Stock, der zwischen Engelberg und dem Melchtal eingeklemmt liegt: schroff und schattig auf der einen Seite, sanfter und sonnig auf der anderen. Ein Bergsteiger wie mancher andere ist Luki: bärtig und ausdauernd – verträumt angesichts der verschneiten Gipfel. Was Luki und seine acht Begleiter von anderen Tourengängern unterscheidet, ist von aussen nicht zu erkennen. Doch diese neun Männer lieben nicht nur die Berge, sie lieben Männer.

Der Himmel ist tief verhangen und Flocken rieseln aus den Wolken, als die neun Mitglieder des Vereins Outdoor Sports for Gays (OSG) kurz vor zehn Uhr an einem Februarmorgen von Eggendössli auf 1418 Metern über Meer in die Südosthänge in Richtung Widderfeld Stock stechen. Wer sind diese Männer, die ihre sexuelle Orientierung zum Anlass nehmen, gemeinsam auf Berge zu steigen?

Ein bunter Haufen

«Die Prada-Tunte kommt bei uns eher nicht mit», scherzt Philippe, ein Genfer, der Klischees nicht zu fürchten scheint. Heute seien nur Hardcorealpinisten dabei, meint er und grinst. Ohne Zweifel ist es ein recht bunt zusammengewürfelter Haufen: Nebst einem Bergführer sind da Ökonomen, Kommunikationsberater und ein Bundesbeamter. Einer der Männer ist Jäger, ein anderer arbeitet bei der katholischen Kirche. Es sind Walliser, Genfer, Zürcher, Luzerner und Schwyzer, die meisten über 30 Jahre alt; manche stehen seit fast 30 Jahren auf den Tourenski.

Kein Sexclub

Einem breiteren Publikum wurde OSG bekannt, als Mitglieder des Vereins im vergangenen Juni das Suworow-Denkmal in der Schöllenenschlucht mit Regenbogenfarben drapierten. Auf homophobe Verfehlungen in Russland wollten sie aufmerksam machen – und natürlich auf den eigenen Verein. Zwölf Jahre ist es bereits her, dass der Luzerner Luki mit zwei Freunden die Bergsportgruppe ins Leben rief, deren Mailingliste inzwischen rund 300 Adressen zählt. Zu den Versammlungen allerdings kommen meist keine 50. «Wir Schwulen sind bekanntlich nicht sehr gut mit Nachwuchs», sagt Philippe und lacht.

Aber wozu eigentlich ein solcher Verein? «Um Schwulen die Möglichkeit zu geben, mit Gleichgesinnten in die Berge zu gehen», antwortet Präsident Luki. Das Bergsteigen sei die Hauptmotivation, bekräftigen alle Anwesenden. Man sei ein Bergsportclub und nicht ein Gay-Sexclub, wird auch auf der Vereinswebsite einem Teilnehmer beschieden, dem die technische Schwierigkeit einer Tour zu hoch war. «Natürlich schwingt die Hoffnung mit, man könnte auf einer Tour dem Traumprinzen begegnen», sagt Philippe. «Bergsteiger sind halt meistens intelligente, natürliche und authentische Menschen», findet Luki, worauf Frank feixt: «Ja, du vielleicht.» Die Männer lachen. Ein festes Paar hat OSG noch nicht hervorgebracht. Kann ja noch werden.

Draussen zu sein unter Freunden, mit denen man über alles reden kann, das ist bei OSG wichtig. Im lichten Tannenwald, der sanft ansteigend zum Lutersee führt, bleibt dafür Zeit und Luft: Ramon erzählt vom letzten Kletterhallenbesuch – der Seilpartner durchstieg mühelos eine 7b. Luki staunt: 6b liege vielleicht drin, aber mit Ach und Krach. Dann ist das Gespräch plötzlich beim Bürgler Pfarrer, der ein lesbisches Paar segnete und deswegen in Konflikt mit dem Bischof geriet. Patrick1, der für die katholische Kirche arbeitet, weiss Bescheid. «Was? Du arbeitest bei der Kirche?», ruft Frank, und man weiss nicht recht, ob sein Entsetzen echt ist oder nur gespielt. «Achtung, jetzt hat Frank ein neues Thema», frotzelt Luki.

Homoerotik im Sport

Ab dem Lutersee wird der Aufstieg ruppiger und der Atem knapper. Noch immer ist die Gruppe alleine am Berg, und wie zur Belohnung zwängt sich die Sonne aus ihrem Wolkenkorsett. Als Luki die Spitze übernimmt, wird das Tempo schärfer, weshalb es aus den hinteren Rängen halb leidend und halb bewundernd tönt: «Läck, jetzt sind wir aber schnell unterwegs.» Kräftige, bärtige Kerle, die sich durch den Schnee kämpfen, Typen wie Luki, der einen Doktortitel in der Tasche hat und im Schaft daheim das Jagdgewehr – lässt einer wie er Männerherzen höherschlagen? Wieso auch nicht, findet einer der Teilnehmer. «In Männersporten gehört die Homoerotik doch meist dazu.»

Wie viele Schweizer Bergsteiger mögen wissen, dass etwa der geniale Geoffrey Winthrop Young, dessen Erstbegehungen an Weiss- und Breithorn Alpinisten noch heute vor ernsthafte Herausforderungen stellen, angeblich schwul war? Und dass auch seinem Kameraden George Mallory, dem Bei­nahe­erst­be­stei­ger des Mount Everest, homoerotische Neigungen nachgesagt wurden? Vielleicht ist Homosexualität im Alpinismus gerade deshalb kaum Thema, weil dem Sport ohnehin ein Männlichkeitskult innewohnt. Ein Kult, der nur ja nicht anrüchig werden soll.

Muss man aber deshalb von einem Tabu sprechen? Für das Gros der heutigen OSG-Teilnehmer bietet ihre Sexualität keinen Anlass zu Geheimniskrämerei. Praktisch im Chor bestätigen sie, dass Homophobie in den Bergen nie ein Thema war: Natürlich, man steige nicht mit der Regenbogenfahne auf Gipfel, sagt Luki. «Verstecken tun wir uns aber auch nicht.»

Angst vor negativen Reaktionen

Das gilt nicht ganz für alle: Res1 etwa, der Bergführer der Gruppe, will seinen Kopf und seinen richtigen Namen lieber nicht in der SAC-Zeitschrift sehen – lächelnd schimpft er sich dafür gleich selber eine «Klemmschwester». Er, der sich privat outete, noch bevor er 20 Jahre alt war, ja gar mit homosexuellen Theatergruppen auftrat, gesteht: «Vor der Reaktion mancher Kollegen fürchte ich mich.» Er hält damit lieber zurück, spricht unter Kollegen etwa vom «Gspänli» statt vom Freund. Wie die Reaktion tatsächlich ausfallen würde, ist für ihn schwer abzuschätzen. Res denkt nicht, dass Homophobie in Bergsteigerkreisen ein generelles Problem ist. Selber wurde er einzig beim Industrieklettern und unter Handwerkern damit konfrontiert. Trotzdem sagt der Bergführer: «Ich habe nur eine Chance, und wenn ich mich im Wallis auf den Hütten nicht mehr blicken lassen könnte, wäre das dumm.» Dabei ist gerade das ein gut behüteter Traum dieses Mannes: Auf der SAC-Hütte unter Kollegen am Tisch sitzen und auch einmal vom eigenen Freund erzählen zu können.

Zuoberst auf dem Widderfeld Stock hat die Sonne endgültig die Oberhand über die Wolken gewonnen, die sich hinterm Melchtal zu einer dunklen Blase zusammenziehen. OSG hat den Gipfel jetzt für sich: Man gratuliert sich per Handschlag, hier und da mit einer kräftigen Umarmung, stürzt einen Gipfelschnaps. Und dann trifft doch noch eine andere Gruppe ein. Flüchtige Blicke und höfliche Grüsse werden getauscht, als einer aus der andern Gruppe plötzlich aufmerkt: «He, salü Res!» Die beiden kennen sich, und der Mann fragt, was denn dies für eine Gruppe sei. Res sagt langsam und bedacht: «OSG – Outdoor Sports for Gays.» – «Ach so», erwidert das Gegenüber. Er habe schon gedacht, das sei ja eine Gruppe hübscher junger Männer.

Dann ruft der Pulverschnee, und der Widderfeld Stock ist wieder ein Berg unter vielen.

Weitere homosexuell orientierte Bergsportgruppen

Neben OSG (https://gaypeak.wordpress.com/) existieren hierzulande weitere homosexuelle Bergsportgruppen: etwa die Wandergruppe Lacets roses, die lesbische Gruppe Plein Air oder der kommerzielle Veranstalter Pink Alpine. Der Deutsche Alpenverein hat 2004 den Gay Outdoor Club München als offizielle Sektion in seine Reihen aufgenommen.

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